"Geist der Verbundenheit ist geblieben"

Vera Rüttimann
Die Dresdner Frauenkirche wurde nach dem 2. Weltkrieg zum vierten Mal wiederaufgebaut. Sie soll eine Stätte vielfältiger gottesdienstlicher Nutzung und der Begegnung sein, erklärt Pfarrerin Angelika Behnke.
Das Wunder von Dresden
"Geist der Verbundenheit ist geblieben"
Am 30. Oktober 2005 wurde die wiederaufgebaute Dresdner Frauenkirche eingeweiht. Im Gespräch mit evangelisch.de-Mitarbeiterin Vera Rüttimann verrät Angelika Behnke, die seit 2016 Pfarrerin an der Frauenkirche in Dresden ist, was diesen Ort heute ausmacht, wer sich in der Frauenkirche engagiert und warum das "Wunder von Dresden" bis heute vielfach nachwirkt.

evangelisch.de: Vor 20 Jahren wurde die Frauenkirche wiedereröffnet. Wie lebendig ist diese Kirche heute?

Angelika Behnke: Die Dresdner Frauenkirche ist bereits seit der Weihe ihrer Unterkirche 1996 ein lebendiges evangelisches Gotteshaus. Zugleich ist sie mehr als ein Versammlungs- und Gebetsort für Christinnen und Christen.

Die täglichen Angebote orientieren sich an der Satzung, der die Stiftung Frauenkirche Dresden verpflichtet ist: Demnach soll die Frauenkirche eine Stätte vielfältiger gottesdienstlicher Nutzung und der Begegnung sein, die ein gemeinschaftliches Europa bejaht und einen Ort des religiösen und gesellschaftlichen Dialogs bietet.

Wie sehen die Angebote in der Frauenkirche Dresden konkret aus?

Behnke: Das breite Spektrum geistlicher und kirchenmusikalischer Angebote, in denen ökumenische Weite und interreligiöse Zusammenarbeit gelebt werden, die Vorträge, Foren, Konzerte und Ausstellungen sind dafür bewährte Formen und geben Spielraum für Ideen zur zeitgemäßen Weitergabe des Gedankens von Frieden und Versöhnung an kommende Generationen.

Angelika Behnke ist seit 2016 Pfarrerin an der Frauenkirche in Dresden.

Die Frauenkirche ist als Citykirche nahezu an 360 Tagen im Jahr geöffnet und lädt ein zu Gebet und Segen, zur Seelsorge, zu Kirchenführungen, Musik- und Kunstgenüssen für Groß und Klein und zum gesellschaftlichen Diskurs auf biblisch-theologischer Grundlage.

Die Frauenkirche ist also doch kein Museum, wie Tourist:innen  manchmal glauben?   

Behnke: Keinesfalls. Die Frauenkirche wird als ein im Zweiten Weltkrieg zerstörtes und nach der Wiedervereinigung Deutschlands wiedererrichtetes barockes Bauwerk vielfach zunächst als die Sehenswürdigkeit und das Wahrzeichen Dresdens wahrgenommen.

"Unser Blick richtet sich auf das Gemeinwesen, das eben überwiegend säkular geprägt ist"

Sie liegt im stark säkularisierten Osten des Landes. Umso mehr überrascht es viele Gäste (nicht nur die Menschen ohne konfessionelle Bindung), dass diese Kirche eben kein Museum ist, sondern ein so umfangreiches gottesdienstlich-spirituelles Leben bietet. Dabei orientieren wir uns an dem biblisch-prophetischen Wort: "Suchet der Stadt Bestes".

Unser Blick richtet sich auf das Gemeinwesen, das eben überwiegend säkular geprägt ist. Dieser Offenheit und Weite in der Ausrichtung kann durch die Organisationsform einer Stiftung sehr gut entsprochen werden. So wurde mit dem Wiederaufbau der Kirche keine klassische Kirchgemeinde wieder gegründet. 

Was sind das für Menschen, die sich für die Frauenkirche Dresden engagieren?

Behnke: Schon seit der Enttrümmerung der Ruine in den 1990er Jahren wuchs aber eine Gemeinschaft, die ich gern als "Gemeinde der Herzen" beschreibe. Auch wenn das etwas kitschig klingen mag: Ich finde, es beschreibt treffend, dass es viele, viele Menschen, nicht nur in Dresden und Deutschland, sondern weltweit gibt, die sich der Frauenkirche wahrhaft herz-lich verbunden fühlen. Sie nehmen regen Anteil an allem, was wir tun.

"Etwa 350 Menschen gestalten im Ehrenamt das Leben in der Frauenkirche aktiv mit"

Sie sind kritische Ratgeber, Spenderinnen, Konzertgäste. Sie sind Vortragende, Multiplikatoren, Stifter:innen, Orgel- oder Steinpaten. Sie lassen sich in der Frauenkirche trauen, konfirmieren oder taufen. Und – etwa 350 Menschen gestalten im Ehrenamt das Leben in der Frauenkirche aktiv mit, als Kirchenführer:in, im Seelsorgeteam, als Gottesdiensthelfer:in, Chormitglied, Lektor:in. Deren wertvolle Dienste werden koordiniert und begleitet durch rund 40 hauptamtliche Mitarbeitende der Stiftung.

Gibt es einen Austausch zwischen alteingesessenen Dresdner:innen und jüngeren Menschen?

