Am Freitag soll im Bundestag das Wehrdienst-Gesetz beschlossen werden. Sind Sie letztlich zufrieden mit dem Kompromiss?
Thomas Röwekamp: Ja, ich bin zufrieden mit dem Kompromiss, aber es bleiben Unsicherheiten im Hinblick auf den notwendigen personellen Aufwuchs bei der Bundeswehr. Wir brauchen mehr Soldatinnen und Soldaten, weil wir der Nato für die gemeinsame Verteidigung gegen eine mögliche russische Bedrohung Fähigkeiten zugesagt haben. Es geht nicht darum, ob wir Soldatinnen und Soldaten gewinnen wollen, sondern wir müssen es.
Haben Sie eine Prognose, wie schnell der Bundestag sich vielleicht mit einem weiteren Schritt, nämlich der Pflicht, beschäftigen muss?
Röwekamp: Ich hoffe, dass wir das nicht müssen, weil ich glaube, dass es besser wäre, wenn wir Freiwillige gewinnen. Wir als Gesellschaft müssen insgesamt wieder lernen, dass der Frieden, die Freiheit, die Demokratie und letztlich auch der Wohlstand, in dem wir leben, nicht immer durch andere gewährleistet und garantiert werden können. Dazu muss jeder selbst einen Beitrag leisten. Aber wenn es mit der Freiwilligkeit nicht funktioniert, werden wir auf die Wehrpflicht zurückgreifen müssen. Das Jahr 2027 wird ein entscheidender Punkt sein. Dann werden wir überprüfen, ob das mit der Freiwilligkeit gelingt oder nicht.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat kürzlich gesagt, man verlange den jungen Menschen damit etwas ab. Sehen Sie das auch so?
Röwekamp: Ja, zumindest fordern wir sie. Ich glaube aber, dass es für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft insgesamt wichtig ist, was wir jetzt am Beispiel Bundeswehr diskutieren. Wir müssen eine neue Form von Solidarität und Gerechtigkeit untereinander finden und akzeptieren, dass wir einzeln gefordert sind, einen Anteil zum Gemeinwohl beizutragen. Es trifft jetzt diese Generation, ist für alle aber langfristig eine Notwendigkeit.
Es hat auch frühere Generationen "getroffen". Sie haben selbst den Grundwehrdienst geleistet. War das eine gute Zeit?
Röwekamp: Ich habe auf jeden Fall eine ganze Menge gelernt, insbesondere natürlich zur Frage von militärischen Fähigkeiten. Ich habe aber auch gelernt, Rücksicht zu nehmen, mich einzuordnen, sich aufeinander verlassen zu können. Als ich gedient habe, gab es noch eine militärische Bedrohungslage. Es gab den Warschauer Pakt, die Sowjetunion und die Grenze mitten durch Deutschland.
"Was fehlt ist die Konkrete Bereitschaft, einen eigenen Beitrag zu leisten"
Auch wenn ich nicht daran geglaubt habe, unmittelbar in einem Krieg kämpfen zu müssen, habe ich den Sinn meines Dienstes erkannt. Damals war es so, dass Frieden durch Abschreckung funktioniert hat. Und das ist die Phase, die jetzt wieder vor uns liegt. Wir werden den Frieden in Europa nur halten können, wenn wir uns verteidigen können, um einen möglichen Krieg durch Abschreckung zu verhindern.
Diese These teilen nicht alle. Die Aufrüstungsbemühungen und der Umgang mit dem Krieg in der Ukraine sind teilweise sogar sehr umstritten. Wie groß ist denn neben der Bedrohungslage die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft?
Röwekamp: Die äußere Bedrohungslage trifft unsere Gesellschaft in einem Zustand, in dem wir ohnehin schon sehr gespalten sind. Das kann man an vielen Punkten festmachen, nicht zuletzt auch an dem sehr starken Zuspruch für die AfD, die Grundprinzipien unserer Gesellschaft an vielen Punkten in Frage stellt. Wir sind in einer inneren Verfasstheit, die es uns noch schwerer macht, eine äußere Bedrohungslage solidarisch zu lösen. Es gibt die abstrakte Erkenntnis, dass es die Bedrohungslage gibt. Was noch fehlt, ist die konkrete Bereitschaft, einen eigenen Beitrag dazu zu leisten, dass es nicht zu einem Krieg kommt.
