Still und ruhig brennt die kleine Kerze in der Hand des 18-jährigen Mias Haddad. Verloren steht er in der Ecke der zerstörten Mar Elias Kirche. Der junge Mann ist gekommen, weil ihn die Erinnerung nicht loslässt. Vor genau 40 Tagen war er auch hier gewesen, als neben ihm plötzlich ein Mann das Feuer auf die Gläubigen eröffnete und sich dann inmitten der Gottesdienstbesucher in die Luft sprengte. 25 Menschen wurden getötet und mehr als 60 verletzt. Mias Haddad wurde nicht getroffen, aber er hat schwer zu tragen an der Erinnerung. Schlimmer noch: Er hat auch viel von seiner Hoffnung verloren, dass es in Syrien nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad nun bald einen wirklichen Neuanfang gibt.
Als sich der Terroranschlag ereignete, befand sich Mias außerhalb der Halle, wo einer der Angreifer sich in die Luft sprengte, nachdem er das Feuer auf die Gläubigen eröffnet hatte. Die extremistische Gruppe "Ansar al-Sunna" übernahm die Verantwortung für den Anschlag. "Seitdem ich sechs Jahre alt bin, komme ich in diese Kirche und diene hier", sagte Mias mit kindlichen Zügen im Gesicht und einer für sein Alter ungewöhnlichen Ruhe. Trotz allem plant er nicht, Syrien zu verlassen: "Ich liebe alles hier. Ich kann meine Familie und Freunde nicht zurücklassen. Ich träume davon, Ingenieur zu werden. Ich möchte einer der wahren Erbauer dieses Landes sein."
Syrien ist ein Land mit vielen Minderheiten: Christen, Drusen, Alewiten, Ismailiten stellen kleine Gruppen dar. Unter dem vorherigen Regime genossen einige von ihnen besonderen Schutz und galten als privilegiert, was es al-Assad ermöglichte, sich der internationalen Gemeinschaft als Beschützer der Minderheiten zu präsentieren. Nun wird die Regierung von Ahmad al-Sharaa, einem Sunniten mit terroristischer Vergangenheit gestellt. Viele Minderheiten machen sich Sorgen.
Angst ist nicht unbegründet
Dass die Angst nicht unbegründet ist, zeigte der Anschlag auf die Kirche, aber auch an anderen Orten eskalierte es gefährlich. Erst in den vergangenen Wochen kam es zu brutalen Gewaltausbrüchen zwischen sunnitischen Beduinen und der Regierungsarmee auf der einen und der drusischen Minderheit auf der anderen Seite. Besonders heikel ist dieser Konflikt, weil sich Israel als Schutzmacht der Drusen versteht und auf deren Seite in die Kämpfe eingreift. So bombardierte die israelische Luftwaffe Mitte Juli sogar Gebäude des Verteidigungsministeriums in Damaskus. Was bedeutet das für die Christen? Sind sie als Minderheit in Syrien noch sicher?
Priester Samer Matar erhebt seine Stimme. Er spricht laut und deutlich, nicht klagend: "Wir sind die Eigentümer dieses Landes. Wie könnten wir es verlassen?" Er fügt hinzu: "Wir haben an der Befreiung Syriens während der Großen Syrischen Revolte 1925 teilgenommen, wir standen an der Seite von Sultan Basha al-Atrash. Wir haben 2011 an den Demonstrationen gegen al-Assad teilgenommen und uns über seinen Sturz gefreut. Diese Ereignisse werden unseren Willen, hierzubleiben, nicht erschüttern."
Der Priester Matar, ein Verantwortlicher der griechisch-orthodoxen Diözese von Bosra, Hauran und Dschabal al-Arab, berichtet von den Tragödien, die die Christen getroffen haben: 16 Getötete bei den letzten Gewalttaten, darunter zwölf Mitglieder der Familie des Pfarrers Khaled Mazhar von der "Evangelischen Kirche des Guten Hirten". Zudem wurden fünf Kirchen in der Provinz angezündet und gesprengt.
Nicht nur Christen mussten ihre Häuser verlassen
Dennoch sieht Pater Matar keine gezielte Vertreibung der Christen. Vielmehr spricht er von einem erzwungenen Exodus aufgrund fehlender medizinischer Versorgung – insbesondere für Krebspatienten, Dialysebedürftige und schwangere Frauen. An einem einzigen Tag gelang es ihm, 67 Menschen aus dem Dorf al-Sura al-Kabira in ein kirchliches Aufnahmezentrum zu evakuieren, das er betreut. Dieses Zentrum beherbergt rund 120 Personen.
