"Rotes Sofa" mit Friedrich Kramer und Anna-Nicole Heinrich

Friedrich Kramer sitzt auf dem "Roten Sofa" in Hannover
Arik Sürek
Seine Positionen zum Thema Krieg und Frieden teilte Friedrich Kramer auf dem "Roten Sofa".
Promitalks auf dem Kirchentag
"Rotes Sofa" mit Friedrich Kramer und Anna-Nicole Heinrich
Promis, Perspektiven, starke Stimmen: Auf dem "Roten Sofa" sprechen Glaubenspersönlichkeiten, Politiker:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen über Mut, Glaube und Gesellschaft. Heute unter anderem mit dabei: Maja Beckmann, Judy Baley, Rüdiger Schuch sowie Anna-Nicole Heinrich und Dagmar Pruin - evangelisch.de ist Medienpartner des "Roten Sofas" und fasst das Wichtigste für Sie zusammen.

Rüdiger Schuch: Menschen die mit dem Alltag kämpfen, sollten nicht diffamiert werden!

700.000 Menschen arbeiten ehrenamtlich bei der Diakonie, so wird Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland, anmoderiert. Für ihn ein Grund, vor seinem ersten Statement zunächst ein Dank vom roten Sofa an alle zu senden, die tagtäglich diese wertvolle Arbeit leisten.

Aktuell wird in Deutschland die Debatte über eine Wehr- oder allgemeine Dienstpflicht geführt. Wie steht der Präsident der Diakonie dazu? Den Ruf könne er nachvollziehen, er plädiere aber für ein Freiwilligenjahr. Noch aber sei die Finanzierung solch eines Jahres nur für junge Menschen aus einem guten Elternhaus möglich, das sei zu bedauern, so Schuch. Dabei sei solch ein Jahr oft ein erster Anknüpfungspunkt, um "Soziales" auch als Berufsfeld zu entdecken. Er fordert, ein Freiwilliges Soziales Jahr müsste finanziell besser ausgestaltet werden, damit jeder und jede diese Erfahrung durchleben könne.

Schuch fände es gut, wenn alle 16-Jährigen vom Bundespräsidenten einen Brief bekämen, in dem sie auf die Möglichkeit eines Freiwilligen Sozialen Jahres hingewiesen würden. Die Dienste müssten so attraktiv sein, dass sich viele junge Menschen begeistert dafür melden.

Der Streit um das Thema Bürgergeld

Dass man Menschen, die Bürgergeld bekommen, kollektiv als "faul" abgestempelt habe, sei für Schuch eine ganz schlimme Bewertung und Entwicklung. Er sehe es als Fakt, dass mehr als 90 Prozent dieser Menschen, die Hilfe wirklich bräuchten. Ein Besuch bei der Tafel zeige doch, dass es sich offensichtlich nicht mehr sehr "bequem" mit Bürgergeld leben lasse.

"Menschen, die mit dem Alltag kämpfen, sollten nicht diffamiert werden!"

Mit einem Alltag, der Leben kaum erlaubt, kämpfen auch viele Menschen in anderen Ländern und entschließen sich zur Flucht. Auch hier habe sich die Stimmung in Deutschland gewandelt. Klare Worte von Rüdiger Schuch dazu: "Wer aus seiner Heimat flieht, der ist letztlich mutig, denn er wage es, sein altes Leben zu verlassen und geht das Risiko ein, eine Flucht zu überleben und das ist stark und in der Regel sind diese Menschen sehr beherzt."

"Wer aus seiner Heimat flieht, der ist letztlich mutig, denn er wage es sein Leben zu verlassen und geht das Risiko ein, eine Flucht zu überleben, und das ist stark, und in der Regel sind diese Menschen sehr beherzt."

Es mache sich das Gefühl in der Gesellschaft breit, dass wir in Deutschland den Menschen, die zu uns flüchten, nicht mehr adäquat begegnen könnten. Darum sei es für Schuch besonders wichtig, die Integration dieser Menschen bestmöglich zu unterstützen, beispielsweise durch eine traumatherapeutische Begleitung oder mit ausreichenden Finanzmitteln für Arbeiten wie Beratung oder die Integration in den Arbeitsmarkt. Natürlich gäbe es aktuell auch Kommunen, die wirklich überlastet seien durch die Menge der Menschen.

