"Unser System ist immer nur so gut, wie jeder von uns es macht": Der dritte "Fall für Conti" mit Désirée Nosbusch als Strafverteidigerin enthält einige solcher Aphorismen aus dem juristischen Abreißkalender. Es sind nicht die einzigen Sätze, die nicht der jeweiligen Gesprächspartnerin, sondern dem Publikum gelten. Unter anderem erklärt die erfahrene Anwältin ausgerechnet einer Staatsanwältin, wie der westeuropäische Drogenhandel funktioniert, seit im Hafen von Rotterdam viel strenger kontrolliert wird: Nun ist Hamburg der Umschlagplatz für das Kokain aus Südamerika; aber darum geht es in diesem Justizkrimi erst später.
Die Handlung beginnt mit einem anonymen Anruf: Falk Klopfer sei unschuldig. Der Hilfskoch ist vor neun Jahren als vermeintlicher Mörder einer Kollegin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Conti kann ihre frühere Mitarbeiterin und zwischenzeitliche Antagonistin Henry Mahn (Malaya Stern Takeda) davon überzeugen, den Fall neu aufzurollen. Falk (Sebastian Urzendowsky) hat sich damals zwar selbst gestellt, aber sie glaubt, dass er ein Bauernopfer war. Ihrer Ansicht nach zieht im Hintergrund der mächtige Clanchef der "Eagles" die Fäden; der Einfluss des Gangsters reicht bis in die Polizei und womöglich sogar bis in die Staatsanwaltschaft.
Da Falk geständig war, gab es für den zuständigen Ermittler (Ulrich Brandhoff) keinen Grund, weiter zu ermitteln. Für eine Wiederaufnahme des Verfahrens reicht der anonyme Anruf jedoch nicht aus. Falk müsste sein Geständnis widerrufen, aber er wird nach wie vor unter Druck gesetzt. Lucas Thiem hat bereits die Drehbücher zu den beiden anderen "Conti"-Fällen geschrieben. Der Fall ist auch diesmal interessant; trotzdem ist der Film erneut nicht rundum gelungen. Regie führte wie zuletzt ("Spieler", 2024) Nathan Nill, der dem Krimi gemeinsam mit Kameramann Peter Dittenpreis wieder eine besondere Anmutung gegeben hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Film ist auch dank Kostüm und Ausstattung über weite Strecken düster, Farbtupfer gibt es so gut wie keine, weshalb der knallrote Neonschriftzug "Zenit" im gleichnamigen Lokal von Falks früherem Arbeitgeber Milan Serra (David Schütter) um so stärker ins Auge fällt. Neben den Informationsdialogen sind jedoch auch diverse Details in Darstellung und Regie nicht stimmig, zum Beispiel das Lächeln Mahns, als sie ihren Vorgesetzten, der damals das Urteil gegen Falk erwirkt hat, von der Wiederaufnahme des Verfahrens in Kenntnis setzt. Ein Pokerface hätte in diesem Moment besser gepasst; es ist auch so klar, dass sie in diesem Moment triumphiert.
Peter Lohmeyer wiederum versieht den Oberstaatsanwalt von Thun, der mit seinen Sprüchen haarscharf am Abgrund zum Sexismus wandelt, ohnehin mit einer Gönnerhaftigkeit, die ihn von vornherein verdächtig macht. Contis Mitarbeiter (Maximilian Mundt) fällt als Figur ebenfalls aus dem Rahmen. Dass er seine Chefin mit vollem Mund über seine Rechercheergebnisse informiert, ließe sich zur Not akzeptieren, aber dass er seine Unsicherheit beim offenbar ersten JVA-Besuch schon von weitem erkennen lässt, ist nicht stimmig.
Komplett unglaubwürdig wirkt schließlich eine Szene im "Zenit", immerhin ein Nobellokal: Als sich der Kellner bei Mahn erkundigt, ob’s noch was sein dürfe, legt er ihr die Hand auf die Schulter. Conti kommentiert die Empörung der Staatsanwältin über Männer, die Frauen ungefragt anfassen, mit der Bemerkung, sie solle sich "locker machen", woraufhin die Kollegin ihr vorwirft, Conti habe ihr Leben lang nach männlichen Regeln gespielt und sich angebiedert; gerade diesen Eindruck macht die Anwältin allerdings gar nicht.
Sehr viel Fernsehen steckt auch in der aber immerhin fesselnden Verhandlung, die den dritten Akt bildet: Der Schlagabtausch, den sich Conti und von Thun liefern, ist zwar unterhaltsam, doch nun lässt der Film seinen bis dahin seriösen juristischen Anspruch hinter sich. Dass eine Richterin den Oberstaatsanwalt anblafft, er habe jetzt Funkstille, dürfte in deutschen Gerichten auch eher selten vorkommen. Wie schon in "Spieler" sorgen zudem unnötige Zwischenschnitte etwa auf Augenpartien in Nahaufnahme für optische Unstimmigkeiten.
Sehr wohltuend ist dagegen das weitgehend auf Körpersprache reduzierte Spiel Michael Wittenborns: Falks krebskranker Vater wünscht sich nichts sehnlicher als noch zu erleben, dass dem Sohn Gerechtigkeit widerfährt. Während die Entlarvung der Schurken keinerlei Überraschung mehr ist, sorgt Thiem gegen Ende immerhin noch für einen Clou, als Serras ironische Aussage "Frei wie ein Adler" plötzlich eine unerwartete Bedeutung bekommt.