Beim Ausmisten elterlicher Hinterlassenschaften macht man mitunter ungewöhnliche Entdeckungen, aber auf diesen grausigen Fund war Michaela Zeller verständlicherweise nicht vorbereitet: Als sie das Gerümpel in der Garage ihres verstorbenen Vaters durchschaut, entdeckt sie ein luftdicht verschlossenes Fass, wie es zum Beispiel für Giftmüll verwendet wird. Was sie sieht, als sie den Behälter öffnet, zeigt die Kamera nicht; der gellende Schrei genügt völlig. Anschließend informiert eine Einblendung, dass dieser Film auf wahren Begebenheiten basiere.
Der Start eines neuen "Tatort"-Teams ist immer mit speziellen Erwartungen verknüpft. Das Drehbuch soll die Beteiligten einführen, aber auch nicht allzu viel Zeit an biografische Hintergründe verschwenden, weil trotz allem ein möglichst besonderer Fall im Vordergrund stehen soll. Dem Autorentrio Senad Halilbašić, Stefan Schaller (auch Regie) und Erol Yesilkaya ist das auf vorbildliche Weise gelungen.
Gerade die Verknüpfung der eigentlichen Handlung mit den Befindlichkeiten des Duos ist äußerst reizvoll: Nach einem zunächst nicht näher erläuterten Vorfall, der für den weiteren Verlauf seiner Karriere unangenehme Folgen haben könnte, wird Hamza Kulina (Edin Hasanovic) von der Frankfurter Mordkommission in den Keller des Präsidiums versetzt. Hier ist die "Abteilung für Altfälle" untergebracht. Weil offenbar niemand Lust hat, den Arbeitstag fernab von Tageslicht zu verbringen, ist Abteilungsleiterin Maryam Azadi (Melika Foroutan) derzeit allein.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die beiden verstehen sich auf Anhieb gut. Auch deshalb fühlt sich Hamza zunehmend unwohl: Die von Judith Engel unangenehm glaubwürdig als interne Gegenspielerin verkörperte Kripo-Chefin (Judith Engel) hat ihn als Spitzel auf die Kollegin angesetzt. Diese Ebene läuft die ganze Zeit nebenher mit, ebenso wie Hamzas Betroffenheit, als das Duo einer Mordserie auf die Spur kommt, die sich über Jahrzehnte hingezogen hat: Die Familie des Hauptkommissars stammt aus Bosnien, sein älterer Bruder ist damals in den Wirren des jugoslawischen Bürgerkriegs verschleppt worden; die Mutter hat den Verlust bis heute nicht verwunden.
Entsprechend nahe gehen Hamza die Ermittlungen, als sich das Duo sämtliche ungeklärten Mord- und Vermisstenfälle der letzten fünfzig Jahre vornimmt: Die Trauer der Angehörigen, die zum Teil seit Jahrzehnten darauf warten, endlich Gewissheit zu bekommen, konfrontieren ihn mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Stefan Schallers letzte Arbeit war, ebenfalls nach einem Drehbuch von Grimme-Preisträger Yesilkaya, das sehenswerte Berliner "Tatort"-Solo von Mark Waschke, "Das Opfer" (2022), ein vorzüglich konzipierter Krimi, in dem der Kommissar auf eigene Faust den Mord an einem Jugendfreund aufklärt.
Seinen ersten Sonntagskrimi für den Hessischen Rundfunk hat der Regisseur abgesehen vom Finale betont ruhig inszeniert; die Handlung ist trotzdem von Anfang bis Ende fesselnd. Zunächst gehen Azadi und ihr neuer Kollege erst mal nicht davon aus, dass der Vater von Michaela Zeller (Anna Drexler) auch der Mörder ist: Der Mann hatte ein Entrümpelungsunternehmen, der Kram in seiner Garage stammte aus verschiedenen aufgelösten Haushalten.
Das ändert sich, als Azadi auf einem Tisch in dem Kellerraum mit der Modelleisenbahn ein Muster entdeckt, dass mit Merkmalen auf der weiblichen Leiche aus dem Fass übereinstimmt; offenbar handelt es sich bei Zeller um den berüchtigten "Main-Ripper". Allerdings ist das Team alsbald überzeugt, dass der Mann noch viel mehr Morde begangen hat, als ihm damals angelastet worden sind. Abgesehen von dem für einen "Tatort" eher ungewöhnlichen "Cold Case"- und "True Crime"-Szenario zeichnet sich "Dunkelheit" neben dem ausgezeichneten Duo Foroutan/Hasanovic vor allem durch die auch optisch sehr gelungene Kombination von Gegenwart und Vergangenheit aus.
Dank entsprechender Rückblenden bekommen die Opfer Gesicht, Stimme und Persönlichkeit. Auf diese Weise konnte Schaller auch den Gesprächen mit den Hinterbliebenen eine tiefere Wertigkeit geben, zumal einige dieser Rollen prägnant besetzt sind. Zu den berührendsten Momenten zählen Hamzas Begegnungen mit dem Vater (Martin Feifel) eines vor langer Zeit ermordeten Jungen sowie dem längst erwachsenen Sohn (Sahin Eryilmaz) einer türkischen Reinigungskraft. Schaller hat zudem historische Archivbilder integriert und die Rückblenden stilistisch angepasst. Dank dieser Zeitreisen kann er clever verhindern, dass der Krimi zum Kammerspiel wird, obwohl sich die Handlung größtenteils in den Kellerräumen zuträgt.