TV-Tipp: "Tina mobil"

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25. Juni, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tina mobil"
Eine Frau verliert mit Anfang fünfzig ihren Job als mobile Backwarenverkäuferin, aber anstatt den Kopf hängen zu lassen, kauft sie sich ein eigenes Verkaufsauto und fährt weiterhin ins brandenburgische Umland, wo sie sich allmorgendlich ein Wettrennen mit ihrer Nachfolgerin liefert.

Das klingt wie eine Dienstagsserie im "Ersten", zumal Gabriela Maria Schmeide die Titelfigur als Frau mit großem Herzen verkörpert. Es dauert fast einen Spielfilm lang, bis sich rausstellt, warum die ARD "Tina mobil" am Mittwoch ausstrahlt: Plötzlich zeigt Tina ein ganz anderes Gesicht.

Bis dahin jedoch erzählen Laila Stieler (Buch) und Richard Huber (Regie) eine Geschichte aus der Mitte des Lebens, die vor allem Mut macht. Seit sie sich vom Gatten (Alexander Hörbe) getrennt hat, schlägt sich Tina mit ihren drei fast erwachsenen Kindern alleine durch: Caro (Runa Greiner), gelernte Kosmetikerin, vergräbt sich geraumer Zeit in der Wohnung, Felix (David Ali Rashed) wird es im Leben höchstwahrscheinlich nicht sonderlich weit bringen. Tina liebt auch sie, aber ihr Augenstern ist Julia (Fine Sendel), eine begnadete Musikerin, der womöglich eine große Karriere bevorsteht. Die Mutter malt sich die Zukunft ihrer Tochter in den rosigsten Farben aus und merkt gar nicht, wie sehr sie das Mädchen dabei unterdrückt.

Weil Huber (Grimme-Preis für "Dr. Psycho", Bayerischer Fernsehpreis für "Club der roten Bänder") das sehr behutsam inszeniert, ist der Eklat umso überraschender: Als Julia ungewollt schwanger wird, kommt es zu einer Konfrontation, die Tina in völlig anderem Licht erscheinen lässt. Ausgerechnet die Frau, die sich aufopfert, um ihren Kindern ein einigermaßen behütetes Leben bieten zu können, wirkt auf einmal herzlos. 

Gabriela Maria Schmeide, die hinter Tinas Fröhlichkeit eine große Melancholie durchschimmern lässt, deren traurige Ursache erst viel später ans Licht kommt, muss die Serie wie ein Geschenk empfunden haben: Für Schauspielerinnen jenseits der fünfzig sind weibliche Hauptrollen nur noch wenigen Stars vorbehalten. Ungewöhnlich an "Tina mobil" (TV-Premiere war 2021) ist jedoch nicht nur das Alter der zentralen Figur. Aus dem Rahmen fallen die sechs dramaturgisch in sich abgeschlossenen, aber horizontal erzählten Geschichten vor allem wegen der Lebensumstände: Die Sanftlebens sind eine ganz normale Familie. Während Konflikte sonst stets auf die Spitze getrieben werden, handelt "Tina mobil" vom Alltag von Menschen, deren Leben im Fernsehen nur selten erzählt wird. Trotzdem macht Stieler angenehm wenig Drama aus Tinas Situation. Das gilt für das kleine Ungemach ebenso wie für die potenzielle Tragödie: Meist gelingt es Tina, ihren Kopf aus der Schlinge zu quasseln, und wenn das nicht hilft, finden sich andere Auswege; so wird zum Beispiel ausgerechnet die tschetschenische Konkurrentin Safaa (Margarita Breitkreiz) zur Retterin der Not. 

Dazu passt auch Hubers betont unaufgeregter Regiestil. Die Serie verhehlt nicht, dass Tina es nicht leicht hat, und ihre scheinbar unerschütterliche Zuversicht wirkt mitunter unangebracht, aber meist gelingt es ihr dank ihrer Hartnäckigkeit, für jedes Problem eine Lösung zu finden. "Tina mobil" ist daher kein Sozialdrama, sondern orientiert sich vielmehr am lakonischen Humor und der großen Wahrhaftigkeit, mit der der Brite Ken Loach seine Geschichten erzählt. Das Thema ist trotzdem ernst, denn letztlich zeigt Tinas Schicksal, wie leicht man aus der unteren Mittelschicht in die Armutsfalle abrutschen kann: Ihr Dasein ist derart auf Kante genäht, dass kleine Ursachen gleich eine fatale Wirkung haben können. 

Gespielt ist das ausnahmslos formidabel. Das gilt vor allem für Runa Greiner: Als Tina ihren Führerschein abgeben muss, springt Caro als Fahrerin ein, beglückt die Kundinnen mit Kosmetiktipps und blüht regelrecht auf. Wie die junge Schauspielerin diese Metamorphose verkörpert, ist mindestens ebenso preiswürdig wie die Leistung von Schmeide, für die Stieler schon die Grimme-preisgekrönten Milieustudien "Die Polizistin" (2001) und "Die Friseuse" (2010) geschrieben hat. Dass allen Beteiligten ein ganz besonderes Projekt vorschwebte, zeigt sich nicht zuletzt an der sorgfältigen Besetzung auch kleinster Nebenrollen mit herausragenden Mitwirkenden wie Monika Lennartz, Ursula Werner oder Axel Werner. Klassiker von Gundermann, Karat und Veronika Fischer unterstreichen diese Verbeugung vor der ostdeutschen Kultur, die dennoch weit von Ostalgie entfernt ist. Die Episoden drei bis sechs folgen am Freitag ab 22.20 Uhr.