Seit zwei Monaten lebt die Iranerin Zeynep A. in einer Bielefelder Kirchengemeinde im Kirchenasyl. Die junge Kurdin wurde im Iran mehrfach von der Polizei verfolgt. "Einmal kam ein Polizeiwagen hinter mir her", berichtet sie. "Die Polizisten fassten mich und schlugen heftig auf mich ein." Auf einem Ohr kann die Sportwissenschaftlerin kaum mehr hören. Im Mullah-Staat hatte sie sich an Demonstrationen für Frauenrechte beteiligt. Anfang des Jahres kam sie über Spanien nach Deutschland. Doch hier droht ihr nach der sogenannten Dublin-Verordnung die Überstellung in das Ersteinreiseland der EU.
"Das ist unmöglich", kritisiert Pfarrer Joachim Poggenklaß das Vorgehen der Behörden. "Sie ist traumatisiert und psychisch krank." Der evangelische Theologe ist Sprecher des Ökumenischen Netzwerks zum Schutz von Flüchtlingen, das im Sozialpfarramt des Evangelischen Kirchenkreises Bielefeld angesiedelt ist. Er hat die Zuflucht mit organisiert.
Zeynep A. ist eine von 20 Flüchtlingen, die 2025 in Bielefeld im Kirchenasyl aufgenommen wurden. Darunter sind auch Syrer wie Ali B., der über Kroatien kam. "Ich wurde dort von Polizisten geschlagen und war in Räumen untergebracht, in denen Wasser stand", sagt er. "Es gab nur eine Mahlzeit am Tag."
Die Geflüchteten müssten eigentlich nach Südeuropa zurückkehren und dort ihr Asylbegehren vorbringen, räumt Ruhestands-Pfarrer Poggenklaß ein. "Denn nach geltendem Recht ist das EU-Einreiseland für sie zuständig." Doch viele würden dort aufgefordert, das Land zu verlassen. Das geschehe auch mit Gewalt. Die Bielefelder Kirchengemeinde, das Ökumenische Netzwerk und auch Kirchenkreis-Sozialpfarrer Ingo Stucke streiten nun dafür, dass die Flüchtlinge hier trotzdem ein Asylverfahren erhalten.
Gemeinden: Kirchenasyl nicht alleine stemmen
Vielen Menschen aus dem Iran, Syrien, dem Kongo oder Somalia wurde bereits in Kirchen Unterschlupf gewährt. Natürlich könne das eine Gemeinde nicht allein stemmen, erläutert Stucke: "31 Kirchengemeinden spenden jährlich 150 Euro. Darüber hinaus gibt es Kollekten und Einzelspenden." Ärztliche Hilfe werde oft ehrenamtlich geleistet.
Die Geflüchteten bleiben den Angaben zufolge bis zu sechs Monate im Kirchenasyl. Erfolgt in dieser Zeit keine Abschiebung oder Überstellung in ein anderes EU-Land, kann ein neues Asylverfahren in Deutschland beginnen. Vor dieser Frist lässt sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kaum auf ein Asylverfahren ein. Es seien "ganz überwiegend keine Härtefälle", argumentiert das Amt. Daher bleiben die Geflüchteten bis zum Asylverfahren im Kirchenasyl.
Großer politischer Druck auf das Kirchenasyl
"Das beruht auf freien Absprachen zwischen dem Staat und den Kirchen", erläutert Poggenklaß. Das geltende Ausländerrecht werde dadurch nicht aufgehoben. "Aber bisher haben sich alle staatlichen Behörden überwiegend daran gehalten." Obwohl es hin und wieder Abschiebeversuche durch Ausländerbehörden gegeben habe und mittlerweile großer politischer Druck auf das Kirchenasyl ausgeübt werde. Diesen Druck verspüren auch die Gemeinden immer häufiger.
Dazu komme, dass trotz zurückgehender Asylgesuche die Anfragen für Kirchenasyle weiterhin hoch seien, sagt Poggenklaß. Zugleich stünden weniger Kirchengemeinden zur Verfügung - aus finanziellen Gründen. Diese Entwicklung nimmt auch der Flüchtlingsrat NRW wahr. "Die Kritik am Kirchenasyl hat zugenommen, die Gemeinden schreckt das ab", sagt Sprecherin Birgit Naujoks. Laut dem Netzwerk Kirchenasyl NRW sind in Nordrhein-Westfalen derzeit rund 160 Menschen in Kirchengemeinden untergebracht.
Insgesamt wachse der Druck auf die Betroffenen, da die Zahl der Abschiebungen steige, beklagt der katholische Theologe. Es gebe zwar viele Anfragen, man schaffe es aber immer weniger, die Betroffenen mit den Kirchengemeinden in Kontakt zu bringen. Bundesweit zeigt sich ein ähnliches Bild: Laut Bamf befanden sich in den ersten neun Monaten dieses Jahres rund 1.800 Menschen im Kirchenasyl, die in ein anderes EU-Land hätten ausreisen müssen. Im vergangenen Jahr lag die Zahl insgesamt bei fast 3.000.
Joachim Poggenklaß, der Kirchenasyle seit über 30 Jahren begleitet, stemmt sich gegen die Entwicklung. Bei den aufgenommenen Flüchtlingen gehe es oft um "himmelschreiende Ungerechtigkeiten", betont er. Jeder Einzelfall werde von den Kirchen genau geprüft, alle müssten ihre Lebensgeschichte und die Fluchtgründe detailliert darlegen. In ein Kirchenasyl kämen nur diejenigen, denen unbedingt Schutz gebühre.
Auch die junge Iranerin Zeynep A. musste über ihre Leidensgeschichte berichten. Pfarrer Poggenklaß war von dem Geschilderten erschrocken. Er hofft nun, dass ihr hier eine sichere Perspektive gewährt wird: "Es wäre doch prima, wenn sie einmal als Sportlehrerin oder Trainerin arbeiten könnte."




