22 Euro – was kann ein Kind in Deutschland damit anfangen? Vielleicht einen Nachmittag im Kino verbringen oder ein paar Snacks kaufen. In Ländern wie Malawi, Sambia, Südsudan, Simbabwe oder Madagaskar dagegen reicht derselbe Betrag, um ein Kind ein ganzes Schuljahr lang täglich mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen. Genau das ermöglicht die Kinderhilfsorganisation Mary’s Meals – inzwischen für drei Millionen Kinder in 16 der ärmsten Länder der Welt. Diese beeindruckende Zahl wurde jetzt in Frankfurt am Main mit den Vertretern aus den genannten Ländern gefeiert.
"Ich staune immer wieder darüber", sagt Maria-Christina von Habsburg, Vorsitzende von Mary’s Meals Deutschland, "wie viele ganz unterschiedliche Menschen sich von dieser einfachen Vision anstecken lassen und sich der Bewegung in Deutschland angeschlossen haben: Kinder, Rentner, Unternehmer, Künstler, Menschen jeden kulturellen, religiösen und auch finanziellen Hintergrunds." Die Idee der internationalen Organisation ist wirklich einfach, dafür umso wirkungsvoller: In Gegenden mit niedriger Einschulungsquote, selbst in Rebellen-Gebieten, sollen Kinder notleidender Familien einen Anreiz bekommen, die Schule zu besuchen. Wenn die Armut groß ist, kann das Kind nicht zur Schule, sondern muss zu Hause helfen oder durch harte Arbeit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen.
Wer doch in die Schule kommt, ist häufig zu hungrig, um aufmerksam zu lernen, viele der jungen Schüler brechen frühzeitig ab. Eine warme Mahlzeit pro Tag aber kann das ändern: Sie gibt Energie, Eltern können ihre Kinder sorgenfrei in die Schule schicken – und so öffnet sich für sie die Tür zu Bildung und einer besseren Zukunft. "Es ist so einleuchtend: Essen für Kinder, die hungern; Bildung, Hoffnung, Zukunft. Das macht für mich Mary's Meals sehr besonders, diese Einfachheit. Auch die Effektivität – dass man mit jedem Euro so viel erreichen kann", so Maria-Christina von Habsburg.
Damit dies gelingt, werden die Gemeinschaften vor Ort von Mary’s Meals mit allem Notwendigen für die Zubereitung versorgt, geschult und betreut – umgesetzt wird das Programm jedoch eigenständig. Dr. Erin Pratley, Chief Programme Officer (Leiterin des Programms) von Mary’s Meals International, sagt: "Unser großes Ziel ist es, dass Mary’s Meals irgendwann nicht mehr notwendig ist." Noch sei man allerdings weit davon entfernt. "Aber unsere Bewegung wächst, und wir wollen noch mehr Kinder unterstützen."
Die Herausforderungen vor Ort sind groß. Manche Schulen, etwa in Madagaskar, sind nur zu Fuß erreichbar. Schon um fünf Uhr morgens heizen die Mütter die Kessel an, damit die Kinder pünktlich ihr Essen bekommen. In manchen Ländern, in denen Mary’s Meals arbeitet, etwa im Südsudan, liegen die Schulen teilweise in Gebieten, die von Rebellen kontrolliert werden. Dr. Cornelis Chipoma, Vorstandsmitglied aus Sambia, sagt: "Aber wenn sie in der Schule sind, schließen sie sich nicht den Rebellen an. Sie wollen jeden Tag kommen und sie wollen, dass auch ihre Geschwister folgen, sobald sie alt genug sind." Manchmal sei es sogar der Fall, dass die Kinder das Essen mit nach Hause nehmen, um es mit ihnen zu teilen, obwohl sie es eigentlich dringend selbst brauchen, um konzentriert lernen zu können.
Ein besonders erfolgreiches Beispiel ist Malawi. "Ich hatte einmal die Chance nach Malawi zu reisen und einige Schulen zu besuchen", erzählt Maria-Anna Stauffenberg, Mitglied des Vorstands von Mary’s Meals Deutschland. "Die Lebensfreude und Lebendigkeit der Kinder haben mich beeindruckt, wusste ich doch aus Erzählungen von Magnus, dem Gründer von Mary’s Meals, dass in den Schulen, die wir noch nicht erreicht haben, selbst in der Pause gespenstische Stille herrscht. Die Kinder haben nicht mal Energie zum Spielen, wenn sie hungrig sind."