Leider sind Menschen gerade in überfordernden Situationen besonders empfänglich für einfache Antworten. Ob die Diakonie ein verändertes Verhalten durch den "Rechtsruck" in Deutschland spüre, fragt Claudia Keller, von chrismon, im Interview. Ja, sagt Schuch, für ihn persönlich sei das eine traurige Entwicklung: "Wir müssen feststellen, dass es zunehmend Angriffe und Beleidigungen gegen Mitarbeitende von Angeboten der Diakonie oder Caritas gibt, beispielsweise in der Beratung oder Begleitung von Flüchtlingen oder in der Behindertenhilfe. Mancher Mitarbeitende scheide deshalb aus dieser Arbeit aus, weil er genau das nicht mehr aushalte. "Die Probleme müssen jetzt in der Gesellschaft gelöst werden. Dann werden wir dieses Gedankengut wieder in die Ecke zurückstellen." Das gelte auch für die Beschäftigten der Diakonie selbst, auch hier träfe man auf menschenverachtendes Gedankengut, dass nicht der christlichen Grundhaltung entspräche, sagt Schuch. Hier werde die Diakonie aber auch auf arbeitsrechtlicher Ebene reagieren. 

Judy Bailey: Den eigenen Sohn auf der Bühne des Kirchentags bewundern

Jetzt wird es beschwingt auf dem Sofa: Judy Bailey, Popmusikerin und -sängerin, die mit ihrem Ehemann Patrick Depuhlder in der Band spielt, nimmt auf dem Sofa Platz. Und das ist schon fast Tradition, dass die Sängerin am letzten Tag des Kirchentags kurz auf dem Sofa entspannen darf, nachdem sie täglich und überall auf dem Kirchentag Live-Musik gemacht hat. Doch was waren Baileys Highlights? "Wir haben einige unserer neuen Lieder gespielt und Leute dazu auf die Bühne eingeladen, um gemeinsam 'Zeit ist jetzt' zu singen." 

Einer ihrer drei Söhne hatte auf diesem Kirchentag in Hannover Premiere und ist das erste Mal mit seiner eigenen Band aufgetreten. Ein bewegender Moment für die musikalischen Eltern. Aber auch die Bibelarbeit mit Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt, die ebenfalls auf dem Programm der beiden Eheleute stand, zählt zu den besonderen Momenten. "Im Anschluss hat mich Göring-Eckhardt umarmt und gesagt: 'alles richtig gemacht'." Mit Eckhart von Hirschhausen ein bisschen rappen und immer wieder Freude über Musik verbreiten, volle Tage, voller Freude.

Judy Bailey

Beide bereiten sich schon heute auf den nächsten Kirchentag in Düsseldorf vor, bei dem sie natürlich wieder dabei sein wollen. Noch eine letzte Veranstaltung bei der sie Musik machen, steht heute auf dem Programm: die Buchvorstellung von Sarah Veceras neuem Titel "Gemeinsam anders".

Maja Beckmann: Gerne auch im Schlafanzug ins Theater kommen

Es bleibt kulturell auf dem Sofa, denn Maja Beckmann, unter anderem bekannt aus der Fernsehserie Stromberg, ist jetzt zu Gast auf der Bühne im Messepark. Wie kam sie zu ihrem Beruf als Schauspielerin, will die Moderatorin wissen. Mit ihren vier Geschwistern habe sie schon immer gespielt, erzählt Beckmann, s0dass sie bis heute die Schauspielerei eigentlich nicht als Beruf, sondern als normales Leben wahrnehme.

Maja Beckmann

Schauspiel und Kirche haben heute keine besonders enge Verbindung mehr, wie ist es für Beckmann den Kirchentag zu erleben? "Es ist mein erster Besuch auf einem Kirchentag, ich habe etwas viel Kleineres erwartet. Ich bin überrascht. Aber es ist total wichtig, dass man mal aus seiner eigenen Bubble heraustritt und eine andere betritt." Beckmann hatte zuletzt Johanna von Orleans gespielt, auch eine Verbindung zum Thema Glauben.

Fehlende Diversität: ein Problem von Theater und Kirche?

In der Kirche beklagten wir oft, dass wir nur sehr spezifische Gruppen ansprechen - sei das beim Theater genauso, fragt Stefanie Schardien "Ja, fehlende Diversität ist beispielsweise bei der Zusammenstellung der Ensembles am Theater ein großes Manko. Wenn wir das vielfältiger besetzen, das haben wir erfahren dürfen, dann verändert sich auch der Zuschauerraum." Eine Option für die Kirche?

Und auch die Zuschauer:innen dürfen möglichst bunt und vielfältig sein. Maja Beckmann hätte damit kein Problem, kämen die Menschen im Schlafanzug ins Theater. Bei der Kirche, schmunzelt Moderatorin Stefanie Schardien, wären Stricksocken dazu sicherlich passend. Theater und Kirche kämpfen aber auch um junge Menschen. Was ist besonders wichtig, um diese anzusprechen? "Die erste Begegnung muss gut zünden, dann kommt man gerne wieder." Kirche und Theater können daran arbeiten. Hier auf dem "Roten Sofa" hat es sicherlich geklappt mit der guten Begegnung zwischen Theater und Kirche.

