"Es ist bestimmt nicht ganz falsch, dieses Treffen mit einer Familienfeier zu vergleichen.", sagte Prof. Dr. Martina Böhm, Professorin für Biblische Exegese und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Hamburg und Gastgeberin des Kongresses in Hamburg bei der Eröffnung im Aby-Warburg-Haus.
Schließlich feiert die Societé d’Études Samaritaines in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Ziel der Gesellschaft ist die Erforschung der Geschichte der Samaritaner:innen und ihr Einfluss auf ihr geografisches und kulturelles Umfeld.
Im Rahmen des Kongresses wurden die Spuren jüdischen Lebens in Hamburg in den Blick genommen. Dazu gehörte auch eine kleine Sammlung samaritanischer Handschriften, die in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky aufbewahrt werden.
Die weltweit aktiven Wissenschaftler:innen stellten während der intensiven Tage ihre neuesten Forschungsergebnisse vor, die deutlich zeigen, wie vielschichtig der Einfluss der Samaritaner:innen auf die Kulturen in ihrem Umfeld ist. Einen Schwerpunkt bildeten dabei Ergebnisse aus der Manuskriptforschung und der Archäologie sowie ihre Darstellung in aktuellen Katalogen und musealen Ausstellungen auf der ganzen Welt.
Der Einfluss auf die Kulturen des Nahen Ostens zeigt sich dabei weit über das Christentum hinaus und ist bis heute als eigenständige Kultur ein wichtiger Forschungsgegenstand unterschiedlicher Disziplinen. Das wurde auch durch die vielseitigen Forschungsgebiete der Teilnehmer:innen des Kongresses deutlich. Neben Theolog:innen nahmen auch Sprachwissenschaftler:innen und Archäolog:innen am Kongress in Hamburg teil.
Der für Christ:innen wohl bekannteste Samaritaner dürfte derjenige aus dem Gleichnis Jesu über den barmherzigen Samariter aus dem Lukasevangelium sein. Dort führt Jesus an seinem Beispiel das Konzept der Nächstenliebe aus. Dabei kennen sich auch die Autoren des Matthäus- und Johannesevangeliums scheinbar sehr gut mit ihrem samaritanischen Umfeld aus.
Wer sind die Samaritaner?
Die Samaritaner entwickelten sich neben den Juden aus dem Volk Israel. Aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit ergeben sich starke kulturelle Parallelen zum nachexilischen und rabbinischen Judentum. Allerdings bildeten sich auch große Unterschiede heraus. So berufen sich die Samaritaner ausschließlich auf die fünf Bücher Mose, den sogenannten Pentateuch. Die restlichen Schriften des Alten Testaments haben für sie keine Bedeutung. Sie werden sogar teilweise als Indiz dafür gesehen, dass sich die Juden von der israelitischen Tradition entfernt haben.
Kultstätte ist der Berg Garizim
Auch bildete sich ihre Kultstätte nicht auf dem Berg Zion, wie in jüdischer Tradition, sondern auf dem Berg Garizim. Die Verehrung auf dem Garizim war für die Samaritaner ein weiteres Indiz dafür, dass sie die religiöse Tradition des alten Israel fortsetzen. Ähnlich wie der Tempel in Jerusalem wurde der Tempel auf dem Garizim, etwa 128 v. Chr., zerstört. Der Berg Garizim ist auch Teil des deutlichen Unterschieds zwischen den Zehn Geboten der Samaritaner und der Juden. Das zehnte Gebot der Samaritaner erklärt den Garizim zum Zentrum der samaritanischen Anbetung.
Da das erste Gebot des Dekalogs der Juden bei den Samaritanern nur den Stellenwert einer Einleitung erhält, sind die Zehn Gebote der Samaritaner gegenüber der jüdischen und christlichen Tradition jeweils um eines verschoben. Durch die Ergänzung des Gebots zur Anbetung am Garizim werden die Zehn Gebote vervollständigt. Die Relevanz des Garizim für die Samaritaner war häufiger Gegenstand der Vorträge beim Kongress in Hamburg.
Gegenüber der jüdischen Glaubenspraxis haben die Samaritaner auch alte Bräuche beibehalten. Die höchste Autorität bildet bei den Samaritanern nach wie vor ein Hohepriester. Seit dem 17. Jahrhundert wird dieses Amt innerhalb einer Familie, die sich auf Itamar, den Enkel Aarons zurückführt, an den ältesten Mann weitergegeben, sofern er keine Ehe eingegangen ist, die ihn vom Amt des Hohepriesters ausschließen würde. Derzeitiger Hohepriester ist seit 2013 Abdel V., bürgerlich Abdel ben Asher ben Masliah.
Außerdem vollziehen Samaritaner bis heute das Tieropfer. Ihr Neujahrsfest feiern die Samaritaner, anders als im Judentum üblich, nicht im Herbst, sondern im Frühling. Ähnlich wie die Juden erwarten die Samaritaner den Gesalbten Gottes. Allerdings stammt er ihrer Überzeugung nach aus dem Stamm Josef und nicht, wie Jesus, aus dem Stamm Juda. Der Gesalbte wird nach samaritanischer Tradition auch nicht als König, sondern, ähnlich wie Mose, als Prophet erwartet, der den religiösen Zustand des alten Israel wiederherstellen würde.
Heute leben fünf samaritanische Familienverbände in der Nähe von Tel-Aviv und in Nablus, dem biblischen Sichem, im Westjordanland. Schätzungen zufolge leben in diesen fünf Familienverbänden heute noch ungefähr 840 Samaritanerinnen und Samaritaner.