Flüchtlinge in Hellersdorf: "Die Situation war sehr brenzlig“

Foto: Gordon Welters/laif
Flüchtlinge in Hellersdorf: "Die Situation war sehr brenzlig“
Als im August 2013 Flüchtlinge in einer ehemaligen Schule in Berlin-Hellersdorf untergebracht wurden, gab es heftigen Widerstand und rassistische Proteste. NPD und Pro Deutschland machten Stimmung gegen die Migranten. Rechtsextreme zeigten vor dem Heim den Hitler-Gruß. Nivedita Prasad, Professorin der nahegelegenen Alice-Salomon-Hochschule Berlin verlegte daraufhin einen Teil ihres Unterrichts in das Flüchtlingsheim.

Frau Prasad, Sie unterrichten einige Ihrer Studenten in einem Flüchtlingsheim. Was war der Auslöser?

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Nivedita Prasad: Mich haben nicht nur die ultra-rassistischen Äußerungen gegen die Flüchtlinge gestört. Ganz schlimm fand ich, dass es aus der Politik hieß: Wir müssen Verständnis für die Anwohner haben.

Warum denn das?

Prasad: Wenn sich die Anwohner und Anwohnerinnen Sorgen gemacht hätten, dass es durch die Flüchtlinge mehr Müll oder mehr Lärm in ihrem Viertel gibt, hätte ich das verstanden. Aber es hieß: Die Flüchtlinge klauen unsere Kinder und vergewaltigen unsere Frauen. Das sind klassische rassistische Äußerungen. Das hat man den Juden unterstellt, den Schwarzen …. Wo soll man da mit Verständnis ansetzen? Das hat mich so empört, dass ich dachte, dagegen muss man etwas tun.

Was genau machen Sie in dem Flüchtlingsheim?

Prasad: Ich unterrichte dort eines meiner Seminare, das Thema ist "Möglichkeiten und Grenzen Sozialer Arbeit im Rahmen restriktiver Asylpolitik". Wir sprechen über Lebensbedigungen von Geflüchteten in Deutschland, also z.B. über die Residenzpflicht, also darüber, dass Flüchtlinge den Ort, an dem sie gemeldet sind, nicht verlassen dürfen oder dass sie nur Zugang zur medizinischen Notversorgung haben. Ursprünglich war angedacht, dass Flüchtlinge daran teilnehmen können, wenn sie wollen; dies ist in der Praxis aber eher schwierig.

Was bringt es, wenn Sie und Ihre Studenten in dem Heim sind?

Prasad: Das ist eine wichtige Botschaft in die Umgebung. Als in Hoyerswerda oder in Rostock die Asylbewerberheime angezündet wurden, hat niemand eingegriffen. Ich glaube, wenn wir als Hochschule in dem Heim sind, schützen wir es. Die Situation im Sommer war wirklich sehr, sehr brenzlig. Ich bin indischer Herkunft und ich habe mich nicht getraut, allein dorthin zu laufen. Und das Ganze hört nicht auf, vor kurzem sind zum Beispiel "spontan“ Mitglieder der NPD um das Heim gelaufen und haben die Bewohner und Bewohnerinnen verbal attackiert.

"Die Stimmung hat sich verändert"

Haben Sie vorher überlegt, ob Sie Ihre Studenten in Gefahr bringen?

Prasad: Ja natürlich. Aber es war klar, dass niemand die Strecke von der U-Bahn bis zum Heim allein laufen muss. Das ist tatsächlich das einzige Seminar, bei dem wir vorher Handynummern ausgetauscht haben. Wenn ein Studierender zu spät kam, konnte er oder sie anrufen, damit sie jemand abholt.

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Und das reicht?

Prasad: Wir sind relativ sicher, dass unseren Studierenden nichts passieren wird. Uns schützt die strukturelle Macht. Wenn man Flüchtlinge zusammenschlägt, kann es sein, dass sie nicht einmal Anzeige erstatten. Aber stellen Sie sich vor, ein Student oder eine Professorin der Hochschule würde angegriffen. Dann wäre was los. Dann hätte die Politik ein echtes Problem.

Seit fast einem Jahr unterrichten Sie nun im Flüchtlingsheim. Hat sich etwas verändert?

Prasad: Ja, die Stimmung ist eine andere. Auf der Strecke zwischen Haltestelle und Flüchtlingsheim sind viele junge Studierende unterwegs. Ich bin mir sicher, dass sie sofort eingreifen würden, wenn etwas passiert. Im Sommer waren nur wenige Leute unterwegs und wenn, dann nur Anwohner und Anwohnerinnen. Bei ihnen weiß ich nicht sicher, welche Gesinnung sie haben. Bei der letzten Bundestagswahl haben in der unmittelbaren Umgebung des Heims 20 Prozent Ultrarechts gewählt, bei der Europawahl waren es bereits 24, 7 Prozent. Die NPD ist sehr stark vertreten.

