TV-Tipp: "Tatort: So lange du atmest"

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11. Mai, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: So lange du atmest"
Ein clever konstruiertes Krimipuzzle, dem leider früh die Spannung abhandenkommt: Der Bremer "Tatort – So lange du atmest" punktet mit Stilmitteln und starker Bildsprache, verrät aber zu früh, wo die Reise hingeht.

Ein guter Krimi funktioniert wie ein Zaubertrick: In beiden Fällen basiert der Erfolg darauf, beizeiten einen abschließenden Knüller einzufädeln; vor aller Augen zwar, aber trotzdem nicht wahrnehmbar. Während es für die Wirkung von Zauberei unerlässlich ist, dass die Illusion gewahrt bleibt, darf und soll das Publikum beim Krimi durchaus eine Ahnung davon bekommen, wann das Kaninchen, das das Drehbuch zum Schluss aus dem Hut zaubert, dort hinein gelangt ist. Spätestens jetzt kommt die Regie ins Spiel, denn natürlich gilt es, den zwischenzeitlichen Hinweis so dezent wie möglich unterzubringen.

Ausgerechnet in dieser Hinsicht offenbart der "Tatort" aus Bremen ein großes Manko. Auf Zeitungsfotos deutet manchmal ein Pfeil auf ein wesentliches Detail. So ähnlich hat Franziska Margarete Hoenisch im ersten Akt einen Schlüsselmoment inszeniert, der später eine entscheidende Rolle spielen wird. 

Gerade die Sonntagskrimis legen mitunter die Vermutung nahe, die Verantwortlichen hätten als Zielgruppe ihre Großeltern vor Augen, weshalb die Dinge oft nicht nur gezeigt, sondern ausdrücklich auch beim Namen genannt werden. Das ist im Fall von "So lange du atmest" doppelt schade: Drehbuchautorin Judith Westermann hat ihre Geschichte zwar clever eingefädelt, aber das Krimivergnügen wird nicht unerheblich getrübt, wenn das mit großer Geste aus dem Zylinder hervorgeholte Kaninchen keine Überraschung mehr ist. Zweites Manko ist die Zeichnung der Hauptfiguren. Aus unerfindlichen Gründen muss gerade zwischen "Tatort"-Ermittlerinnen regelmäßig Zank und Streit herrschen; die Krimis aus Ludwigshafen haben einst auch so angefangen. Die Filme aus Bremen leben zwar von den Gegensätzen zwischen der pragmatisch-ruppigen Liv Moormann sowie der neunmalklugen und leicht autistisch wirkenden Linda Selb (Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram), aber Zickenkrieg ist immer nervig. Bei ihrer siebten Zusammenarbeit werfen sich die Kommissarinnen ständig gegenseitig ihre Alleingänge vor und geraten auch sonst einige Male heftig aneinander.

Zum gewohnten Krimimuster gehört unter anderem das Spiel mit einer zusätzlichen Ermittlung. Fast immer stellt sich irgendwann raus, dass die vermeintliche Nebenebene und der eigentliche Fall zwei Seiten derselben Medaille sind: Selb ist genervt, weil eine Frau für ihren Dealer-Freund ins Gefängnis gegangen ist. Als am Weserufer eine männliche Leiche gefunden wird, scheint es sich zunächst um eine Beziehungstat zu handeln: Anscheinend hat sich eine Frau auf ziemlich endgültige Weise ihres Stalkers entledigt. Der Tote, Marek Koschak (Jonathan Berlin), war Journalist und hat just im Umfeld jenes Clubs recherchiert, in dem Dealer Dennis Zacher (Alexander Grünberg) als Türsteher arbeitet. 

Das Augenmerk des Films gilt jedoch einer alleinerziehenden Mutter, Rani (Via Jikeli). Viele Szenen werden aus ihrer Perspektive geschildert, und das durchaus buchstäblich, weil Hoenisch ihre Wahrnehmung wiedergibt, Blinzeln inklusive. Gegen Ende nutzt die Regisseurin das Stilmittel auch für die Gegenwart. Das ist eine interessante optische Variante in diesem bildgestalterisch vorzüglich, ansonsten jedoch überraschungsarm inszenierten Krimi. Rani gerät in Verdacht, weil sich das Mordopfer über sie wegen ständiger Nachstellungen beschwert hat; in Wirklichkeit war es wohl genau andersrum. Trotzdem hat Rani wegen Koschak ihre Arbeit verloren; womöglich Grund genug, um sich zu rächen.

Allerdings lassen Buch und Regie kaum einen Zweifel an ihrer Unschuld der Frau, und das nicht nur wegen des Hinweises auf die tristen Einkommensverhältnisse alleinerziehender Mütter: Gleich nach dem Leichenfund tippt Selb angesichts der Todesumstände auf einen männlichen Täter. Später ahnt sie, dass Rani in diesem Fall eher Opfer als Täterin ist. Tatsächlich gibt es recht früh eine gruselige Szene, die dies zu bestätigen scheint: Im Zimmer Ranis hängen alle Fotos, die sie und ihre Tochter Mia zeigen, verkehrt herum an der Wand; die Augen sind ausgestochen. 

Etwa zur Hälfte des Films lässt sich die Lösung bereits erahnen. Nach gut einer Stunde ist allen, die wahrgenommen haben, wie Hoenisch das Kaninchen in den Hut gesteckt hat, ohnehin klar, wer wirklich für das Ableben des Journalisten verantwortlich ist; kurz drauf sorgt der Film dafür, dass der Rest des Publikums das auch mitkriegt. Damit das Finale trotzdem fesselt, hat Westermann von langer Hand dafür gesorgt, dass Selb ohne Waffe zum Showdown antritt. Immerhin zahlt sich nun aus, dass sie sich beim demütigenden Nahkampftraining, bildlich gesprochen, eine blutige Nase geholt hat.