Um das übliche Krimischema wenigstens ein bisschen zu variieren, hat die ARD vor 25 Jahren beschlossen, im Ausland ermitteln zu lassen. Den Anfang machten damals die Verfilmungen der Brunetti-Krimis von Donna Leon (Venedig). Seither hat die zuständige ARD-Tochter Degeto halb Europa abgegrast. Einige Schauplätze sind längst etabliert (Zürich, Kroatien, Barcelona), andere wurde nach zwei Versuchen wieder fallen gelassen, darunter auch Urbino (2016). Dabei sind die Filme, die der WDR heute ab 22.15 Uhr wiederholt, durchaus sehenswert. Als Vorlage dienten zwei Romane von Uli T. Swidler, die alles mitbringen, was ein reizvoller Krimi braucht: mysteriöse Mordfälle, eine schöne Frau zwischen zwei Männern, wunderliche Nebenfiguren und dazu einen pittoresken Handlungsort.
"Die Tote im Palazzo" wirkt jedoch, als sei Regisseur Uwe Janson und seinem Kameramann Marcus Stotz viel daran gelegen, bei aller inhaltlichen Passgenauigkeit wenigstens optisch aus dem Rahmen zu fallen. Die beiden haben unter anderem mit "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" eins kunstvollsten ARD-Märchen geschaffen. Ihr "Urbino-Krimi" beeindruckt durch eine Bildgestaltung, der anzusehen ist, wie viel Sorgfalt unter anderem auf die Lichtsetzung verwendet wurde. Viele Einstellungen sind leicht verfremdet, immer wieder kurz eingestreute Rückblendenbilder lassen den Film temporeicher wirken, als er ist. Dass andererseits die Sonnenuntergänge über der malerischen mittelitalienischen Stadt besonders kitschig aussehen, wirkt fast wie ein ironisches Augenzwinkern.
Nicht minder sehenswert ist Leonardo Nigro als Roberto Rossi, Titelheld der Romane. Der hierzulande zwar regelmäßig im Fernsehen präsente, aber trotzdem kaum bekannte Schweizer ist ein interessanter Typ und als gebürtiger Italiener ohnehin eine glaubwürdigere Besetzung als manche seiner Mitstreiter. Katharina Wackernagel beispielsweise spielt die ewige Medizinstudentin Malpomena del Vecchio, als habe sie sich zur Vorbereitung auf ihre Rolle als italienische Landadelige mit zwar gezügeltem, aber dennoch spürbaren Temperament alte Filme mit Gina Lollobrigida oder Claudia Cardinale gesehen. Dritter im Bunde ist Hannes Jaenicke: Der deutsche Kriminalhauptkommissar Gruber musste nach einer schweren Schussverletzung seinen Dienst quittieren und will jetzt in Italien das Dolce Vita genießen, mischt sich aber gern ein, wenn es gilt, einen Mordfall zu klären. Dass Rossis Sandkastenfreundin Malpomena von dem selbstbewussten Charme des Deutschen unübersehbar angetan ist, gefällt dem einheimischen Polizisten allerdings gar nicht, zumal er Gruber ohnehin nicht mag.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Personal birgt also genug Potenzial für emotionale Konflikte ebenso wie für eine kernige Männerfreundschaft, aber auch die Geschichte hat ihren Reiz, zumal Janson sie mit moderaten Thriller-Elementen versieht: Im Gewölbe unter dem städtischen Palazzo mit seiner weltberühmten Renaissance-Sammlung entdeckt Rossi eine rituell aufgebahrte Leiche. Die junge Frau ist erst vergewaltigt und dann offenbar vergiftet worden. Weil sämtliche Kommissare an einem Virus erkrankt sind, muss Verkehrspolizist Rossi, unterstützt von der angehenden Rechtsmedizinerin Malpomena, die Ermittlungen übernehmen.
Da das Drehbuch mit teilweise parodistischer Freude alle möglichen Italienklischees berücksichtigt, spielt gerade angesichts des vermeintlichen Ritualmords natürlich auch der Aberglaube eine große Rolle; Janson nutzt die entsprechenden Szenen, um seinem Film einen gewissen Mystery-Touch zu geben.
Das Autorentrio Swidler, Janson und Andreas Knaup sorgt ohnehin dafür, dass sich die Zutaten die Waage halten. Die Geschichte hätte das Zeug zum Thriller, und Janson inszeniert den Film gerade dank der Bildgestaltung auch immer wieder entsprechend. Dank des Personals ist "Die Tote im Palazzo" aber auch Komödie. Der leicht xenophobe Rossi zum Beispiel überzieht Gruber zunächst mit Strafzetteln, bevor er schockiert feststellen muss, dass der Deutsche kein Tourist, sondern ein Kollege und zu allem Überfluss sein neuer Nachbar ist. Tatsächlich eine Witzfigur ist Rossis Chef, den Tonio Arango in der für ihn typischen leicht überzogenen Art verkörpert: Die Stärken des leicht geckenhaften Nevio Cottelli, der seine Besucher auf einem Stuhl von Kindergartengröße platziert und eine leidenschaftliche Liaison mit seiner Assistentin (Patrizia Carlucci) hat, liegen eindeutig nicht in der Kriminalistik.
Zur heiteren Seite gehört natürlich auch die ungeklärte Beziehung zwischen Roberto und Malpomena, die sich gern darüber echauffiert, dass der Polizist sie nur mit seiner für eine Baronesse selbstredend unangemessenen Vespa durch Urbino kutschiert. Der im Anschluss gezeigte (und letzte) Film, "Mord im Olivenhain", imponiert ebenfalls durch eine Bildgestaltung, die hinsichtlich Raffinesse und Lichtsetzung deutlich aus dem Fernsehalltag herausragt.