Kitas sollten soziale und religiöse Not lindern

Adelheid von Hauff
epd-bild/Heike Lyding
Erziehungswissenschaftlerin Adelheid von Hauff würdigt die Badenerin Regine Jolberg (1800-1870).
Erste Kita-Gründungen
Kitas sollten soziale und religiöse Not lindern
Als "Protagonistin der frühkindlichen Bildung" hat die Erziehungswissenschaftlerin Adelheid von Hauff die Badenerin Regine Jolberg (1800-1870) gewürdigt. Diese habe 1840 eine der ersten Einrichtungen für Kleinkinder in Deutschland gegründet, um die soziale und religiöse Not der Zeit zu lindern, sagt von Hauff, die Mitglied in der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Jolbergs Anlegen sei es gewesen, Kindern den christlichen Glauben durch das Erzählen biblischer Geschichten näherzubringen.

epd: Frau von Hauff, welche Bedeutung hat Regine Jolberg für christliche Kindertagesstätten?

Adelheid von Hauff: Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat 2020 auf einen Paradigmenwechsel hingewiesen: "Die bisher überwiegend im Kontext der Familie verbrachten ersten Jahre des Aufwachsens und der frühen Bildung werden mehr und mehr zu einer institutionalisierten Form der Kindheit, die in Betreuungseinrichtungen verbracht wird."

Dieser Paradigmenwechsel hat seinen Anfang bereits im 19. Jahrhundert, als die ersten Kindertageseinrichtungen entstanden. Eine der ersten Kleinkinderbewahranstalten wurde 1840 von der aus Heidelberg stammenden Badenerin Regine Jolberg gegründet, die sie "Kinderpflegen" nannte. Die durch die Berufstätigkeit der Mütter entstandene soziale Not in den Familien motivierte sie, sich der Vorschulkinder anzunehmen.

Die Konvertitin Regine Jolberg würde bekannt als die Gründerin von Kindertagesstätten.

Neben einer sozialpädagogischen Motivation war es ihr ein großes Anliegen, in den Kindern mit biblischen Geschichten und Liedern einen Grundstock für ihren persönlichen Glauben zu legen. Wenn wir heute davon sprechen, dass unsere Kindertageseinrichtungen ein religiöses Profil aufweisen müssen, dann ist es genau das, was Regine Jolberg beabsichtigte.

Wie unterscheidet sich ihr Ansatz von dem des Pädagogen Friedrich Fröbel (1782-1852), der als Begründer der Kindergärten gilt?

Von Hauff: Regine Jolberg hat nahezu zeitgleich mit Friedrich Fröbel Kindertageseinrichtungen und ein Erzieherinnenseminar gegründet. Vordergründig haben beide vergleichbare Einrichtungen ins Leben gerufen. Beide haben Orte geschaffen, an denen Kinder für eine begrenzte Zeit des Tages außerhalb ihres Elternhauses von fremden, aber dafür ausgebildeten Personen betreut, gebildet und erzogen wurden. Beide haben Ausbildungsstätten für Kindererzieherinnen initiiert.

Sie gehen aber von einer unterschiedlichen Theologie und einem unterschiedlichen Menschenbild aus. Friedrich Fröbel will Gotteserkenntnis nonverbal anhand der von ihm entwickelten Spielgaben vermitteln. Für Regine Jolberg ist die Sprache - das Erzählen der biblischen Geschichte - das Medium, mit dem Kinder zum Glauben an Gott geführt werden sollen.

Diskutiert wird, ob sich die Kirche noch eigene Kindertagesstätten leisten kann. Was würde Regine Jolberg dazu sagen?

Von Hauff: Für sie beginnt der Glaube in der frühen Kindheit. Sie hat ihre Kinderpflegen gegründet, weil es ihr wichtig war, sowohl die soziale als auch die religiöse Not ihrer Zeit zu lindern. Regine Jolberg schrieb unmittelbar nach der Gründung ihrer Ausbildungsstätte 1847 in einem christlichen Publikationsorgan: "Es gehört zu den eigenen Führungen und Erziehungsmitteln des Herrn, gerade in einer Zeit eine Anstalt zu gründen und zu vergrößern, wo die äußeren Mittel sich zu vermindern scheinen."

Persönlich antworte ich: Die Religionspsychologie und ganz besonders die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigen, dass die religiöse Sozialisation in früher Kindheit beginnt und große Bedeutung für die Glaubensentwicklung des Kindes hat. Wir sollten als Kirche alles dafür tun, dass wir weiterhin in Kindertagesstätten mit einem religiösen Profil wirken können.