Mit seinen fast immer im Schwarzwald angesiedelten Geschichten aus Freiburg hat der SWR eine ganz eigene Sonntagskrimi-Atmosphäre geschaffen, die im Grunde eher zum "Polizeiruf" als zum "Tatort" passen würde. Land und Leute spielen eine wichtige Rolle, die Inszenierungen sind oft eher bedächtig, die Handlungen fesseln vor allem wegen der Figuren.
Fall Nummer 15 für das Duo Franziska Tobler und Friedemann Berg (Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner) erfüllt all’ diese Kriterien und ist trotzdem ein besonderer Film - und das nicht nur, weil "Der Reini" die erste Zusammenarbeit von Bernd Lange (Buch) und Robert Thalheim (Regie) seit "Goldbach (2017) ist. Der Auftakt hat damals die typischen Merkmale der Schwarzwald-Krimis vorgegeben: betont unspektakulär, keine Gaststars, viel Lokalkolorit, aber stets dicht erzählte Geschichten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ist diesmal nicht anders, selbst wenn sich der Handlungskern auf einen Nenner bringen lässt: Berg hat ein Problem, und das ist die Titelfigur. Sein Bruder Reinhard, genannt Reini (Felician Hohnloser), ist in den Filmen bislang nie aufgetaucht, weil er sein Dasein seit vielen Jahren in einer geschlossenen Anstalt fristet. Der Grund für seine Wegsperrung lässt sich nach und nach erahnen: Ein unter Beton verschlossener Brunnenschacht auf dem elterlichen Hof birgt ein düsteres Geheimnis. Nun jedoch hält sich Reini für geheilt und hat seine Entlassung selbst in die Hand genommen. Zum Entsetzen der gänzlich unerfahrenen jungen Kollegin Ella (Luise Aschenbrenner) lässt Berg, als er das hört, am Tatort der Ermordung eines Apothekers alles stehen und liegen und rast zu dem Hof, auf dem er mittlerweile wieder lebt.
Dort findet er jedoch nicht nur Reini vor: Der Bruder ist in Begleitung der wortkargen Mika (Mareike Beikirch), die er als seine Freundin vorstellt. Mit diesen beiden wäre Berg fertig geworden, aber der aggressive Kopf des Trios entpuppt sich als tickende Zeitbombe: Luke Badrow (Karsten Antonio Mielke) ist ein brutaler Gewaltverbrecher, der nur aufgrund eines juristischen Kniffs nicht im Gefängnis, sondern in der Psychiatrie gelandet ist. Vermutlich hat er auch den Apotheker mit dessen eigener Waffe erschossen, denn in der Scheune steht der Wagen des Opfers. Der Verbrecher darf auf keinen Fall erfahren, dass Berg Polizist ist.
Das ist natürlich nicht zuletzt wegen der verschiedenen Fluchtversuche ein Thriller-Stoff, aber Thalheim, der unter anderem die beiden fröhlichen Agentenfilmparodien "Kundschafter des Friedens" (2017/2025) gedreht hat, bleibt dem ruhigen Stil der Schwarzwald-Krimis treu. Der Film fesselt daher vor allem wegen der Frage, wie der samt Reini, Mika und schließlich auch Kollegin Tobler als Geiseln genommene Kommissar aus der Sache rauskommt.
Nicht zuletzt die durchgehend düsteren Bilder geben schon früh kaum Anlass zur Hoffnung, dass alle Beteiligten überleben werden. Besonders interessant ist naturgemäß das Verhältnis der beiden Brüder: Reini, der sich mit Mika nach Marokko absetzen will, hat keine Lust mehr, sich vom älteren Friedemann bevormunden zu lassen. Deshalb hat er Badrow zum neuen großen Bruder erkoren, aber für den zumindest in dieser Hinsicht berechenbaren Verbrecher ist er selbstredend bloß ein Mittel zum Zweck. Karsten Antonio Mielke ist eigentlich eine ausgezeichnete Besetzung für diese Rolle, allerdings schreit er zu oft; Badrow wirkt viel bedrohlicher, wenn Mielke mit Zwischentönen spielt.
Sehenswert ist "Der Reini" auch wegen der Bildgestaltung (Kamera, wie schon bei "Goldbach": Andreas Schäfauer). Weite Teile des Films spielen in der Küche wie auch im Keller des Hauses. Das Szenenbild (Söhnke Noé) wird von Brauntönen dominiert, durch die Fenster fällt nur wenig Licht, Dunst in der Luft betont die räumliche wie auch die situative Beengtheit.
Während sich Berg den Kopf zerbricht, wie er seinen Bruder und dessen Freundin retten kann, rätseln die beiden Kolleginnen, warum der telefonisch nicht mehr zu erreichende Hauptkommissar einfach vom Tatort abgehauen ist. Tobler, die eigentlich bei einem Seminar für Führungskräfte war, überträgt Ella die Leitung der Ermittlungen im Apothekermord und fährt zum Hof der Familie Berg, um nach dem Rechten zu sehen.
Natürlich führt Lange in seinem vierten Drehbuch für den Breisgau/Schwarzwald-"Tatort" auch die horizontale Erzählung der letzten Filme fort: Dass Tobler sich anschickt, die Dezernatsleitung zu übernehmen, hat dem Verhältnis des Duos nicht gut getan; und jetzt kennt die Kollegin auch noch das düstere Familiengeheimnis von Familie Berg.