Die israelische Gesellschaft sei tief gespalten zwischen Gegnern der Regierung, die für ein Ende des Krieges demonstrieren, und Unterstützern eines harten Kurses, sagte Uwe Gräbe dem Evangelischen Pressedienst. Gräbe ist Nahost-Referent der in Stuttgart ansässigen Evangelischen Mission in Solidarität und war von 2006 bis 2012 evangelischer Propst von Jerusalem.
Die innerisraelische Zerrissenheit zeigt sich seiner Beobachtung nach jedes Wochenende auf den Straßen. Dort protestierten zahlreiche Menschen gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Zu den Demonstranten zählten auch viele Angehörige der Geiseln. Sie forderten einen sofortigen Austausch der Verschleppten, selbst wenn die Bedingungen für Israel ungünstig wären. Auf der anderen Seite stünden Unterstützer der Regierung mit ihren rechtsextremen Ministern, die teils ein noch schärferes militärisches Vorgehen befürworteten, sagte der Theologe.
Die deutsche Luftbrücke zur Versorgung der Menschen im Gazastreifen hält Gräbe für weitgehend symbolisch. Die Abwürfe aus der Luft seien die "denkbar teuerste Art", Hilfe zu leisten. Zwei Flüge der Bundeswehr hätten 14 Tonnen Hilfsgüter transportiert, während ein einzelner, deutlich günstigerer Lastwagen rund 25 Tonnen befördern könne. Der einzige Sinn der Aktion liege darin, den politischen Druck auf Israel zu erhöhen, mehr Lkw-Transporte bis zu den Verteilpunkten internationaler Organisationen durchzulassen.
Vertrauen fundamental zerstört
Die internationale Isolation Israels ist laut Gräbe bereits weit fortgeschritten. Insbesondere im akademischen Diskurs des sogenannten Globalen Südens werde der Zionismus zunehmend als siedlerkoloniales Projekt verstanden und nicht als nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes.
Eine politische Lösung scheint für den Experten in weiter Ferne. Den Vorwurf, Palästinenser seien nicht zur Führung eines eigenen Staates fähig, hält er für "kolonialistisch". Er verweist auf Jordanien, das ebenfalls viel internationale Hilfen erhalte und weltweit für seine gute Regierungsführung gelobt werde. Das Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern sei jedoch so fundamental zerstört, dass derzeit weder eine Ein- noch eine Zweistaatenlösung realistisch erscheine. Wie dieses Vertrauen wieder aufgebaut werden könne, sei ihm "ein Rätsel", sagte Gräbe.