Wie äußert sich das?

Prasad: Vor der Europawahl hingen um das Heim herum nur NPD-Plakate. Und zwar drei, vier pro Laterne. Alle zum Asylbewerberheim ausgerichtet. Was affig ist, denn aus diesem Heim darf ja niemand wählen. Die Plakate blieben bis zum Schluss hängen, sie wurden nicht beschmiert oder heruntergerissen, wie in anderen Bezirken. Das sagt doch auch etwas über die Umgebung aus.

Haben Sie das Gespräch mit den Anwohnern gesucht?

Prasad: Nein. Das ist eine wichtige Aufgabe, aber meine ist es nicht. Das sollen besser die deutschen Kollegen ohne Migrationshintergrund machen.

"Wir wollten uns nicht aufdrängen"

Haben Sie die Flüchtlinge beraten, wie sie mit Rassismus umgehen können?

Prasad: Sie sprechen manchmal mit den Studierenden oder mit mir darüber. Das ist aber eher informell. Wir haben aber zum Beispiel einen "walking bus“ organisiert. Das bedeutet, das es so etwas wie einen Busfahrplan gibt, auf dem steht, dass um 9:15 Uhr ein Trupp von Studierenden von der U-Bahn ins Asylbewerberheim kommt und um 11:45 Uhr wieder zurück geht. Wer in die Stadt muss, kann mitlaufen und ist sicher.

Das klingt, als seien Sie menschliche Schutzschilde.

Prasad: Wir werden ja nicht attackiert. Das ist das Verrückte. Viele Studierenden und Dozierenden haben ebenfalls einen Migrationshintergrund, aber uns schützt die Institution Hochschule.

Was lernen die Studenten aus dieser Situation?

Prasad: Studierende und Flüchtlinge haben sich angefreundet, sie haben sich auf einen Tee getroffen und dadurch haben sie vieles gesehen, was sie sonst vielleicht nicht einmal geglaubt hätten. Zum Beispiel, in welchen Verhältnissen Flüchtlinge leben müssen.

War es beabsichtigt, dass Freundschaften entstehen?

Prasad: Nein, wir wollten uns nicht aufdrängen. Wir wollten vor Ort sein und sehen, ob uns die Flüchtlinge überhaupt dort haben wollen. Tatsächlich hatten sie sehr viele Anliegen an uns. Manchmal ganz banale Sachen: Wo kriege ich pakistanisches Gemüse her? Oder: Meine Familie ist in Syrien, ich brauche eine Internetverbindung, damit ich mit ihr in Kontakt bleiben kann. Die Idee war auch, dass die Flüchtlinge an den Seminaren teilnehmen können. Dies Angebot wird allerdings nicht genutzt. Sie haben genug andere Probleme.

"Es gibt rassistische Deutsche, aber es gibt auch andere"

Sie bilden professionelle Sozialarbeiter aus. Ist es für die Arbeit überhaupt sinnvoll, wenn sich Studenten und Flüchtlinge anfreunden?

Prasad: Das sind zwei Paar Schuhe: Es geht um ein nachbarschaftliches Miteinander, eine Begegnung zwischen Menschen, die im selben Bezirk wohnen oder studieren. Das ist etwas völlig anderes als später die professionelle Soziale Arbeit. Selbstverständlich muss man dabei Distanz waren.

Was nehmen die Studenten noch aus dem Seminar mit?

Prasad: Sie haben erlebt, wie wertvoll ihre Sprachkenntnisse sind. Das hat mich persönlich sehr gefreut. Arabisch, Serbokroatisch, Farsi – solche Sprachen werden ja sonst nicht geschätzt. Wenn ein Schüler, eine Schülerin Englisch und Deutsch spricht, sind alle ganz begeistert. Wenn er oder sie Arabisch und Deutsch spricht, achten die Lehrer nur darauf, dass das Deutsch gut ist. Aber in unserem Seminar sind gerade diese Sprachenkenntnisse Gold wert. Auf Arabisch konnten die Studierende Kontakt zu syrischen und irakischen Flüchtlingen aufbauen.

Also ziehen Sie eine positive Bilanz?

Prasad: Die Bewohner und Bewohnerinnen des Asylbewerberheims sehen: Es gibt rassistische Deutsche, aber es gibt auch andere. Die Flüchtlinge sollten sich nicht selbst überlassen werden. Das ist gelungen. Aber die Flüchtlinge berichten weiterhin, dass die Gegend ihnen gegenüber sehr feindlich ist. Man muss sich schon überlegen, was man ihnen antut, wenn man sie in so einer Gegend unterbringt.

Wie meinen Sie das?

Prasad: Ich finde, man kann ruhig thematisieren, was die große Politik sich dabei denkt. Es gibt die These, dass es politisch gewollt ist, weil es dann Aufruhr in der Gesellschaft gibt und immer mehr Stimmen für den rechten Rand, aber auch für die CDU.