Wie essbar ist unsere Landschaft?

Schubkarre unter Apfelbaum
Pia Bayer/dpa
Unsere Autorin Laura Albermann hat in der Nachbarschaft dank der App "mundraub" essbare Schätze gefunden. (Symbolbild)
Projekt "Mundraub"
Wie essbar ist unsere Landschaft?
Wissen Sie, woher ihr regionales Obst kommt – und was Sie davon direkt vor der Haustür sammeln könnten? Das Projekt "mundraub" will kulinarische Vielfalt und nachhaltigen Konsum sichtbar machen: ein Erfahrungsbericht.

Kirschen aus Nachbars‘ Garten, Löwenzahn vom Straßenrand oder auch Äpfel vom Feld – das waren noch Zeiten, als regionale und saisonale Lebensmittel nicht nur aus dem Supermarkt oder vom Wochenmarkt kamen. Wie viele Lebensmittel kennen Sie, die in ihrer direkten Umgebung wachsen?

Genau hier stellt sich das Projekt "mundraub" vor – was eigentlich für geringfügigen Diebstahl steht, wird hier zur Tugend. Die Plattform für "essbare Landschaften" hat sich 2009 gegründet und setzt sich seither für ein größeres Bewusstsein für Regionalität und Saisonalität ein. "mundraub" will ermuntern, auf Spaziergängen in der eigenen Umgebung die Augen zu öffnen und überrascht zu werden. So soll eine Gemeinschaft entstehen, die unsere Landschaft als gemeinsamen, nachhaltigen Lebensraum begreift.

Vor allem ist "mundraub" ein Gemeinschaftsprojekt. Über die Karte lassen sich öffentliche Obstbäume, Nuss-Sträucher, Kräuter oder Beerenstandorte finden – oft mitten in der Stadt, geteilt von Mitgliedern der Online-Community. Ich habe den Selbstversuch gewagt, nachdem ich die Plattform schon einige Jahre kannte.

Ein Selbstversuch

Dabei ist mir wichtig, nicht weit weg zu fahren – auch wenn viele Ecken Frankfurts nicht besonders grün sind, bin ich mir sicher, ein paar Schätze finden zu können - selbst im Oktober. Von der evangelisch.de-Redaktion aus schaue ich mir die mundraub-Karte genau an: Walnüsse, Brombeeren, Schlehendorn und Holunder zeigt die Karte in meiner Umgebung, und dazu noch Steckbriefe mit Erntezeit, botanischer Herkunft und Rezepten. Maronen-Brownies oder Apfel-Holunder-Marmelade hören sich besonders verlockend an. Für Kirschen ist es zu spät im Jahr, die anderen Obst- und Nusssorten haben gerade Erntezeit.

Ich ziehe also in Richtung der Walnüsse in den Stadtteil Riedberg los und erkunde dabei ein mir komplett neues Wohngebiet. Die Nussbäume sind gar nicht so einfach zu finden. Ganz am Rande einer Wohnsiedlung, abseits der Reihenhäuser, finde ich mich dann doch auf einer Art Allee, ohne festen Gehweg, entlang derer gleich mehrere Walnussbäume stehen und zu meiner Begeisterung auch zwei Esskastanienbäume. Diese haben ihre stacheligen Früchte schon fast vollständig fallen lassen – ein Jackpot!

Abseits der Reihenhäuser hat Laura Albermann Walnüsse gefunden.

Diese Regeln sollten beachtet werden

Ganz regellos sollte man das Sammeln nicht angehen – darauf verweist auch "mundraub". An erster Stelle stehe das Eigentumsrecht – auf privaten Grundstücken darf man nicht einfach so Obst oder andere Güter mitnehmen. Gerade Bauern beklagen immer wieder, dass das sogenannte "Stoppeln" von Kartoffeln, Möhren oder Zwiebeln auf ihren Feldern überhand nehme und Sammler oft kiloweise Gemüse klauen, wie Heiko Brandt, Chef bei der Calbenser Handelsgesellschaft, im vergangenen Jahr Agrarheute erklärte. Ein solches Vorgehen ist Diebstahl – und hat nichts mehr mit Mundraub zu tun.