Nicht nur Christen mussten ihre Häuser verlassen. Nach der Gewalteskalation in al-Suweida flohen Familien, die zu Beduinen aus dem westlichen Umland von al-Suweida gehören, in Richtung der östlichen Dörfer der Provinz Daraa. Die Regierung hatte sie dazu aufgefordert, um die Situation zu deeskalieren. Viele Sunniten in Syrien waren daraufhin empört und kritisierten die Regierung scharf.
Weiter eskaliert wurde die Situation durch den radikalen Führer der Drusen Scheich Hikmat al-Hijri. Er forderte die Unabhängigkeit von al-Suweida und begrüßte die Unterstützung seiner Bewegung durch Israel. Das UNO-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) berichtete, dass infolge der Gewalt mehr als 600 Menschen getötet und rund 2.000 Familien vertrieben wurden.
Die Lunte des Sektierertums
Seitdem sich die Spannungen in al-Suweida verschärft haben, ist die Lage zunehmend komplex. Aussagen von Pater Tony Boutros, Priester der Stadt Shahba, lösten Empörung bei Anhängern der Übergangsregierung aus, nachdem er in einem Video die Einheit zwischen Drusen und Christen betont hatte.
Die Kritik wuchs, als der Priester der Mar-Elias-Kirche im Stadtteil Dweilaa in Damaskus eine Spende über 10.000 US-Dollar vom israelisch-drusischen Oberhaupt Scheich Mowafaq Tarif zur Renovierung der Kirche annahm, in der die Explosion stattgefunden hatte.
Doch die Haltung von Pater Boutros spiegelt ein breiteres Gefühl unter den Minderheiten wider – die Angst, nach Alawiten und Drusen selbst zur Zielscheibe zu werden.
Pater Matar sagte am Ende seines Gesprächs: "Man kann nicht auf Minen bauen. Wir brauchen einen Felsen, ein solides Fundament, um den Wiederaufbau zu beginnen."
Krisenmanagement oder Kontrollverlust?
Trotz der Bemühungen der Übergangsregierung unter Ahmad al-Sharaaʿ, den Eindruck von Kontrolle zu vermitteln, zeigen die Ereignisse das Gegenteil. Immer wieder flammt die Gewalt auf und immer wieder bleiben viele Fragen offen: Wer hat Schuld an der Eskalation? Welche Rolle spielen die Regierungstruppen? Wie sehr kann oder will die Regierung radikale Kämpfer kontrollieren, die für brutale Gewalt verantwortlich gemacht werden.
Internationale Agenturen wie "Associated Press" und "New York Times" berichteten, das akkreditierte Journalisten trotz Koordination mit Damaskus nicht in die umkämpfte Stadt al-Suweida gelassen wurden – offenbar sollten keine allzu kritischen Berichte veröffentlicht werden.
Bereits im März hatte es einen Ausbruch von Gewalt in der Küstenprovinz rund um Latakia gegeben. Ausgelöst waren die Kämpfe damals durch einen Angriff auf Regierungstruppen durch Anhänger des gestürzten Präsidenten Baschar al Assad. Daraufhin hatten Regierungstruppen und radikale Kämpfergruppen fast 1500 zumeist Alawit:innen getötet. Es wurde anschließend eine Expertenkommission eingesetzt, um die Hintergründe dieses Massakers aufzuklären. Nachdem jedoch der Bericht des von der Übergangsregierung eingesetzten Komitees veröffentlicht und die Namen der Täter identifiziert wurden, blieben diese bis heute auf freiem Fuß und ungestraft.
Untersuchungen fehlen, Gerechtigkeit bleibt aus
Während die Übergangsregierung mit eskalierenden Krisen kämpft, bleiben die zerstörten Kirchen stumme Zeugen des Leids – und des Widerstandes.
Die Christen Syriens suchen heute nicht nach internationalem Schutz – sondern nach einem Staat, der alle schützt. Einen Staat, der über den Konfessionen steht und nicht eine Gruppe repräsentiert. Einen Staat, der alle Menschen achtet. An der Mar-Elias-Kirche sind die Spuren der Gewalt nicht zu übersehen, aber es gibt den festen Willen von Mias und den anderen aus der Gemeinde, dass sie schnell wieder renoviert wird. Es gilt nach vorne zu schauen, damit Syrien eine Chance bekommt: "Wir werden wieder alles aufbauen. Wir gehen nicht. Das ist unser Land.", sagt er.