Die Pfarrerin, die mit den Zehen tauft

Pfarrerin Sabine Wendlandt im grünen Kleid.
epd-bild/Ulrich Fricker
"Dass ich keine Arme habe, erleichtert mir den Zugang zu Patienten", erklärt Pfarrerin Sabine Wendlandt. Sie ist als Seelsorgerin an einem Zentrum für Psychiatrie tätig.
Alltag ohne Arme
Die Pfarrerin, die mit den Zehen tauft
Sabine Wendlandt ist ein Opfer der Contergan-Katastrophe: Sie kam ohne Arme auf die Welt. Später wurde sie Pfarrerin. Ihre Hände ersetzt sie durch ihre Füße und so tauft sie auch mit den Zehen. Ende Oktober geht die Seelsorgerin der Insel Reichenau in den Ruhestand.

Am Anfang legt sich erst einmal Verlegenheit über das Treffen. Sabine Wendlandt sitzt in einem leuchtend grünen Kleid mit kurzen Ärmeln auf dem Sofa. Sie lächelt kurz, bevor sie sich weiter mit ihrem Handy beschäftigt.

Das geschieht auf ungewöhnliche Art, denn sie schreibt ihre Nachricht mit dem linken Fuß. Den Stift zwischen zwei Zehen eingeklemmt, bewegt sie ihn über den kleinen Bildschirm. Wendlandt wurde 1962 in Pforzheim ohne Arme geboren. "Meine Mutter hat ein einziges Mal Contergan genommen", berichtet sie im Gespräch.

Contergan kam Mitte der 50er Jahre als Beruhigungs- und Schlafmittel auf den Markt. Zahlreiche Schwangere griffen zum damals neuen Arzneimittel, bevor es 1961 aus dem Verkehr gezogen wurde. Denn die Tabletten, die man ohne Rezept in der Apotheke holen konnte, hatten schlimme Nebenwirkungen. Babys kamen mit verkürzten Armen oder Beinen auf die Welt oder mit unvollständigen Händen.

Wendlandt erzählt ohne Sentimentalität von ihrem Leben. Sie denkt praktisch und ist mit einer ungeheuren Energie ausgestattet. Am liebsten wäre sie Ärztin geworden, doch erkannte sie, dass der Beruf stark an manuelles Handeln gebunden ist. "Warum nicht Pfarrerin?", dachte sie damals. Und reflektiert die Entscheidung folgendermaßen: "Singen, lachen, weinen, denken, hören, sprechen und beten, das kann ich ja."

Seit inzwischen zehn Jahren dient sie als Pfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Baden auf der Reichenau. Die Gemeinde im Landkreis Konstanz umfasst die gleichnamige Insel im Bodensee, aber auch Flächen auf dem Festland. Im Sommer lädt Wendlandt regelmäßig zur Seetaufe ein. Dann kommen Familien aus dem ganzen Kreis Konstanz mit Sonnenschirm, Kühlkiste und Sippschaft, um sich dem biblischen Ritual anzuvertrauen.

Dabei steht die Theologin im schwarzen Talar im flachen Bodensee. Sie bittet die Kinder zu sich. Dann nimmt die Pastorin eine Jakobsmuschel zwischen die linken Zehen, füllt sie mit Seewasser und gießt das Wasser über den Kopf des Täuflings. Der Pate senkt sich dabei tief hinunter, fast mit den Knien im Wasser, das Kind schwebt knapp über der Wasserlinie. Ein Raunen geht durch die Menge, erfüllt mit Respekt.

Wendlandt sagt, sie hadere heute nicht mehr mit ihrem Los. Aber das war nicht immer so. Während ihres Studiums hatte sie Bedenken, welche Gemeinde denn auf eine "behinderte Pfarrerin" wartet. Als sie sich als junge Pfarrerin um eine Stelle bewarb, war leises Murren zu vernehmen - wegen einer Pastorin, die von einigen Gemeindemitgliedern als unvollständig empfunden wurde. Bei einer Trauung beschwerte sich der Brautvater: Er wünsche sich "erstklassiges Personal", wörtlich. Zeitweise sei sie überehrgeizig gewesen.

Bei ihrer zweiten Stelle empfindet sie sich als Contergan-Geschädigte sogar manchmal im Vorteil. Die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringt sie als Seelsorgerin am Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP). "Dass ich keine Arme habe, erleichtert mir den Zugang zu Patienten", erklärt sie. Gerade Menschen, die Gewalt ausgesetzt waren und sich vor Übergriffen fürchten, hätten Vertrauen zu ihr. "Ich kann die Hand nicht gegen sie erheben", sagt sie. Schon allein deshalb könnten sich die Patienten entspannen.

Caroline Renz, die als Sozial- und Theaterpädagogin am Zentrum arbeitet, sagt, dass die Pfarrerin den Patienten mit ganz viel Herzlichkeit und Offenheit begegne. "Das spüren die Patienten und geben ganz viel zurück," so Renz. Wenn Wendlandt Ende Oktober in Rente gehe, verliere das Zentrum eine "bekannte Persönlichkeit".

Auch den Alltag im Pfarrbüro meistert Wendlandt auf ihre Art. Auf ihrem Laptop schreibt die Mutter eines Sohnes mit dem linken Fuß mit Stiften. Das Telefon ist so an der Wand befestigt, dass sie es mit der rechten Schulter lösen und zwischen Schulter und Backe halten kann.

Unterlagen oder Papiere breitet die Pfarrerin am Boden aus, da kann sie das Material spielend mit den Zehen dirigieren. Was wie Unordnung am Boden wirkt, dient ihr als stützende Struktur. Ihre täglichen Fußgriffe sind eingeübt, es läuft. Nur manches Mal kann es sein, dass sie einen Schlüssel verlegt - den deponiert sie gelegentlich im Schuh.