Was auf den ersten Blick wie Frauenfeindlichkeit wirkt, entpuppt sich in Wirklichkeit oft bloß als männliche Ignoranz. In der Medizin zum Beispiel ist traditionell außer acht gelassen worden, dass der weibliche Organismus ganz anders funktioniert als der männliche. Medikamente und Therapien wurden an Männern erprobt; Frauen bekamen einfach eine geringere Dosis.
Wenn ein erfahrener Arzt angeblich nicht weiß, dass Symptome eines drohenden Herzinfarkts bei Frauen anders aussehen, ist das zwar unglaubwürdig, aber es geht ums Prinzip. Deshalb wittert Talia Jahnka einen lukrativen Fall, als eines Tages eine Erzieherin in ihre Kanzlei kommt: Die Frau kann ihren Beruf nicht mehr ausüben, weil sie in der Kita einen Herzinfarkt hatte.
Kurz zuvor war sie noch in einer Notaufnahme, doch die Gefahr ist nicht erkannt worden; das wird einen fetten Schadenersatz geben. "Bewährungsprobe" ist der zweite Film mit Luise von Finckh als Lisa Liebling, Enkelin des legendären Robert Liebling, jener Paraderolle ("Liebling Kreuzberg", 1986 bis 1998), mit der Manfred Krug zumindest im Westen womöglich noch stärker assoziiert wird als mit seinem singenden "Tatort"-Kommissar.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Mandat der Erzieherin übernimmt zwar ihre Kanzleipartnerin (Gabriela Maria Schmeide), aber der Fall steht dennoch für den Anspruch des Drehbuchs, das wie beim letztjährigen Auftakt erneut von Andrej Sorin stammt. Ähnlich wie die Filme über die Freitagskollegin Eva Schatz ("Einspruch, Schatz!" mit ChrisTine Urspruch, seit 2023) soll die juristische Ebene Geschichten aus dem Leben erzählen; mit einem Herz für die Schwachen, versteht sich.
Deshalb gerät Lisa in ein typisches Dilemma, als sie erkennt, dass sie auf der falschen Seite steht: Eine Juraprofessorin (Leslie Malton) bittet sie, gegen einen ihrer Studenten (Matti Schmidt-Schaller) vorzugehen. Der junge Mann hat ein verleumderisches Video von einer Vorlesung ins Netz gestellt hat. Lisa folgt der Prozessstrategie der früheren Staatsanwältin, an der sich ihr Opa regelmäßig die Zähne ausgebissen hat, und gewinnt mit Bravour, muss dann jedoch erkennen, dass keineswegs die Professorin, sondern der Student das Opfer ist. Als sie die Seite wechselt, droht ihr der Verlust der Zulassung als Anwältin.
Anders als im 2024 ausgestrahlten ersten Film dient Cem Oktay (Emre Aksızoğlu), Dritter im Kreuzberger Kanzleibund, diesmal nicht mehr bloß als Partner für amüsante Wortwechsel: Straßenmusiker Krustkowski (Fridolin Sandmeyer), von allen bloß "Kruste" genannt, hat anderswo einen sogenannten Platzverweis erhalten und baut sich zum erheblichen Unmut von Talia nun ausgerechnet vor der Kanzlei auf. Um die "Ruhestörung" wieder loszuwerden, soll Cem den Platzverweis anfechten, stellt jedoch fest, dass Kruste noch ganz anderen Behördenärger hat.
Der junge Anwalt findet zwar einen juristischen Kniff, mit dem er nachweisen kann, dass der Musikant zumindest innerhalb Kreuzbergs systemrelevant ist, aber sein grundsätzliches Problem muss Kruste selbst angehen. Regie führte Andreas Menck, der diverse Serienfolgen gedreht (allen voran "Doktor Ballouz", ZDF) und auch Horst Lichters autobiografischen Bestseller "Keine Zeit für Arschlöcher" sehenswert verfilmt hat (2022). Handwerklich hat "Bewährungsprobe" ordentliches Fernsehniveau, aber letztlich lebt der Film neben den drei Erzählungen von den Mitwirkenden.
Das gilt dank der Gegensätzlichkeit der beiden Frauen vor allem für den Dauerdisput zwischen den Kanzleipartnerinnen, zumal Gabriela Maria Schmeide ihre Rolle mit merkelig mütterlicher Strenge versieht, privat aber (wie die Kanzlerin) ganz andere Seiten offenbart; deshalb streut Sorin immer wieder Szenen mit ihrem lebensklugen Ehemann (Christian Kuchenbuch) ein. Was fürs Herz ist auch die Fürsorge von Lisas Mutter (Roswitha Schreiner), während Anja Franke als gute Seele der Kanzlei eher für die komischen Momente zuständig ist.
All’ das hätte vermutlich auch ohne den Titel-Liebling funktioniert, aber Manfred Krug beschert den Filmen als Lisas Ratgeber das Alleinstellungsmerkmal. Wann immer sie nicht weiter weiß, was recht oft der Fall ist, greift sie zu Opas Diktiergerät und spielt aufs Geratewohl eine willkürliche Passage aus seiner seiner Diktatkassetten ab. Sie nennt das "Diktiergerät-Bingo", aber "Orakel" wäre die treffendere Bezeichnung, zumal seine Aussagen selbstredend perfekt zur jeweiligen Situation passen. Und natürlich stimmt auch seine Erkenntnis, Panik sei "nur eine vorübergehende Existenzform": Entsprechende Momente erlebt sie ständig, wobei sie jedes Mal Nasenbluten bekommt.




