Röwekamp, war bis April 2025 Leiter des Pilgerhauses des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande in Tabgha am See Genezareth (Israel).
epd: Gaza - das ist für viele Menschen ein Synonym für Krieg und islamistischen Terror. Doch Gaza und sein Umland sind mehr als das: So ist etwa weniger bekannt, dass in Gaza auch Christen mit einer reichen Geschichte und Tradition leben. Wie viele sind das etwa?
Georg Röwekamp: Vor dem 7. Oktober 2023 gab es noch gut 1.000 Christinnen und Christen in Gaza - davon waren 136 römisch-katholisch, die übrigen griechisch-orthodox. Zudem gibt es noch das Anglikanische Krankenhaus. Nach Kriegsbeginn sind praktisch alle in die Gebäude rund um die jeweilige Pfarrkirche in Schulen, Kindergärten, Behindertenheime zurückgezogen, weil sie sich dort sicherer fühlen. Inzwischen haben eine ganze Reihe von ihnen den Gazastreifen auf unterschiedlichen Wegen verlassen. Es sind also nur noch wenige Hundert, die dort unter schwierigsten Bedingungen ausharren.
Sie haben das Buch "Christen in der Region Gaza. Eine vergessene Geschichte" geschrieben, das im Herder-Verlag (Freiburg) erschienen ist. Darin zeichnen Sie die "christliche Geschichte" des Gazastreifens nach: Seit wann gibt es Christen dort und was waren wichtige historische Stationen des Christentums in Gaza und Umgebung?
Röwekamp: Die Überlieferung sagt, dass schon die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten durch Gaza gekommen ist. Erste sichere Zeugnisse haben wir aus dem Ende des dritten Jahrhunderts, als mehrere Christen und Christinnen aus Gaza als Märtyrer starben. Wenig später begann die Blütezeit des Christentums: Hilarion von Gaza brachte das Mönchtum ins Heilige Land, und Schriften von Gaza-Mönchen wie Dorotheus und Barsanuphius werden noch heute gelesen. Professoren der berühmten Rhetorenschule von Gaza beschrieben die prachtvollen byzantinischen Kirchen und Kunstwerke in der Stadt, von denen leider nur noch wenig erhalten ist.
Aber auch nach der arabischen Eroberung verschwand das Christentum nicht: So ist zum Beispiel Suleiman von Gaza im 11. Jahrhundert der erste christliche Dichter überhaupt, der auf Arabisch schrieb.
Welche Rolle spielt der biblische Simson mit Blick auf Gaza?
Röwekamp: Die Simson-Geschichten der Bibel spielen zum Teil in der Philister-Stadt Gaza. Angeblich hat er einst die Stadttore von Gaza aus den Angeln gehoben und konnte so den Philistern entkommen. Später hat man darin ein Vorbild Christi gesehen, der die Pforten der Unterwelt zerbricht. Und Simson stirbt in Gaza: In einem letzten Kraftakt zerstört er das Gebäude, in dem er sich aufhält, und nimmt dabei bewusst viele Feinde mit in den Tod - fast wie ein moderner Selbstmordattentäter.
"Es ist fast ein Wunder, dass sie die Hoffnung auf eine Wende noch nicht aufgegeben haben."
Wie sieht die Situation der Christen seit dem 7. Oktober 2023 aus?
Röwekamp: Die Situation ist mehr als schwierig. Wie alle anderen Bewohner des Gebietes leiden sie unter den fortwährenden Kämpfen sowie dem Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten. Auf beeindruckende Weise feiern sie weiter täglich ihre Gottesdienste und versuchen, den Menschen in der Nachbarschaft beizustehen. Es ist fast ein Wunder, dass sie die Hoffnung auf eine Wende noch nicht aufgegeben haben. Aber wie der evangelische Bischof von Jerusalem, Ibrahim Azar, sagt: "In Palästina ist Hoffnung eine Entscheidung." Und der lateinische Patriarch Pierbattista Pizzaballa bezeichnet die standhaften Christinnen und Christen von Gaza in seiner Weihnachtspredigt als "Licht unserer Kirche in der ganzen Welt".
Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft des Christentums in Gaza?
Röwekamp: Nun - zunächst hoffe ich inständig, dass ein baldiger Waffenstillstand dazu führt, dass die Christinnen und Christen von Gaza rein physisch überleben. Und natürlich hoffe ich, dass sie dann bleiben können. Sonst wäre Gaza einer dieser Orte im Ursprungsland des Christentums, wo es keine Christen mehr gibt. Und das schreckliche Szenario eines christlichen Disneylands mit ein paar ausländischen Christen, die die heiligen Stätten betreuen, wäre noch etwas näher gerückt.
Buchtipp:
Georg Röwekamp: Christen in der Region Gaza. Eine vergessene Geschichte, Herder-Verlag, Freiburg, 133 Seiten, 20 Euro.