TV-Tipp: "Tatort: Des Anderen Last"

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3. Dezember, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Des Anderen Last"
Schlicht "Geliefert" hieß 2021 eine Tragikomödie über die Zustände in der Paketbranche. Bjarne Mädel spielte in dem ausgezeichneten ARD-Mittwochsfilm von Jan Fehse einen Boten, der sich im täglichen Hamsterrad abstrampelt und doch nicht von der Stelle kommt. Die Szenen, in denen der Mann schwere Pakete in oberste Stockwerke schleppte (und oft auch wieder runter), haben hoffentlich einige Menschen dazu animiert, die nächsten Einkäufe wieder wie früher im Einzelhandel zu erledigen.

Nun setzt der WDR noch eins drauf: Zur Weihnachtszeit ist der Stress in der Branche geradezu exponentiell größer, vom Preiskampf zwischen den Unternehmen ganz zu schweigen. Der 88. Kölner "Tatort" mit dem denkwürdigen Titel "Des Anderen Last" konzentriert die Kritik an den Missständen jedoch auf die unsympathische Geschäftsführerin des Betriebs, in dem die Handlung zu großen Teilen spielt: Sybille Jäger (Susanne Bredehöft) ist eine gnadenlose Chefin, die ihre Belegschaft ständig zu Höchstleistungen antreibt ("Zeit ist Geld") und im Dezember schweißtreibende Weihnachtskostüme steckt, aber ohne mit der Wimper zu zucken versichert, sie sei kein Unmensch, schließlich dürften die Männer und Frauen das Trinkgeld behalten.

Als einer ihrer Mitarbeiter während der Arbeit erstochen wird, scheint sie das nicht weiter zu kümmern. Wirkliche Anteilnahme zeigt allein der beste Freund des Opfers, Boris (Nils Hohenhövel), wobei das Drehbuch von Paul Salisbury offen lässt, ob die Empathie des jungen Mannes nicht doch vor allem der Hoffnung entspringt, der attraktiven Witwe (Zoë Valks) tröstend zur Seite zu stehen.

Als ein weiterer Paketbote aus Jägers Firma mit einem Elektroschocker getötet wird, ahnen Ballauf und Schenk, dass es bei diesem Fall um mehr geht.
Ermittelnde Hauptfigur ist diesmal allerdings die Kollegin Natalie Förster. Wie gut es dem "Tatort" tut, wenn Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär zur Seite treten, um die Krimibühne Tinka Fürst zu überlassen, hat bereits 2022 die Episode "Spur des Blutes" gezeigt. Diesmal wird die Kriminaltechnikerin zur "Undercover"-Agentin: Natalie lässt sich zum Schein von Jäger einstellen, um auf diese Weise hinter den Kulissen ermitteln zu können. Zur Einführung in den Job wird sie Jenny Wegner (Paula Kober) zugewiesen. Die junge Fahrerin ist war zunächst ziemlich zugeknöpft, aber das ändert sich, als Natalie beim nächtlichen Stöbern im Büro der Chefin überrascht wird und sich bei der Flucht durchs Fenster den Fußknöchel verstaucht; Jenny hat Medizin studiert, bis ein schwerer Unfall sie aus der Kurve geworfen hat. 

Da ausgerechnet die Dialoge der beiden alten Hasen Behrendt und Bär nicht immer spontan und natürlich wirken, ist "Des Anderen Last" vor allem wegen der drei jungen weiblichen Mitwirkenden sehenswert: Paula Kobers Leistung war schon zuletzt als vergewaltigte Musikerin in der ARD-Serie "37 Sekunden" preiswürdig. Tinka Fürst zeigt erneut, dass sie viel zu viel Talent hat, um bloß als Stichwortgeberin der erfahrenen Kollegen zu fungieren, und die gebürtige Holländerin Zoë Valks hat bereits einige Sonntagskrimis mit ihrer Präsenz bereichert.

Bemerkenswert ist auch die Bildgestaltung, zumal Kameramann Mathias Neumann die Handlung mit Mut zum Kontrast in heimeliges Weihnachtslicht getaucht hat. Regie führte Nina Wolfrum, die ihre bislang besten Filme für die ARD-Reihe "Nord bei Nordwest" gedreht hat. Der "Tatort" ist bereits ihre dritte Zusammenarbeit mit den Kölnern: "Niemals ohne mich" (2020) war ein bedrückendes Sozialdrama über Väter und Mütter, die sich vor Unterhaltszahlungen drücken, "Wie alle anderen auch" (2021) ein allerdings etwas spannungsarmer Krimi über einen Mord im Obdachlosenmilieu. 

Nervenkitzel kommt auch bei "Des Anderen Last" im Grunde erst zum Finale auf, zumal die Geschichte zwischendurch einen der handelsüblichen Umwege nimmt und noch ein Familiendrama einbaut, weil sich ein pensionierter Postbote (Hans-Martin Stier) als Paketlieferant verdingen muss, um seine arbeitslose Tochter und deren renitenten Teenager-Sohn durchzufüttern.

 Auch Salisbury hat schon für den WDR gearbeitet; der Krimi "Schutzmaßnahmen", in dem Freddy Schenk seiner Tochter gegen den skrupellosen Paten ihres Stadtviertels beistehen musste, war allerdings weitaus packender. Wenig ergiebig sind in "Des Anderen Last" nicht zuletzt die allzu obligat und daher etwas bemüht wirkenden Revierszenen: Schenk stöhnt über die Preise für Handtaschen, Kollege Jütte (Roland Riebeling) verzweifelt am von ihm selbst initiierten Weihnachtswichteln, weil er nicht weiß, was er Schenk schenken soll.