Der berühmte Merkel-Satz "Wir schaffen das!" in der Flüchtlingskrise von 2015 erfüllt aus Sicht des Sprachforschers Henning Lobin mehrere Merkmale für eine ikonische Politiker-Aussage. Die "wohl spontane" Äußerung der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe alles, was berühmte politische Slogans ausmache: Sie sei einfach, kurz und damit einprägsam, sagte der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Als ein vergleichbares Beispiel nannte er den Wahlkampf-Slogan "Yes we can" des früheren US-Präsidenten Barack Obama. Solche ikonischen Sätze, die im Gedächtnis bleiben, zeichne aus, "dass sie Wahrheiten wie unter einem Brennglas zusammenfassen". Den Satz "Wir schaffen das!" sagte Merkel am 31. August 2015 bei einer Pressekonferenz in Berlin. Sie sprach über die Herausforderungen durch die immer weiter steigende Zahl von Flüchtlingen.
Merkels Drei-Wort-Satz bleibe allerdings vage. Durch die fehlende Konkretisierung der Bedeutung bleibe Raum für Interpretation, aber auch Kritik. So bleibe offen, wen die ehemalige Kanzlerin genau mit "wir" meine. Das könnten staatliche Stellen, die Kommunen oder die Gesellschaft als Ganzes sein, sagte Lobin.
Auch das Handlungsverb "schaffen" habe eine sehr allgemeine Bedeutung. Es beschreibe eine nicht näher definierte Tätigkeit, ähnlich wie die Wörter "tun" oder "machen". Auf welche konkreten Handlungen sie sich damit beziehe, bleibe unklar.
Allerdings habe das Verb "schaffen" auch eine positive Bedeutung, im Sinne von "wir bekommen etwas erledigt, es wird etwas getan und erfolgreich zum Abschluss gebracht". Dies könnte als Ermutigung interpretiert werden, so der Sprachforscher. In diesem Zusammenhang habe Merkel auch davon gesprochen, dass Deutschland ein starkes Land sei.
Das Ziel, das damit erreicht werden solle, beschreibe Merkel ebenfalls nicht konkreter. Offen bleibe, ob es ihr dabei um die Unterbringung der vielen Flüchtlinge gegangen sei oder deren Integration in die deutsche Gesellschaft.
Anders als vergleichbare Slogans wie "Mehr Demokratie wagen" oder "Wir sind das Volk" habe Merkels Satz auch viel Kritik hervorgerufen und sei ins Gegenteil verkehrt worden. So habe der damalige AfD-Vorsitzende Alexander Gauland den Satz mit "Wir schaffen das nicht. Wir wollen das gar nicht schaffen" aufgegriffen und verfremdet.
Heute müssten Politikerinnen und Politiker bei ihren Äußerungen - anders als 2015 - immer die sozialen Medien in den Blick nehmen, so der Sprachwissenschaftler. Besondere Aussprüche würden dort sofort aufgegriffen und zu Memes und Kurzvideos verarbeitet. Deshalb würden die Gestik, Ausdruck und Performanz immer wichtiger.
Politiker sollten sich vorab überlegen, wie Äußerungen aufgegriffen werden könnten, um "tiktokisierbar" und Instagram-tauglich zu sein, rät Lobin. Das gelinge momentan der Linken-Politikerin Heidi Reichinnek mit ihren Beiträgen im Bundestag besonders gut.