Dagmar Pruin: Ich bin hier am richtigen Platz

Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt und die Präses der Synode der EKD, Anna-Nicole Heinrich, nehmen jetzt Platz auf dem "Roten Sofa". Zwei Frauen in hohen kirchlichen Positionen, befragt von Stefanie Schardien, der theologischen Geschäftsführerin des GEP.

Beide sind vier Jahre im Amt, wie ist ihre Bilanz? Anna-Nicole Heinrich sagt: "Stabil", aber nach vier Jahren hätte sie sehr gern noch viel mehr kleine Boote mit Initiativen in das Fahrwasser der Kirche gesetzt. Sie habe "immer noch Bock drauf." Dagmar Pruin sagt: "Vielleicht war es ganz gut, dass ich beim Antritt noch nicht wusste, was mit Corona und dem Ukraine-Krieg auf uns zukommt und welche Konsequenzen das vor allem im globalen Süden hat." Vier Jahre schon oder erst, eindeutig kann sie das nicht sagen. "Aber ich bin am richtigen Platz hier!", da ist sie sich sicher.

Soll Kirche politisch werden? Anna-Nicole Heinrich hatte kurz davor auf dem "Roten Sofa", eine Diskussionsrunde dazu mit Julia Klöckner. Gelegenheit, jetzt noch einmal den kirchlichen Standpunkt klarer zu umreißen. "Kirche denkt immer vom konkreten Menschen aus, Frau Klöckner hat natürlich die politische Sicht", sagt Heinrich und es wäre logisch, dass Kirche und Politik deshalb oft im Spannungsfeld stünden. "Wir sind Mahner für die Menschen, sie sollten der Mittelpunkt des Denkens sein."

Dagmar Pruin

Pruin sagt dazu, dass Kirche nicht Politik mache, aber Kirche einen Raum schaffe dafür, wie Politik gemacht werden kann. Der Staat könne sich negativ verändern und wir bräuchten einen Zivilgesellschaft, die kritisch darauf schaue, dass dies nicht passiere. "Es braucht starke Kirchen mit langem Atem. Meine Perspektive sind nicht vier Jahre wie in der Politik, sondern die Ewigkeit." Aus Sicht von Brot für die Welt müsse sie als Vorständin gemäß der Vereinssatzung agieren, und da stehe klar drin, dass sie die Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige Zukunft durchsetzen solle. "Wir wollen Politik gestalten, und da wo die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz nicht verwirklicht wird, da erhebe ich meine Stimme."

Kritischer Blick auf den Koalitionsvertrag

Der neue Koalitionsvertrag sorgt nicht für Begeisterung bei Pruin, vermeide er doch überwiegend den Begriff Zivilgesellschaft in seinem Wortlaut. Und es bliebe offen, was künftig an Hilfe finanziert würde, "nachdem die 0,7 Prozent nicht mehr im Vertrag auftauchen." Bisher galt die Formel,  jährlich mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe auszugeben.

Auch für Heinrich sind auch freiwilliges Engagement und Ehrenamt wichtig für das Zusammenleben, sie hoffe, dass sich da auch alles zum Guten wenden wird. "Wir müssen jetzt klar benennen, was wir brauchen und was wir fordern", sagt sie.

Anna-Nicole Heinrich

Sie selbst ist sehr aktiv für die Initiative frei und gleich. "Wir sind alle vor Gott gleich, deshalb starten wir eine große Offensive um auf den Wert der Menschenrecht  aufmerksam zu machen." Das auch mit Klamotten, die junge Leute gerne tragen. Also ist das Sweatshirt kein Zufall, welches sie auf dem "Roten Sofa" trägt. Sie fände es wichtig, auch mal mit dem "richtigen Mut zu einer radikaleren Position" junge Menschen zu gewinnen.

Menschenrechte, eine Herzensangelegenheit

Was kann man machen, wenn man sich für die Menschenrechte einsetzen will? Der Initiative auf den sozialen Medien folgen oder eine Human Rights Night besuchen und da Gleichgesinnte treffen, so Heinrich.

