TV-Tipp: "Kafka"

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26. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Kafka"
Kühn ist dieses Projekt, womöglich sogar tollkühn, aber wie auch immer man dazu stehen mag: Es ist ausgesprochen mutig von der ARD, die Gemeinschaftsproduktion aller Sender mit dem ORF ab 20.15 Uhr auszustrahlen.

Denn Daniel Kehlmann sowie Koautor und Regisseur David Schalko machen es ihrem Publikum alles andere als leicht. Natürlich hätten sie das Leben von Franz Kafka als brave Filmbiografie erzählen können; auch dieser Ansatz hätte sicherlich die eine oder andere künstlerische Herausforderung mit sich gebracht. Das Duo hat sich jedoch für eine kunstvolle und daher des Öfteren bewusst artifizielle Herangehensweise entschieden, die nicht nur dem eigenwilligen Charakter Kafkas, sondern auch seinem Werk gerecht werden sollte. Filmisch ist das immer wieder un-, wenn nicht gar außergewöhnlich, aber gerade aufgrund des zunächst fremdartig anmutenden Spiels von Titeldarsteller Joel Basman auch sehr gewöhnungsbedürftig. Der Status als Prestigeproduktion zeigt sich schon allein darin, dass sich der Schweizer ein ganzes Jahr Zeit genommen hat, um sich die Persönlichkeit Kafkas anzueignen und eins mit ihr zu werden. Je länger die Serie dauert, desto plausibler wirken seine seltsam akzentuierte Sprechweise und sein mimisch zumeist fast regloses Spiel, bis sich schließlich der Eindruck verfestigt: So und nicht anders muss Kafka verkörpert werden.

Das Besondere an den sechs Episoden ist jedoch die stilistische Vielfalt. Folge fünf, "Milena", ist im Grunde die einzige, die wie gewöhnliches Fernsehen wirkt, weil sie knapp 45 Minuten lang den Schriftsteller und seine von Liv Lisa Fries verkörperte Übersetzerin beim dialogreichen Spaziergang durch den Wienerwald begleitet. Alle anderen wechseln ständig die Zeitebenen und verknüpfen auf düster-faszinierende Weise Kafkas Leben mit den Verfilmungen seiner Werke, in denen Basman ebenfalls die jeweiligen Hauptfiguren darstellt. Auf diese Weise kombinieren Kehlmann und Schalko verblüffend einleuchtend Fakten und Fiktion. Auch die Szenerie wechselt gern: Viele Passagen machen bewusst keinen Hehl aus ihrer Bühnenhaftigkeit, wenn eine Wohnung beispielsweise klar als Kulisse erkennbar ist, an der die Kamera frontal von einem Zimmer zum nächsten fährt; aber Kafka ist jedes Mal schon vor ihr da. Die filmische Illusion wird zudem des Öfteren durch Kommentare in die Kamera gebrochen.

Mitunter setzt die Beleuchtung regelrecht plakative Akzente, wenn bei einer Begegnung mit dem Vater das Elternhaus als Alptraum in kaltem Blau mit knallroten Lichtinseln erscheint. Nicholas Ofczarek verkörpert den tyrannischen Übervater ohnehin als personifizierten Nachtmahr. Die ebenfalls im elterlichen Domizil angesiedelte Adaption der Erzählung "Die Verwandlung", in der Gregor Samsa eines Morgens als Küchenschabe erwacht, ist dagegen betont unbunt; die Familienmitglieder wirken nun wie Untote. 

Die beste Idee des Autorenduos war es jedoch, die Suche nach einer schlüssigen Dramaturgie transparent zu machen, weshalb Michael Maertens als gutgelaunter Conferencier aus dem Off regelmäßig feststellt: Eigentlich muss man diese Geschichte ganz anders erzählen; und das tut er dann auch.

Auf diese Weise lassen sich die immer wieder neuen Perspektiven jeder Episode begründen: Mal steht Kafkas Arbeit als Angestellter einer Unfallversicherung im Vordergrund, mal seine Verlobte Felice (Lia von Blarer), dann schließlich Dora (Tamara Romera Ginés), die bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924 nicht von seiner Seite weicht. Die wichtigste Figur neben Kafka ist sein Freund Max Brod (David Kross), dem Kehlmann und Schalko – der Österreicher hat unter anderem die etwas spezielle Neuverfilmung des Fritz-Lang-Klassikers "M" gedreht ("M – Eine Stadt sucht einen Mörder", 2019) – aus gutem Grund die erste Folge gewidmet haben: Brod hat sich Kafkas letztem Willen widersetzt und das Vermächtnis des Freundes nicht verbrannt, sondern im Gegenteil veröffentlicht; viele Jahre später muss er sich in einem TV-Interview dafür rechtfertigen, durch seine redaktionelle Bearbeitung der Tagebücher auch die Deutungshoheit an sich gerissen zu haben. Die Serie besucht Brod mehrfach an seinem Arbeitsplatz, wo sich hinter und vor ihm spiegelbildartig ein Dutzend Kollegen tummeln.

Bedeutsame Gastrollen sind ebenfalls prominent besetzt, unter anderem mit Lars Eidinger als Kafka-Bewunderer Rainer Maria Rilke, Verena Altenberger als Robert Musil  oder Charly Hübner als Ernst Rowohlt, der mit sanftem Druck zu seinem verlegerischen Glück gezwungen werden muss. Das "Erste" zeigt die sechs Folgen heute und morgen ab 20.15 Uhr, die Serie steht komplett in der ARD-Mediathek.