Behnke: Noch sehr frisch ist der positive Eindruck der Begegnungen verschiedener Generationen während eines besonderen kommunalen Projektes. Im Frühjahr war die Stiftung Initiatorin und Durchführende des Bürgerrats "Friedensstadt Dresden". Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener Prägung, politischer Ausrichtung, Herkunft und Milieuzugehörigkeit diskutierten über eine friedlichere Stadt und erarbeiteten ein Bürgergutachten. Es war ein Erlebnis zu sehen, wie trotz aller Diversität und harten Ringens in der Sache ein wertschätzender Umgang gepflegt wurde.

Eine aktuelle Kunstausstellung soll die Generationen ins Gespräch bringen. Was ist da zu sehen?

Behnke: Die aktuelle Installation von Fernando Sánchez Castillo "Unerhört leise!" wird Anlass sein, dass ältere Dresdner:innen über ihr Engagement für den Frieden während der DDR-Diktatur berichten. Das Kunstwerk mit seinen 5.000 knienden Frauenfiguren, die Kerzen aufstellen, erinnert an den stillen, aber mutigen Protest junger Menschen am 13. Februar 1982 an der Ruine der Frauenkirche.

Am 13. Februar gibt es immer wieder auch Aufmärsche von rechten Gruppierungen. Wie geht die Gemeinde mit dem Rechtsruck in Teilen Ostdeutschlands um?

Behnke: Wir setzen uns aktiv für die Einübung demokratischen Denkens und Handelns ein, etwa durch die Ausbildung von Friedensmentor:innen. Wir arbeiten eng mit zivilgesellschaftlichen Partner:innen zusammen, die sich für Frieden, Verständigung und Menschenwürde engagieren, und beziehen klar Position für Toleranz, Respekt und Gewaltfreiheit.

"Das Wunder des Wiederaufbaus der Frauenkirche war nicht allein ein architektonisches oder handwerkliches Wunder, sondern vor allem ein geistiges"

Mich bewegt besonders der Gedanke, der oft stillen Mehrheit Stimme und Sichtbarkeit zu geben – jener Mehrheit, die die Menschenwürde uneingeschränkt bejaht und unsere Demokratie liebt, mit all ihren Schwächen und Stärken. 

Während die neue Frauenkirche vor über 20 Jahren in den Himmel wuchs, sprachen die Medien vom "Wunder von Dresden". Was hat für Sie dieses Wunder damals ausgemacht?

Behnke: Das Wunder des Wiederaufbaus der Frauenkirche war nicht allein ein architektonisches oder handwerkliches Wunder, sondern vor allem ein geistiges: die Kraft der Gemeinschaft, der Zuversicht und des unbeirrbaren Glaubens an Versöhnung und Neubeginn.

Beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche gab es eine Ausstellung rund um die Baustelle.

Über Jahre hinweg haben sich Menschen unterschiedlicher Generationen, Konfessionen und Hintergründe aus Dresden, Deutschland und der ganzen Welt zusammengetan, um etwas Einzigartiges entstehen zu lassen.

Was ist von diesem Geist, wie Sie ihn beschreiben, geblieben?

Behnke: Dieser Geist der Verbundenheit, der Hoffnung und des Mutes ist geblieben. Er prägt bis heute die Frauenkirche als lebendigen Ort des Gebets, des Dialogs und der Begegnung. Wer hierherkommt, spürt die Offenheit, die das Fundament der Kirche seit jeher trägt: dass aus Ruinen Neues wachsen kann, dass Verletzungen heilen und dass Menschen gemeinsam Visionen von Frieden und Gemeinschaft Wirklichkeit werden lassen. Dieses "Wunder" lebt weiter in den Taten, der Kreativität und der Herzlichkeit aller, die die Frauenkirche zu dem machen, was sie heute ist.

Was ist zum Tag des 20. Jahrestages der Einweihung der Frauenkirche geplant?

Behnke: Die Frauenkirche wurde am 30. Oktober 2005 geweiht, also am Sonntag vor dem Reformationsfest. Seither begehen wir an diesem Wochenende das Kirchweihfest. Traditionell gestalten wir es mit vielfältigen Angeboten von Gottesdiensten, Konzerten und Möglichkeiten der Begegnung.

In diesem Jahr freuen wir uns besonders, dass die neue Bischöfin aus unserer Partnerstadt und von unserer Partnerkathedrale Coventry, Bischöfin Sophie, die Festpredigt im 11-Uhr-Gottesdienst am Kirchweihsonntag halten wird. 
Ehrenamtliche, die täglich das Leben in der Frauenkirche mitgestalten, wirken am Gottesdienst mit, in welchem das international verbreitete Friedenslied "We shall overcome" auf verschiedene Weise zum "Klingen" gebracht wird. Am Abend feiern wir einen ökumenischen Gottesdienst mit dem Thema einer noch viel älteren – im übertragenen Sinn - zu verstehenden "Glaubensheimat": zum 1700. Jubiläum des Glaubensbekenntnisses von Nicäa. 

Wie sieht das musikalische Rahmenprogramm aus? 

Behnke: Bereits am Vorabend und auch am Kirchweihsonntag laden die Ensembles der Frauenkirche zu zwei Konzerten ein, und die Fördergesellschaft, die der Stiftung seit drei Jahrzehnten zur Seite steht, trifft sich mit ihren Mitgliedern aus allen Teilen Deutschlands in Dresden. Wir freuen uns auf zahlreiche Gäste – manche werden den Weg der Frauenkirche seit vielen Jahren begleiten, andere die Kirche neu für sich entdecken. Das ist ein Geschenk!