Pfarrerin blickt zurück: Gar nicht zu helfen, war keine Option

Pfarrerin Katja Föhrenbach im Kirchenraum der Lydiagemeinde in Frankfurt
Anika Kempf
Pfarrerin Katja Föhrenbach über Flüchtlingsarbeit: "Es hat die Gemeinde gestärkt."
Gemeinde nahm Flüchtlinge auf
Pfarrerin blickt zurück: Gar nicht zu helfen, war keine Option
Katja Föhrenbach, Pfarrerin in der Evangelischen Lydiagemeinde in Frankfurt am Main, entschied sich 2014 zwei Flüchtlinge aus Afrika aufzunehmen. Wie das geklappt hat und ob sie es heute noch einmal tun würde, das hat sie evangelisch.de-Redakteurin Katrin von Bechtolsheim erzählt.

evangelisch.de: Können Sie uns noch einmal zurücknehmen? Wie war die Stimmung im Herbst 2014 in Ihrer Gemeinde, als klar war, dass Sie Flüchtlinge aufnehmen?

Katja Föhrenbach: Erstmal stand die Frage im Raum: Können wir überhaupt helfen? Was bringt das denn, wenn wir jetzt sagen, die können hier wohnen? Haben wir die Möglichkeit, denen eine Perspektive zu öffnen? Vielleicht funktioniert es auch nicht. Heißt das, wir machen es besser gar nicht – weil es in diesem Fall für alle nur enttäuschend werden würde?

Ich weiß noch gut, als dann einer sagte: Stimmt alles, aber nur weil wir vielleicht nicht alles gut machen können, wäre es ja auch nicht richtig zu sagen, wir machen gar nichts. Das war für die Stimmung ganz entscheidend.

Der Kirchenvorstand entschied: Wir helfen so gut, wie wir es eben können. Dadurch fühlten sich im Anschluss viele motiviert, einen Beitrag zu leisten. Auch wenn es ein kleiner war.

Audioslide über evangelische Wicherngemeinde in Frankfurt (Januar 2014)

 

Woher kamen die beiden Geflüchteten?

Föhrenbach: Es handelte sich um zwei Personen, Hassan kommt aus Niger, Richard aus Ghana. Sie sind aus Italien nach Deutschland gekommen. Sie kamen hier in der Hoffnung, dass sie hier leichter Arbeit finden würden oder einen Asylantrag neu stellen könnten. Sie standen in Kontakt mit der Cantate Domino Kirche in Frankfurt, die um Hilfe bat.

Hassan aus Niger war damals 22 Jahre alt , Richard, damals 32, aus Ghana. Sie lebten in den Räumlichkeiten der Hausaufgabenbetreuung.

Die wussten von einer Gruppe von Menschen, die unter einer Brücke lebten - in Zelten, mit Schlafsäcken, wie auch immer. In einem Gottesdienst in Cantate Domino wurde das angesprochen. Daraufhin entstand dort Initiative. Nach dem Motto: Wir reden da immer nur drüber, lassen wir die doch hier schlafen, damit sie nicht unter der Brücke schlafen müssen. 

Dann haben sie uns gefragt: Könnt ihr uns unterstützen? Es sind noch mehr. Für zwei konnten wir die Unterkunft stellen. Wir haben sie abgeholt und in den Räumlichkeiten untergebracht. Wir hatten jemanden, der Wäsche gewaschen hat. Wir haben die Küche zur Verfügung gestellt, damit sie kochen können. Es gab aber klare Regeln, damit das für uns hier möglich war.

Abschied von den Flüchtlingen aus der Wicherngemeinde. Die Gemeindemitglieder bereiten die Abreise nach Italien vor, gehen mit den beiden Jeans kaufen, verabschieden sie in einem feierlichen Gottesdienst und bringen sie am Abfahttag zum Busbahnhof. Eine Reise ins Ungewisse.

 

Tagsüber mussten sie raus, weil in Teilen des Wohnraums die Hausaufgabenbetreuung für Kinder stattfand. Dann versuchten wir, eine Beratung zu organisieren. Herauszufinden, was möglich ist. Ob die überhaupt hierbleiben können. Wir nahmen Kontakt zur Beratungsstelle im Haus am Weißen Stein in Frankfurt auf. Hassan und Richard wollten arbeiten, konnten aber nichts, auch kein Deutsch – logischerweise.

Wie hat die Gemeinde reagiert? Gab es auch Ängste?

Föhrenbach: Wir hatten uns für einen öffentlichkeitswirksamen Weg entschieden und alle informiert. Wir verschickten einen Info-Brief, auch um ein Statement zu setzen, dass das eine wichtige Sache ist, und baten um Spenden.

Ich war damals wirklich positiv überrascht, wie viele Leute sich meldeten, wie viele gesagt haben: 'Das ist so gut, das unterstützen wir'. Wir bekamen sehr viele Spenden. Dann kauften wir Sachen, Kleider, Fahrkarten. Ich war sehr positiv überrascht. Es waren viele da, die sich mit den beiden trafen, Deutschunterricht gaben oder beim Putzen und der Wäsche geholfen haben.

Gab es kein negatives Feedback?

Föhrenbach: Es gab auch die Rückmeldung: Wir wollen das hier nicht zur Dauereinrichtung machen. Wir wollen, dass klar geregelt ist, dass das einen Anfang und ein Ende hat. Ich glaube aber, das war wirklich wichtig. 