Wie kann man das ändern?
Röwekamp: Ich nenne ein Beispiel: Es wäre wichtig, dass auch in unseren Schulen über die Notwendigkeit geredet wird, notfalls auch mit militärischen Mitteln unseren Frieden, unsere Freiheit und unsere Demokratie zu verteidigen. Es geht nicht darum, Schulen zu militarisieren, sondern Wissen zu vermitteln - und Zuversicht, dass wir diese Herausforderung bestehen können. Das gehört auch zum Bildungsauftrag.
"Ich bin stolz, dass die Kirche diese Debatte annimmt"
Als Teil des Lehrplans oder durch Besuche der Bundeswehr an Schulen?
Röwekamp: Beides. Ich kann von 18- oder 19-jährigen Schulabgängern nicht erwarten, dass sie sich die ernsthafte Frage stellen, Dienst in der Bundeswehr zu leisten, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt über die Bundeswehr zu wenig erfahren haben. Deswegen bin ich sehr dafür, dass auch Jugendoffiziere in die Schulen gehen - nicht um das Anwerben zu unterstützen, sondern um aufzuklären, was es eigentlich heißt, Soldat zu sein.
Inzwischen hat auch die evangelische Kirche eine neue Position zur Friedensethik vorgelegt, die - grob gesagt - die These teilt, dass Frieden auch durch Abschreckung gewahrt werden kann. Hat Sie das überrascht?
Röwekamp: Ja, das muss ich zugeben. Aber ich bin stolz darauf, dass die Kirche diese Debatte um Krieg und Frieden annimmt, weil wir die nicht nur im Parlament, sondern in der gesamten Gesellschaft brauchen. Denn es geht auch um Fragen von Zusammenhalt, Solidarität und Gemeinsamkeit.
Spielt es für Sie eine Rolle, welche Positionen die Kirche einnimmt?
Röwekamp: Als jemand, der auf der einen Seite Politik macht, aber auf der anderen Seite die politischen Entscheidungen auch aus seinem christlichen Menschenbild herleitet, gibt mir das Rückhalt. Es gibt auch Gewissheit, dass ich nicht gegen religiöse Überzeugungen oder gegen die Überzeugung meiner eigenen Kirche politische Entscheidungen treffe. Das hilft mir.
Haben kirchliche Stellungnahmen aber insgesamt in der Politik noch eine Bedeutung?
Röwekamp: Ich denke schon. Sowohl unsere Verfassung als auch zum Beispiel das Programm meiner Partei nehmen deutlichen Bezug zum christlichen Menschenbild. Deswegen hat es Einfluss, was die Kirche denkt. Das gilt nicht nur bei Fragen von Krieg und Frieden, sondern auch etwa bei Migration und Flucht, Bewahrung der Schöpfung. Da kann sich die Kirche schon gewinnbringend einbringen.
Gerade das Thema Flucht und Migration wurde sehr kontrovers zwischen den Kirchen und ihrer Partei verhandelt. Wie ist denn im Moment nach Ihrer Einschätzung das Verhältnis? Ist etwas zurückgeblieben nach der Kontroverse um die Abstimmung kurz vor der Bundestagswahl, als ein Antrag der Union zur Asylpolitik mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekam?
Röwekamp: Bei mir persönlich nicht. Und ich glaube auch, dass man da unterscheiden muss. Es wird immer so sein, dass Kirche zu solchen Fragen eine andere Auffassung hat als Politik. Der Kirche muss es darum gehen, jedes Menschenleben zu retten. Das ist auch meine Glaubensüberzeugung. Politische Entscheidungen müssen aber Abwägungsprozesse vornehmen: Gibt es gesellschaftliche Akzeptanz für einen großen Zuzug von Migranten? Schafft unsere Gesellschaft die Integrationsbemühungen? Sind die Lasten in Europa fair verteilt? Das alles muss Kirche nicht entscheiden, Politik aber schon. So kommt es zu Widersprüchen, mit denen man leben muss. Wenn man das akzeptiert, kann es nicht zu einem Zerwürfnis kommen.



