Mathias Kraft hatte das Gefühl gehabt, er sei in seiner Familie ungewöhnlich. In seinem Elternhaus wurde der christliche Glaube gelebt, aber die Eltern hatten einen Milchwirtschaftsbetrieb. Die Vorfahren waren Bauern und Handwerker rund um Dornhan (Landkreis Rottweil) gewesen. Kraft studierte Latein, Griechisch, Hebräisch und Theologie. "Die Leute hatten mich immer gefragt: Wo kommt das denn her?", erzählt Kraft am Telefon.
Inzwischen hat der Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg eine Antwort. Der Zufall und intensive Ahnenforschung halfen ihm, sie zu finden. Doch zurück zum Anfang.
2007 wurde Mathias Kraft Pfarrer in Gräfenhausen (Enzkreis). Der damalige Ortshistoriker Hans-Peter Baumann erzählte ihm, dass es vor vier Jahrhunderten schon einmal einen Pfarrer aus dem Schwarzwald gegeben hatte. Auf einer Tafel in der dortigen Michaelskirche ist vermerkt: "1610 - 1627 Christophorus Kraft". Konnte das tatsächlich ein Vorfahre sein, fragte sich Mathias Kraft. Er wälzte Kirchenbücher, Urkunden und Dokumente, verbrachte viel Zeit im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Und stellte fest: Der Kirchenmann war tatsächlich ein Mitglied seiner Familie gewesen.
Christophorus Kraft kam 1573 in Hopfau (bei Dornhan) auf die Welt. Er war Pfarrer in Breitenberg, in Althengstett und schließlich in Gräfenhausen. 1627 stirbt er inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges. "Nachdem er binnen vier Jahren zwei Pestepidemien überlebt und über die Hälfte seiner Gemeindemitglieder beerdigen musste - es waren über 400 Pesttote zu beklagen", heißt es in dem Buch, das Mathias Kraft zu seinen Recherchen geschrieben hat. Es trägt den Titel "Kloster Alpirsbach im Ringen mit Altwürttemberg - Eine Dornhaner Familie zwischen zwei Herrschaftsansprüchen."
Zwischen Pest und Glauben
Kraft sagt, er blicke mit großem Respekt auf das Leben seines Ahnen: "Er hat ja die chaotischsten Verhältnisse erlebt und musste so viele Menschen beerdigen. Dabei ist er nicht weggelaufen", sagt Kraft. Sicherlich habe ihn auch sein Glaube davon abgehalten, das zu tun. Weiter findet Kraft heraus, dass Christophorus Kraft der Sohn von Albertus Kraft war. Da zeigt sich ein weiterer Zufall: Auch Mathias Krafts Vater hieß Albert. Christophorus Kraft hatte wohl noch 15 Geschwister, von denen mindestens drei das Erwachsenenalter erreichten.
Auch ein Sohn von Christophorus studierte evangelische Theologie. Er arbeitete von 1630 bis 1638 als Lehrer in Tübingen. Dort heißt es in einem Dokument unter anderem: "Er übersetzt fein aus dem Hebräischen." In seinem Buch berichtet Mathias Kraft noch von weiteren Mitgliedern der Familie. Dabei stellt er auch dar, wie Alpirsbacher Äbte und württembergische Grafen und Herzöge über drei Jahrhunderte um die Vorherrschaft in dem Gebiet ringen. Die Krafts tauchen in einer Urkunde aus dem Jahr 1297 als Leibeigene auf. Später werden sie Bürger, Bürgermeister und Pfarrer.
Bis der Dreißigjährige Krieg den mühsam erkämpften Wohlstand der Familien zerstört. "Ganze Bevölkerungsschichten, so sie denn überlebt haben, steigen auch sozial ab und arbeiten wieder als Bauern", heißt es im Buch. Kraft weiß heute, dass er eine alte Linie wieder aufgenommen hat.