Lothar Juli, verantwortlich für Social Media bei der Organisation in Deutschland berichtet: "In Malawi versorgen wir die meisten Schulen. Ein Drittel aller Grundschulkinder erhält hier Mary’s Meals." Vor sechs Jahren versorgte die Organisation weltweit insgesamt 1,7 Millionen Kinder, vor drei Jahren wurde die Zwei-Millionen-Marke überschritten. "Jetzt haben wir innerhalb von drei Jahren noch eine Million Kinder zusätzlich erreicht – trotz dem Anstieg der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt durch Corona und dem Ukraine-Krieg", so Juli.
Was treibt die Helfer an? Sister Gracy aus dem Südsudan erklärt: "40 Prozent der Kinder können hier nicht zur Schule gehen. Es herrscht Krieg, Malaria. Die Kinder leiden. Wir haben uns das Vertrauen der Menschen hart erarbeitet und können auch in Rebellengebieten arbeiten." Mvuselelo Huni aus Simbabwe ergänzt: "Ich kenne Hunger und es ist mir wichtig, das Leben eines Kindes verändern zu können. Ich bin sehr dankbar, dass ich dazu beitragen darf."
"Manche Regierungen lernen auch von uns"
Ein zentrales Prinzip von Mary’s Meals ist, die Helfer vor Ort zu stärken. Die Lebensmittel stammen aus lokaler Produktion, was zugleich die ansässigen Farmer unterstützt. Jedes Programm wird an die Bedürfnisse der Community angepasst. "Es wird für sie und von ihnen geführt", sagt Mvuselelo Huni. Auf die Frage, wie die Schulen ausgesucht werden, antwortet Angela Chipeta-Khonje aus Malawi lakonisch: "The need is everywhere." Sie ergänzt: "Also führen wir sehr genaue Analysen durch, um festzustellen, wo der Bedarf am größten ist, aber auch wo wir die größte Wirkung erzielen können mit einem Programm von hoher Qualität."
Der Erfolg der Hilfsorganisation habe viele Gründe: "Vielleicht liegt er in unserer einfachen Idee", sagt Lothar Juli. Zudem lege Mary’s Meals großen Wert darauf, dass mindestens 93 Prozent der Spenden direkt in den Projektländern ankommen. "Überall bei Mary’s Meals versuchen wir die Verwaltung schlank zu halten. Wir haben auch in Deutschland nur wenige angestellte Mitarbeiter, viele arbeiten ehrenamtlich."
Natürlich läuft nicht alles reibungslos, berichten die Ländervertreter. Es sei frustrierend, gegen Korruption sogar in Regierungskreisen ankämpfen zu müssen. "Aber manche Regierungen lernen auch von uns, wie es einfach und effektiv geht", so Mvuselelo Huni. Auf die Frage, ob es problematisch sei, dass westliche Organisationen die Programme leiten, meint Dr. Cornelius Chipoma: "Das sollte man nicht zu sehr hinterfragen, sondern einfach dankbar sein." Und viele der Kinder, die unterstützt wurden, bringen als Erwachsene selbst wieder ihre Hilfe ein.
Mary’s Meals betreibt Fundraising, doch jeder kann sich auf seine Weise einbringen. Lothar Juli erzählt: "Eine kleine Gemeinde in Deutschland zum Beispiel gestaltet jedes Jahr zu Ostern Kerzen und spendet den Erlös an Mary’s Meals. Die Idee kam von der Gemeinde selbst, wir unterstützen nur." Maria-Anna Stauffenberg berichtet: "In meiner Region gibt es ein zehnköpfiges Bläserensemble, das schon wiederholt Benefizkonzerte für uns gespielt hat. Nach jedem Konzert kommt sofort die Frage, wo sie das nächste Mal spielen sollen."
Gegründet wurde die Hilfsorganisation von dem Schotten Magnus McFarlane-Barrow vor 25 Jahren. Wie christlich ist Mary’s Meals? "Auf der einen Seite beruht Mary’s Meals ganz gewiss auf christlichen Werten, Magnus, der Gründer ist sehr gläubig, und unseren Namen haben wir von Maria", sagt Lothar Juli. Auf der anderen Seite sei jeder willkommen, der die Mission unterstützen möchte, egal welchen religiösen Hintergrund oder welche Weltanschauung er habe, so Juli. "Wir ernähren alle bedürftigen Kinder. Wir sind in Indien, in Muslim- oder Hindu-Gemeinden aktiv – es spielt keine Rolle. Unser Ziel ist klar: Jedes Kind verdient es, genug zu essen zu haben und in die Schule gehen zu können."