730 Tage der Unzerbrechlichkeit

Darka Gorova
Darka Gorova
Die ukrainische Journalistin Darka Gorova von "Amal, Berlin" spricht zum zweiten Jahrestag des Angriffskriegs auf die Ukraine.
Jahrestag des Ukrainekriegs
730 Tage der Unzerbrechlichkeit
Zum zweiten Jahrestag des Überfallkrieges Russlands auf die Ukraine schaut die ukrainische Journalistin Darka Gorova aus Deutschland schmerzlich auf ihr Heimatland. Ein persönlicher Bericht über Trümmer, Trauma und Neuanfänge.

Der zweite Jahrestag der Invasion Russlands in die Ukraine fällt auf das Spiegeldatum 24.02.2024. Esoteriker würden wahrscheinlich sagen, dass diese Zahlenanordnung Gleichgewicht und Harmonie symbolisiert oder dass es ein gutes Zeichen ist.

Aber die Ukrainer glauben nicht daran. Für uns ist der 24. Februar wie ein Phantomschmerz. Wird immer bei uns sein. Wo auch immer wir sind. Egal wie viele Jahre vergehen. Ich werde mich für den Rest meines Lebens an jenen Morgen vor zwei Jahren erinnern, als wir im Morgengrauen von den Explosionen aufwachten und ich zu meinem achtjährigen Sohn sagte: "Steh auf, der Krieg hat begonnen." Heute jährt sich der Tag, an dem die Russen unser ganzes Leben zerstört haben. Diese Erinnerungen sind heute für viele von uns besonders intensiv.

In diesen zwei Jahren saßen wir Ukrainer in Deutschland nicht ohne Licht und Kommunikation in Luftschutzkellern und Notunterkünften, hörten nicht das Pfeifen der Raketen über uns und spendeten kein Blut für die Verwundeten. Aber wir haben sie in deutschen Krankenhäusern besucht, humanitäre Hilfe für die Ukraine gesammelt, Kundgebungen organisiert, der Welt von russischen Gräueltaten erzählt und auch schlecht geschlafen. Das waren die schwierigsten zwei Jahre in meinem bisher aktiven, erfüllten und glücklichen Leben. Und ich weiß, dass es anderen Schutzsuchenden in Europa genauso geht. Jahrelanger Schweiß, permanente Schmerzen und blutige Tränen. Zwei Jahre, wie ein endloser Tag. Ich bin darin eine Milliarde Mal gestorben, bin dann wieder aufgestanden und wie ein Pferd gerannt.

"Für uns ist der 24. Februar wie ein Phantomschmerz"

Ich habe mir von Grund auf ein neues Leben aufgebaut. Plötzlich und ungeplant. In einem fremden Land. Ohne Ersparnisse und Sozialhilfe. Mit einem Kind. Mit der äußerst schwierigen Wohnungssuche, dem Kauf aller Möbel, der Vorbereitung tausender Unterlagen. Überwachung des ukrainischen Newsfeeds und der Familien -Chats rund um die Uhr. Emotional und körperlich brennend. Seit zwei Jahren fließt ein ununterbrochener Stress in den Adern. Mein Leben hat sich in die Existenz einer Biomaschine verwandelt.

"Seit zwei Jahren fließt ein ununterbrochener Stress in den Adern"

Natürlich töten mich schwierige Lebensumstände nicht wie Raketen und Kugeln, die auf diejenigen fliegen, die jetzt unser Land in den Schützengräben verteidigen. Aber alle Ukrainer – sowohl hier als auch dort – wurden von diesem Krieg brutal getroffen. Wir alle erleben kolossale Veränderungen im Leben, in der Psyche und in der Weltanschauung. Niemand hat mehr oder weniger – ein großes kollektives Trauma. Der russische Krieg hat uns viel mehr genommen, als in den Nachrichten gezeigt wird. Noch mehr, als uns jetzt bewusst ist.

Aber wir bleiben standhaft! Ich sage mir jeden Tag: Die Umstände werden mich nicht brechen. Die Welt dachte, die Ukrainer würden niederknien, aber wir bückten uns, um unsere Stiefel zuzubinden. Wir haben uns immer noch. Da ist unsere Liebe – für uns selbst, für Kinder, für die Erde, für das Leben. Es gibt Respekt vor mutigen Menschen, die bis zuletzt für die Wahrheit einstehen und dafür den höchsten Preis zahlen. Wir sind dankbar für diejenigen, die uns helfen – in Deutschland und in anderen Ländern. Es gibt Glauben an Gott und an Gerechtigkeit.

"Ich sage mir jeden Tag: Die Umstände werden mich nicht brechen"

Von Jakarta bis Rio, von Sydney bis Osaka werden zum Gedenktag Kerzen angezündet und eine Schweigeminute für die auf dem Schlachtfeld Gefallenen und die getöteten Zivilisten eingelegt. In mehr als 400 Städten der Welt wird es Gedenk-Aktionen und Demonstrationen geben, schreibt die ukrainische Nachrichtenagentur "Ukrinform". Ich selbst sehe seit einer Woche Ankündigungen von Veranstaltungen in Online-Gruppen ukrainischer Gemeinden in den entlegensten Ländern der Erde.

Nach Angaben der Vereinten Nationen haben im Oktober 2023 6,2 Millionen Ukrainer ihr Heimatland verlassen. Wir sind über die ganze Welt verstreut, aber unsere Identität ist mit uns gekommen. Auch ich und mein jetzt schon zehnjähriger Sohn werden heute in Berlin ukrainische Fahnen über die Schultern werfen und gemeinsam mit Tausenden unserer Menschen zum Brandenburger Tor gehen. "Unsere Menschen" sind nicht diejenigen, die einen blauen Pass mit einem Dreizack (ukrainisches Wappen) in der Tasche haben. Aber diejenigen, die für Gerechtigkeit, Demokratie und Mut sind. Die die Ukraine in ihren Herzen tragen.

"Und auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen", soll Martin Luther einst gesagt haben. Ich pflanze jeden Tag eines. Denn das Leben muss weitergehen. Denn das Gute siegt immer.