Auch in (Natur-) Schutzgebieten ist das Pflücken und Sammeln verboten. Auf öffentlichen Wegen und Plätzen wird das Eigentumsverhältnis unklarer. Die sogenannte Handstraußregelung erlaubt es gesetzlich, auf allgemein zugänglichen nicht geschützten Flächen Pflanzen und ihre Früchte in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf zu sammeln. Wer auf Nummer sicher gehen will, ob er sich an Bäumen und Büschen bedienen darf, kann sich auch an lokale Grünflächenämter oder an die Naturschutzbehörden wenden. 

Nehme nur so viel mit, wie du selbst verbrauchen oder an andere verteilen kannst, damit etwas für andere Sammler und Tiere übrig bleibt – das empfiehlt auch "mundraub". Ich schäle nur eine große Handvoll Walnüsse aus ihren schon braunen Schalen. Für die Esskastanien riskiere ich allerdings einige Stachel in meinen Fingern und fülle ein größeres Einmachglas bis zum Rand, um sie mit meinen Mitbewohnerinnen zu teilen. Zwischen Stacheln und der Färbekraft der Walnussschalen nehme ich mir vor, beim nächsten Mal lieber Handschuhe einzupacken!

Eine alte Sammlerweisheit besagt: "Nehme nur so viel, wie du selbst verbrauchen kannst."

In der Regelübersicht der Seite "mundraub" wird noch auf einen weiteren wichtigen Punkt hingewiesen: den bewussten und behutsamen Umgang mit Bäumen und Pflanzen, um diese langfristig zu erhalten. Die überwiegende Mehrheit aller Obstbäume auf öffentlichen Flächen werde nicht fachgerecht oder überhaupt nicht gepflegt, schreibt Kai Goldhirn in einem Artikel der Organisation – obwohl diese zur Biodiversität sowie zur Zukunftsfähigkeit und Resilienz von Kommunen beitragen würden.

In Gemeinschaft für nachhaltigeren Konsum

Eine Station nehme ich mir für meinen Ausflug noch vor, bevor es dunkel wird: die Brombeeren, die ich angeblich in der Nähe einer U-Bahn Haltestelle finden soll. Nach ca. 20 Minuten Spaziergang sehe ich dort tatsächlich einen 50 bis 70 Meter langen Streifen verwilderter Brombeersträucher – leider fast ausnahmslos leer, die Saison ist wohl schon zu Ende. Eine einzige kleine, aber reife Brombeere pflücke ich und lasse sie mir schmecken – an mögliche Schädlinge denke ich erst wenige Minuten später. Sonst hängen nur einzelne unreife, harte Beeren im Gestrüpp. Trotzdem bin ich mit meiner Ausbeute für diesen kleinen Ausflug mehr als zufrieden, und auch die frische Luft tut nach dem Tag im Büro gut.

Auf dem Rückweg entdecke ein weiteres Beispiel dafür, warum Angebote wie "mundraub" oder Online-Gruppen zum Teilen von Lebensmitteln dazu beitragen können, gegen die Verschwendung von Essern vorzugehen: Auf einem Gehweg finde ich einige reife Birnen, sicher sechs bis acht Stück, allesamt zermatscht und überfallen von Wespen. Sie sind von einem Baum im Vorgarten eines Einfamilienhauses gefallen. Schade um die schönen Birnen, über die sich sicher jemand gefreut hätte – zwar haben jetzt die Insekten etwas davon, dafür könnten die Wespen aber für Menschen bedrohlich werden. Und zermatschtes Obst auf dem Gehweg ist leider auch kein schöner Anblick.

Mein Ausflug hat mir vor allem eines gezeigt: mit wie wenig Bewusstsein für die Natur und ihre Schätze ich Tag für Tag durch die Stadt laufe. Wann man Bärlauch oder Pilze sammeln kann, ist mir und anderen durch jährliche Trends meist bewusst. Aber gerade Obst, Nüsse oder Kräuter beziehen die meisten aus dem Supermarkt, ohne Bewusstsein für die Herkunft. Das Label "regional" auf Verpackungen, dass synonymisch für Qualität und Umweltfreundlichkeit wirken soll, hilft dabei kaum – es macht die Herkunft nicht greifbarer. Die Karte, lebensnahe Tipps und der Austausch unter den Mitgliedern von "mundraub" schaffen genau das: das direkte Erleben unserer kulinarischen Landschaft, für das man nur ein bisschen Hunger für Neues braucht.