Hilfe für Haiti: Die Globalisierung der Nächstenliebe

Hilfe für Haiti: Die Globalisierung der Nächstenliebe
Nicht Gier oder Habsucht, die manche unserer Kultur fast automatisch unterstellen, machen dieser Tage Schlagzeilen: Eine Radioandacht aus der Reihe "Gedanken zur Woche" (Deutschlandfunk) über tätige Liebe und nüchternen Glauben.
21.01.2010
Von Heidrun Dörken

Das Nachbarkind hat sein Sparschwein geschlachtet. Der Junge sagt mir: "Ein Euro fünfzig behalte ich für Fußballbilder, der Rest ist für die Kinder in Haiti." Es sind fast fünfzehn Euro, die er gespart hatte. Es ist atemberaubend, wie hilfsbereit so viele Menschen seit zehn Tagen sind, hier und auf der ganzen Welt. Die Wucht der Erdbeben-Katastrophe bewirkt eine andere Art der Globalisierung. Diesmal nicht aus wirtschaftlichen Interessen oder zum eigenen Vorteil. Diese Globalisierung spannt ein Netz um die Erde. Geknüpft durch Mitfühlen und Helfen, um so die Überlebenden aufzufangen, die größte Not leiden.

Firmen, Stars und Skatgemeinschaften

Die UNO ist dabei, die USA und Europa - aber nicht nur. In Westafrika zum Beispiel halten die eigenen Probleme viele nicht davon ab, etwas zusammenzukratzen für die Haitianer. Deren Vorfahren waren vor Jahrhunderten als Sklaven aus Afrika geraubt worden. Türkische Rettungsteams sind zur Stelle, die im eigenen Land die Hölle erfahren haben, wenn die Erde bebt. In Deutschland sammelte am Dienstag eine Fernsehaktion fast achtzehn Millionen Euro, und es werden jeden Tag mehr. Dabei sind die gesparten Cents des Nachbarjungen. Manche Kinder haben tagelang Bilder gemalt, um sie für Haiti zu versteigern. Fußballclubs und Skatgemeinschaften legen zusammen, Models spenden ihre hohen Gagen, Firmen und Betriebe große Summen. Heute Nacht mobilisiert der Schauspieler George Clooney Hollywood mit seinen Stars zu einer weltweiten Übertragung, um weiter Spenden zu sammeln (in Deutschland in der Nacht zum Samstag ab 2 Uhr auf CNN international und im Internet zu sehen).

Einige kritisieren das und sagen: Ganze Staaten (etwa Kuba - siehe "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 21.1.), auf jeden Fall aber einzelne Firmen und Prominente wollen damit vor allem ihr Image aufpolieren. Möglicherweise haben diese Kritiker Recht. Aber es ist menschlich, aus gemischten Beweggründen zu handeln. In diesem Fall: etwas für andere zu tun und dabei auch an sich selbst zu denken. Überlassen wir es Gott, in die Seelen zu schauen. Ich bin dankbar, wie viele nicht gleichgültig sagen: Was geht mich das an?

Nicht Gier oder Habsucht machen Schlagzeilen

Die Schlagzeilen machten diese Woche nicht die Gier oder die Habsucht, die manche der westlichen Kultur fast automatisch unterstellen. Schlagzeilen macht die Nächstenliebe. Sie steckt im Geld für Medikamente und Wasser, für Bildung eines Tages und Dächer über dem Kopf, die beim nächsten Beben nicht gleich wieder einstürzen. Sie steckt im unglaublichen Mut und Einsatz der Helferinnen und Helfer, die vorgestern sogar ein starkes Nachbeben miterleben mussten. Sie sehen, riechen und fühlen Unvorstellbares, schlafen nachts auf der Straße und stehen doch am Morgen auf, um zu operieren oder verwaiste Kinder zu trösten.

Alle Nächstenliebe macht keinen einzigen der Toten wieder lebendig. Die Hilfe wird auch nicht alle Wunden heilen. Man könnte Gott anklagen, eine Erde geschaffen zu haben, die solche Grausamkeiten einschließt. Aber die, die dort zupacken, tun das nicht. Eine Menge Helfer vor Ort, auch viele Spender, tun das Nötige aus ihrem Glauben heraus, sagen sie. Es ist gewissermaßen ein nüchterner Glaube. Nämlich Vertrauen auf Gott mitten in einer Welt mit natürlichen und menschlichen Katastrophen. Manche Helfer erzählen, wie ihr Glaube ihnen Kraft gibt. Es hat was zu tun mit dem Hoffen auf ein Heil über alle praktische Hilfe hinaus. Gott sagt es allen zu. Es besteht darin, dass keiner verloren geht, der leidet. Und dass keiner verloren geht, der stirbt. So tun die Helfer in diesen Tagen alles, was Menschen möglich ist. Für mich ist das ein Zeichen für Gott, der mit seiner Liebe in der Welt ist, auch da, wo sie zu zerbrechen droht.


Heidrun Dörken ist evangelische Pfarrerin und Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.