Bedeutung der freien Willensentscheidung betont

Regionalbischöfin Petra Bahr
© epd-Bild/Jens Schulze
Sieht Positives in der Empfehlung des Ethikrates zur Suizid-Hilfe: Petra Bahr, Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
Ethikrat zur Sterbehilfe
Bedeutung der freien Willensentscheidung betont
Theologin Bahr: Suizidalität mit gezielter Prävention begegnen
Das Bundesverfassungsgericht hat die Hilfe beim Suizid für zulässig erklärt. Der Gesetzgeber ringt um eine Regelung, die Missbrauch ausschließt. Hinweise bekommt er nun vom Ethikrat. Er verlangt auch mehr Anstrengungen bei der Suizidprävention. Dem stimmt die evangelische Theologin Bahr und die Diakonie voll zu.

In der Debatte um eine gesetzliche Regulierung der Suizidassistenz mahnt der Deutsche Ethikrat beim Gesetzgeber eine sorgfältige Abwägung von Kriterien für diese Form der Sterbehilfe an. In einer am Donnerstag in Berlin vorgestellten Stellungnahme betont das Expertengremium die Bedeutung der freiverantwortlichen Entscheidung. "Es darf nur zu einem freiverantwortlichen Suizid Hilfe geleistet werden", so Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Zentral sei es daher, die Voraussetzung für solch eine freie Willensentscheidung zu klären, ergänzte Rechtsprofessor Helmut Frister.

Konkrete Empfehlungen für oder gegen einen der bereits im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe geben die Experten aber nicht ab. Die Diakonie und die evangelische Theologin und Regionalbischöfin Petra Bahr sehen in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates einen Beitrag, um das Thema umfassend zu betrachten und Präventionsangebote zu stärken

Die Prüfung der Freiverantwortlichkeit stelle die Weichen dafür, ob dem Selbstbestimmungsrecht oder dem Schutz des Lebens Vorrang gilt, erklärte das Ethikrat-Mitglied Frister. Der Ethikrat warnt dabei vor einem überfrachteten Verfahren. Die Anforderungen an die Prüfung dürften nicht dazu führen, dass sie faktisch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nehmen, hieß es.

Gleichzeitig fordert das Gremium mehr Anstrengungen im Bereich der Suizidprävention, um dem Grundrecht auf Leben gerecht zu werden. Der Respekt vor einem freiverantworteten Suizid dürfe nicht dazu führen, "dass uns Suizide - als Individuen, institutionell oder gesellschaftlich - egal sein dürfen", sagte Buyx. Mehr als 9.000 Menschen hätten sich 2021 das Leben genommen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Nun geht es im Bundestag um eine mögliche Folgeregelung. Drei Gruppen mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen haben dazu Vorschläge vorgelegt, die unterschiedlich weit gehen etwa bei der Frage der Prüfung und Beratungspflicht bei einem Suizidwunsch.

Keine Bewertung der Gesetzentwürfe

In seiner 134-seitigen Stellungnahme vermeidet der Ethikrat eine Bewertung der vorliegenden Gesetzentwürfe, über die im Parlament bereits in erster Lesung beraten wurde. Das Gremium habe versucht, "das schwierige Gelände zu kartieren, ohne den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern den letzten Schritt der Rechtsausgestaltung vorzugeben oder gar abzunehmen", sagte Buyx dem epd. "Die Stellungnahme des Ethikrates weitet den Blick zur Dynamik von Suizidalität insgesamt", sagte Petra Bahr, die ebenfalls dem Ethikrat angehört.

In der Stellungnahme wird deutlich, dass die konkrete rechtliche Regelung auch innerhalb des Ethikrats umstritten ist. In dem 24-köpfigen Experten-Gremium würden "zur moralischen Bewertung von Suizidhandlungen, zur Suizidassistenz und zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts verschiedene Auffassungen vertreten", heißt es gleich zu Beginn des 134-seitigen Papiers.

Frister erläuterte, einen Dissens gebe es im Ethikrat darüber, ob nur Volljährige Suizidassistenz beanspruchen dürfen, ob auch einem für den Fall einer den freien Willen beeinträchtigenden Krankheit vorher festgelegten Suizidwunsch nachgekommen werden muss und wie weit eine Aufklärungspflicht gehen soll. Dass es die Aufklärung geben muss, ist dagegen Konsens. Die Betroffenen müssten alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte kennen, sagte Frister.

