TV-Tipp: "Auf der Walz – Drei Jahre und ein Tag"

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Freitag, 15. August, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Auf der Walz – Drei Jahre und ein Tag"
Der Film entführt in die fremde Welt der wandernden Handwerksgesellen. Die junge Maria macht sich kurzentschlossen auf den Weg. Die Anerkennung ihres erfahrenen Begleiters Cem muss sie sich erst verdienen.

Der Brauch ist schon lange keine Voraussetzung mehr für den Meisterbrief, aber es gibt sie durchaus noch, die Gesellen (und zunehmend auch Gesellinnen) auf Wanderschaft. Mit ihrer typischen schwarzen Kluft – breite Hüte, weite Schlaghosen, Weste – wirken gerade die Zimmerleute wie Figuren aus einer anderen Epoche.

Diese Männer und Frauen sind aus einem speziellen Holz geschnitzt, schließlich muss man das mögen: wie Tagelöhner von Baustelle zu Baustelle wandern und weiterziehen, bevor man Gefahr läuft, Wurzeln zu schlagen. "Die Straße als Heimat, die Welt als Zuhaus’": Das klingt romantisch, aber wer sich an die strikten althergebrachten Regeln hält, muss auf die Errungenschaften des modernen Lebens verzichten. Oft genug leben die "Tippelbrüder" (und -schwestern) von der Hand in den Mund; ganz zu schweigen davon, dass sie morgens mitunter nicht wissen, wo sie abends schlafen werden.

Für einen Freitagsfilm im "Ersten" ist das auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Thema. Auf den zweiten passt die Geschichte allerdings durchaus zum Sendeplatz, denn sie handelt von einer Selbstfindung: Maria (Ronja Rath), Ende zwanzig, hat nach bestandener Gesellinnenprüfung als Zimmerin eine Ausbildung zur Betriebsfachwirtin gemacht und führt nun als Juniorchefin das Sägewerk ihres Vaters. Für Volker Abeler (Oliver Stokowski) steht außer Frage, dass sie demnächst ihren Freund Steffen (Silas Breiding) heiraten und irgendwann das Unternehmen übernehmen wird. Als die beiden Männer Maria mit einem Hauskauf überraschen, reagiert die junge Frau anders als erwartet: Wandergeselle Cem (Sohel Altan Gol) hat in ihr eine Sehnsucht geweckt, von der sie bislang offenbar nichts geahnt hat.

Fesseln spürt nur, wer sich bewegt: Das ist die Quintessenz des Drehbuchs von Michael Kenda. Cem erscheint Maria frei wie ein Vogel, während sie selbst im goldenen Käfig lebt; also beschließt sie, ebenfalls auf Wanderschaft zu gehen.

Damit könnte sich der Film zum klassischen Roadmovie wandeln, was er in der Tat auch tut, schließlich erzählt Kenda die Geschichte konsequent aus Sicht Marias, aber natürlich kommt es zu Konflikten mit Vater und Freund. Volker ist zutiefst empört, denn aus seiner Sicht wird er nun schon zum zweiten Mal von einer Frau verraten: Seine Frau hat ihn verlassen, als Maria noch ein Kind war; außerdem ist er prompt überfordert von der Büroarbeit, die er jetzt übernehmen muss. Steffen wiederum ahnt, dass die Liebe eine Fernbeziehung nicht überstehen wird.

Davon abgesehen konzentrieren sich Kenda und Regisseurin Sibylle Tafel fortan weitgehend auf die Erlebnisse der jungen Frau, die sich erst mal die Anerkennung ihres Begleiters verdienen muss. Der weitgereiste Cem, dessen ziellose Wanderschaft sich schließlich als Flucht entpuppt, geht ohnehin davon aus, dass sie schon bald den nächsten Zug zurück in die Heimat nehmen wird, aber selbstredend beißt Maria auch dann auf die Zähne, als sie sich beim Holzhacken beinahe blutige Hände holt.

Die größtenteils in Österreich angesiedelte Handlung ist aufgrund der vielen wechselnden Begegnungen anekdotisch, der Film wirkt jedoch dank Tafels großer Erfahrung nicht episodisch, zumal es der Regisseurin ähnlich wie in ihrer ausgezeichneten Freitagsreihe "Toni, männlich, Hebamme" (2019 bis 2024) scheinbar mühelos gelingt, ernste Themen mit leichter Hand zu erzählen.

Sehr zu loben ist auch die Entscheidung, die beiden Hauptrollen unprominent zu besetzen. Bühnenschauspieler Sohel Altan Gol, ein gebürtiger Berliner, hat zwar durchaus schon einige Kameraerfahrung, durfte bislang aber selten eine derartige Präsenz zeigen wie in diesem Film. Nicht minder sehenswert ist Ronja Rath als Frau, die ungeahnte Widerstandskräfte entwickeln muss, um sich Cems Anerkennung zu verdienen und sich in einer typischen Männerwelt zu etablieren.

Nebenbei finden Kenda und Tafel auch noch Zeit für Volker, dem eine selbstbewusste Bewerberin (Jutta Fastian) für die Stelle als Bürokraft klarmacht, dass seine Ansichten gerade in Bezug aufs Rollenverständnis reichlich antiquiert sind. Mehr als bloß interessant ist "Auf der Walz – Drei Jahre und ein Tag" auch wegen der vielen in Vergessenheit geratenen Details über die Wanderschaft, zumal sich Cem, der jede Situation mit einer passenden Handwerksweisheit kommentiert – "Wenn die Hunde nicht mehr bellen, ist es Zeit, weiterzuziehen" –, beharrlich an die Traditionen hält und das auch von Maria erwartet: Als er merkt, dass sie ein Smartphone dabei hat, nagelt er das Gerät kurzerhand an einen Brückenpfeiler.