Und ja, es wurde tatsächlich auch zu einem Punkt auf der Tagesordnung des Ortsbeirats. Damals waren das die Republikaner. Da gab es ja noch keine AfD.  
Es wurde ein Antrag gestellt, die Stadt sollte überprüfen, ob die durch die Stadt finanzierte Hausaufgabenbetreuung auch wirklich stattfand. Die beiden schliefen ja im gleichen Raum.

Wir waren im Kirchenvorstand entsetzt und verärgert. Es hätte einfach nur jemand kommen müssen und er hätte sehen können, dass die Arbeit weiterläuft. Man hätte uns ansprechen können. Wir sind aber nicht gefragt worden. Es wurde heiß diskutiert. Republikaner und CDU stimmten dafür, dass überprüft werden soll, ob die Arbeit noch geleistet wird. Die Mehrheit der anderen Parteien lehnte den Antrag ab. Man hat aber gemerkt, dass eine Stimmung gegen Flüchtlingshilfe da war und dass nicht alle das gut fanden.

Die evangelische Lydiagemeinde in Frankfurt am Main.

Wie waren diese Monate mit den Geflüchteten für Sie persönlich?

Föhrenbach: Ich fand die Zeit sehr bereichernd. Ich habe viel gelernt über andere Kulturen, auch über meine eigenen Grenzen. Es war auch anstrengend. Dennoch habe ich gemerkt, dass man auch mit wenig viel bewegen kann.

Konnten Sie persönlich in Kontakt mit den Afrikanern kommen?

Föhrenbach: Nein, das war schwierig. Sie waren freundlich, aber eher verschlossen, wenn es um Persönliches ging. Wir hatten damals eine ghanaische Gastgemeinde.

Der Pfarrer der Gemeinde lebte schon lange in Deutschland, und der hat mit ihnen gesprochen und uns auch unterstützt. Durch ihn haben wir dann zum Teil noch ein bisschen mehr von der Lebensgeschichte herausbekommen. Das Schlimmste für sie war die Perspektivlosigkeit.

Als klar war, dass sie nicht bleiben können, wie fühlten Sie sich?

Föhrenbach: Wir waren traurig. Sie wollten arbeiten, hatten Energie. Aber nichts ging. Das war so traurig.  

Wie hat Sie diese Erfahrung insgesamt verändert?

Föhrenbach: Für mich hat es schon mein Verhältnis zur Gemeinde verändert. Ich fand es unheimlich stark, dass man so etwas - das war eine diakonische Arbeit, auch wenn sie als politisches Statement gesehen werden kann - hier machen konnte. Auch, dass ich Menschen traf, die eigentlich völlig anders sind als ich.

Audioslide über den Abschied von den Flüchtlingen aus der Wicherngemeinde

Ich glaube aber, dass die meisten, die mitgeholfen haben, enttäuscht waren, dass wir nichts machen konnten und sie gehen lassen mussten, ohne dass sich etwas verändert hat an ihrer Situation. Aber ich glaube, wir würden alle sagen, es war insgesamt eine gute Erfahrung. Vielleicht schauen wir jetzt auch anders auf die Flüchtlinge.

Was würden Sie heute anders machen?

Föhrenbach: Ich weiß nicht, ob ich jetzt was anderes machen würde. Im Nachhinein weiß ich, dass es so für mich gut war. Die Öffentlichkeitsarbeit würde ich aber einstellen, weil es zu viel Arbeit ist. Wir haben das gemacht, was wir konnten. Insgesamt war es eine gute Erfahrung.

"Es ist schwierig, wenn man zwei junge Menschen sieht, die eigentlich gerne arbeiten wollten, aber nicht dürfen"

Würden Sie es denn noch einmal machen?

Föhrenbach: Wir haben damals im Kirchenvorstand gesagt, wir belassen es erst einmal dabei. Wir haben nicht die Kraft, gleich das nächste Projekt anzufangen. Es war auch emotional anstrengend. Allerdings hatten wir eine Frau kurz danach für vier Monate im Kirchenasyl. Und im Pfarrhaus hat für ein Jahr lang eine Frau aus Nigeria mit ihrem Sohn gewohnt, das hätten wir als Familie sicher nicht gemacht ohne die Erfahrung mit Hassan und Richard.

Warum war es anstrengend?

Föhrenbach: Wir wussten von Anfang an, dass es scheitern kann. Trotzdem ist es schwierig, wenn man zwei junge Menschen sieht, die eigentlich gerne arbeiten wollten, aber nicht dürfen. Eigentlich gibt es genug Arbeit bei uns. Aber weil sie einen Asylstatus in Italien hatten, war es unmöglich. Sie bekamen keine Arbeitserlaubnis. Ich weiß noch, sie sagten damals: "Wir liegen nur im Bett. Wir haben keine Energie." Und das ist ja heute für Flüchtende noch genauso. Die sitzen herum und haben nichts zu tun.

Im Moment können wir es nicht wiederholen, da wir als Gemeinde leider sehr mit uns selbst beschäftigt sind durch die Strukturreform der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Und das nimmt natürlich Kraft. Die Schwierigkeit für die Gemeinden liegt darin, dass es eigentlich genügend Ressourcen gibt – doch sie müssten erst gebündelt und aktiviert werden. Genau dafür fehlt aber die Kapazität, weil wir stark mit den Reformen beschäftigt sind.

Wenn Sie heute zurückblicken, was bleibt?

Föhrenbach: Für mich bleibt, dass es richtig war, etwas zu tun, auch wenn es vielleicht nicht die große Lösung war. Es war ein Stück Menschlichkeit. Und das hat die Gemeinde auch gestärkt. Ich behaupte, es gibt heute immer noch viele, die helfen würden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass der Gegenwind heute lauter wäre, weil sich die politische Landschaft geändert hat.