Auch für Dagmar Pruin ist das ein Herzensthema, denn egal welches Menschrecht sie auswähle, es sei bedeutend. "87 Prozent der Bevölkerung der Welt leben in Orten, wo viele Menschenreche gar nicht bekannt oder gelebt werden." Sie sehe, wie schnell sich Gesellschaften verändern können. "Blicken wir mal auf die bisher stolze Demokratie, auf der anderen Seite des Atlantiks und was da passiert oder auf den Rechtsruck in ganz Europa. Ich glaube, wir sind an einem Punkt, wo wir ganz viel von jungen Menschen aus dem globalen Süden lernen können. Die Themen die uns jetzt treffen, sind dort Alltag", sagt Pruin.

Friedrich Kramer: Ein Christ kann nicht mit gutem Gewissen dem Einsatz von Atomwaffen zustimmen

Welche Frage kann grundsätzlicher sein als die von Krieg und Frieden? Schade findet es Kramer, dass die Resolution mit der Forderung, "die Bundesregierung soll dem UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen beitreten und die Stationierung weiterer US-Atomwaffen verbieten", nicht auf dem Kirchentag in Hannover angenommen wurde. "Ein Christ kann nicht mit gutem Gewissen dem Einsatz von Atomwaffen zustimmen", sagt Friedrich Kramer.

Zweites aktuelles Thema war die deutschen Waffenlieferung in die Ukraine. Auch dazu hat Friedrich Kramer eine Haltung: "Waffen, die in ein Kriegsgebiet geliefert werden, töten dort", andererseits sei die Verteidigung der Ukraine auch aus seiner Sicht legitim. Zunehmend setze Nachdenklichkeit darüber ein, wie kommen wir aus dem Krieg heraus? Aus der Friedens- und Konfliktforschung sei bekannt, das je länger ein Krieg dauert, desto schwieriger wird es, ihn zu beenden. Für Kramer ist es eine Aufgabe, genau dort Friedensgespräche voranzubringen.

Friedrich Kramer

Wo stünden wir ohne die Waffenlieferung heute?, fragt die Moderatorin. "Das sind alles hypothetischen Fragen", antwortet Kramer. Man müsse jetzt jede Situation nutzen die sich bietet um einen Weg aus dem Krieg zu finden. Aus seiner Sicht wird Russland weitermachen, bis es seine Ziele erreicht hat. "Auf Deutschland kommt als größter Waffenlieferant auch eine hohe Verantwortung zu," sagt er.

Friedensethik der Kirche

Auch in der Kirche wird über eine veränderte Definition von Frieden nachgedacht. Eine überarbeitete Friedensethik soll bis November 2025 vorliegen. Die letzte entsprechende Denkschrift ist von 2007. Seit dem Jahr 2022 findet dazu eine Friedenswerkstatt statt. Wie ist der Stand, fragt die Moderatorin: Es habe viele Konsultationen dazu gegeben und Themen wurden ausgemacht, die wichtig sind. "Im Herbst dieses Jahres wird ein neues Papier dazu geben, dass unsere Friedensethik auf die neuen Situationen anpasst, berichtet Kramer auf dem "Roten Sofa". 

Ganz persönlich gehe es für ihn beispielsweise nicht, dass Friedrich Merz Israels Premier Netanjahu einladen will und dieser dann nicht verhaftet werden soll, obwohl ein internationaler Haftbefehl vorliegt.

"Auch AfD-Wähler kommen in den Gottesdienst"

Erfreut ist Kramer über die öffentliche Einstufung der AfD als rechtsextremistische Partei. Für ihn sei es schwierig, dass man heute bei Friedensdemonstrationen auf Gruppen treffe, die nicht alle Frieden so verstehen, wie es sein sollte. Aber über ein Parteiverbot sollen, aus Sicht von Kramer, die Institutionen entscheiden, eine politische Lösung sei da nötig. In Thüringen ist die AfD die stärkste Partei, das sei "für uns als Kirche schwierig, weil wir völlig anders denken in Bezug auf Migration und den Umgang mit Fremden. "Ich hoffe, dass wir mit Leuten in die Debatte gehen können." Und das mit klaren Sätzen und Argumente, die sagen: Vorsicht mit den Populisten.

Welche Rolle die Kirche für die Demokratiebildung übernimmt, ist die nächste Frage an den Friedensbeauftragten. "Im Gespräch mit den Menschen sein, denn auch AfD-Wähler kommen in den Gottesdienst. Und wir müssen reagieren auf Aussagen wie: Wir leben hier in einer Diktatur. Da müssen wir sagen, dass ist Unfug." Für ihn fänden die besten Diskussionen nicht auf großen Podien sondern in Einzelgesprächen statt. Die Verständigungsorte der Kirche, seien eine Initiative, welche genau darauf setze. "Wir brauchen eine Kultur der Offenheit aber mit einer klaren Position."