Keine Pflicht zu Angeboten der Suizidassistenz 

Einigkeit besteht im Rat auch darüber, dass eine psychische Erkrankung das Recht auf Hilfe beim Suizid nicht grundsätzlich ausschließt und Einrichtungen wie Pflegeheime transparent machen sollten, wie sie mit Suizidwünschen umgehen. Es gebe keine Pflicht, Suizidassistenz anzubieten, erläuterte der katholische Theologe Andreas Lob-Hüdepohl. Einrichtungen dürften sie zugleich aber auch nicht verwehren oder verunmöglichen, dass es innerhalb oder außerhalb einer Einrichtung dazu kommt. Dieses "Mindestmaß" gelte auch für kirchliche Einrichtungen, sagte er.

Regionalbischöfin Bahr sagte, die Stellungnahme des Ethikrates weite den Blick zur Dynamik von Suizidalität insgesamt. "Nur so kann angemessen auf das Thema mit seinen vielen Graubereichen reagiert werden: Wie entstehen Sterbewünsche? Welche Selbstbilder stehen dahinter? Welche Lebens- und Notlagen? In welchen Kontexten?", erläuterte die Regionalbischöfin des Kirchensprengels Hannover.

Bahr betonte, Suizidalität dürfe nicht nur als individuelles Thema verstanden werden. "Deshalb braucht es parallel zu einer klugen rechtlichen Regelung, die verhindert, dass der assistierte Suizid als leichtester Ausweg aus schwersten Lebenslagen verstanden werden kann, mehr und zielgenauere Suizidprävention." Die Frage, wer helfe, wenn das Leben unerträglich geworden ist, verlange auch nach gesellschaftspolitischen Diagnosen und Antworten.

Der rechtliche und ethische Schlüsselbegriff Selbstbestimmung werde im Deutschen Ethikrat als relationale Selbstbestimmung verstanden, erläuterte Bahr. "Das entspricht auch dem christlichen Verständnis des Lebens. Menschen leben immer in sozialen Bezügen, die Lebenswillen, Lebensfreude und Lebenssinn fördern oder beschädigen. Das gilt besonders für extreme Notlagen oder schlimme Diagnosen." Daraus folge eine "Multiakteursverantwortung".

Das Thema Suizid könne nicht einer Berufsgruppe oder einer Institution aufgelastet werden, betonte Bahr. "Verantwortliche gibt es auf vielen Ebenen." Praktisch stellten sich in Zukunft viele Fragen, die sorgsam beantwortet werden müssten - auch in den Kirchen und ihren diakonischen Einrichtungen. Dazu zähle etwa die Frage, wie eine mögliche gesetzliche Option des assistierten Suizids die Kultur christlicher Einrichtungen und ihrer im christlichen Selbstverständnis engagierten Berufsgruppen verändert, sagte die Theologin. "Wer berät und wer entscheidet? Was bedeutet das für die, die Menschen seelsorgerlich oder pflegerisch im Sterben begleiten?"

Diakonie begrüßt Stellungnahme des Ethikrats 

Die Diakonie hat die Stellungnahme des Ethikrats begrüßt. Sie setze die richtigen Akzente, erklärte Diakoniepräsident Ulrich Lilie am Donnerstag in Berlin und hob insbesondere das Plädoyer des Ethikrats für mehr Suizidprävention hervor. "Die Diakonie hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, dass vor einer gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids die Verabschiedung eines Suizidpräventions-Gesetzes nötig ist", erklärte er.

"Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Menschen in Einsamkeit und seelischer und sozialer Not ihrem Leben ein Ende machen", sagte der Theologe. Vielmehr müsse man "mit ihnen in Beziehung treten, ihre Suizidgedanken annehmen und auch in der Beziehung bleiben, wenn sie einen assistierten Suizid wünschen". Lilie lobte dabei auch den Ansatz des Ethikrats, Akteure im persönlichen Umfeld, in Organisationen und Institutionen bei der Prävention in die Verantwortung zu nehmen.