Wer vom provisorisch hergerichteten Altarraum auf das gewaltig wirkende Kirchenschiff hinunterblickt, sieht nach wie vor eine Baustelle. Auch, wenn die Bauzäune um die Mainzer Johanniskirche herum kürzlich abmontiert wurden, werden noch Jahre vergehen, bis sich daran grundsätzlich etwas ändert. Der Boden ist metertief abgetragen, Metallstege führen über alte Mauerreste hinweg und an Gräbern vorbei.
Gut auszumachen ist der rötliche steinerne Sarkophag des Mainzer Erzbischofs Erkanbald, der hier vor über 1.000 Jahren bestattet wurde. Insgesamt 13 Jahre lang konnten Archäologen den "Alten Dom" von Mainz gründlich untersuchen, parallel zu umfangreichen Sicherungsarbeiten. Nun, nach deren Abschluss, beginnt die Suche nach einem Nutzungskonzept für eine der ältesten erhalten Kirchen Deutschlands.
"Heute schlägt das spirituelle Herz von Mainz im Alten Dom", sagt der evangelische Mainzer Dekan Andreas Klodt. An keinem anderen Ort in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt lasse sich die Stadtgeschichte durchgehend von der Antike bis in die Gegenwart nachzeichnen. Die besondere Aura von St. Johannis sei vor Beginn der Arbeiten nicht zu spüren gewesen. Der Austausch einer Heizungsanlage hatte 2013 eine Kette von Ereignissen ausgelöst, die St. Johannis zu einem archäologischen Hotspot werden ließ.
Auf der Suche nach Belegen für die These, dass es sich bei der Kirche um die alte Kathedrale von Mainz handelte, wo bereits der als "Apostel der Deutschen" verehrte Bonifatius wirkte, arbeiteten sich Wissenschaftler in die 1.500-jährige Vergangenheit der Kirche vor. Sie fanden eine bis dahin unbekannte Krypta und Spuren eines noch älteren repräsentativen Vorgängerbaus aus der Römerzeit. Den definitiven Beweis für die These vom Alten Dom gebe es nicht, sagt Grabungsleiter Guido Faccani: "Ich glaube auch, dass es die Kathedrale war. Aber ich bin fürs Wissen zuständig."
Neues Nutzungskonzept noch unbekannt
In den zurückliegenden Jahren hatten die Archäologen immer wieder neue Funde präsentiert, mussten allerdings auch manche Hypothese korrigieren. War anfangs davon die Rede gewesen, das aufragende Mauerwerk der Johanniskirche stamme aus der Zeit um das Jahr 700, wurde dessen Alter später auf "nur" 1.000 Jahre datiert. Damit wäre St. Johannis immer noch eine der ganz wenigen Sakralbauten mit ähnlich alter Bausubstanz in Deutschland.
Weitgehend ungeklärt bleibt die Frage, wie die evangelische Kirche ihren "Alten Dom" künftig nutzen will, der sich in direkter Nachbarschaft zum weltbekannten romanischen Kaiserdom von Mainz befindet. Schon früh hatte das Dekanat Pläne zu den Akten gelegt, den Ursprungszustand weitgehend wieder herzustellen. Eine "normale Gemeindekirche" dürfte St. Johannis nicht mehr werden, zumal nach einer Fusion mittlerweile gar keine eigenständige Johanniskirchengemeinde mehr besteht.
"Wir werden uns sicherlich an der großartigen Vergangenheit berauschen", sagt Klodt. Bereits seit einigen Jahren testet das Dekanat aus, für welche Art von Veranstaltungen sich die Kirche eignet. Für Gottesdienste, Vorträge und Konzerte und halbjährliche Kleidertauschpartys ist sie bereits wieder geöffnet. Ebenso wie an Wochenenden für Touristen und andere spontane Besucher. In spätestens zwei Jahren soll ein Kurator einen Plan für St. Johannis präsentieren, kündigt der Dekan an. Im Idealfall solle der dann "für die nächsten 1.500 Jahre" eine Orientierung bieten.
Auch Forschungsleiter Faccani ist noch nicht fertig mit St. Johannis. Der Schweizer Archäologe, der mittlerweile nach Mainz umgezogen ist, will die rund 500.000 dokumentierten Fundstücke auswerten und hat bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Projektmittel für eine umfassende Publikation zur frühen Geschichte der Kirche beantragt. An einem Ort wie diesem arbeiten zu können, sieht er mittlerweile als einen "Sechser im Lotto mit Zusatzzahl".