TV-Tipp: "Der Irland-Krimi: Mond über Galway"

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19. Oktober, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Der Irland-Krimi: Mond über Galway"
Im besten Fall funktioniert ein Krimidrehbuch wie ein Zaubertrick: Der Künstler holt ein Kaninchen aus dem Zylinder, das Publikum ist begeistert. Der Effekt verpufft selbstredend, wenn vorher zu sehen war, wie er das Tier in den Hut gesteckt hat. Deshalb macht auch der gegen Ende mit großer Geste präsentierte Kracher dieses achten "Irland-Krimis" bloß leise "puff": weil schon lange vorher zu ahnen ist, auf welchen vermeintlichen Knüller die Geschichte hinauslaufen wird.

Dafür ist die Verpackung interessant: Die Handlung beginnt mit einer Auseinandersetzung auf einem Dach. Allem Anschein nach will sich eine junge Frau das Leben nehmen. Ihr Freund will sie davon abhalten, doch dann kommt es anders: Nicht sie stürzt in die Tiefe, sondern er. Die Untersuchung der Leiche weist allerdings Ungereimtheiten auf: Der junge Mann ist auf dem Hinterkopf gelandet, was für einen Suizid eher untypisch ist. Außerdem hat er Blutergüsse im Gesicht, die nicht vom Sturz stammen. 

Psychologin Cathrin Blake (Désirée Nosbusch) kommt ins Spiel, weil sie das Mädchen, Moon Flynn (Serena Kennedy), vor einigen Jahren auf Wunsch der Mutter (Kerri Quinn) behandelt hat. Moon litt damals unter einer instabilen Persönlichkeitsstörung, aber Cathrin hielt sie nicht für suizidgefährdet. Damit auch das Publikum von dieser Diagnose erfährt, spricht die Psychologin sie in ein Diktiergerät, was etwas seltsam anmutet, schließlich dürfte das alles auch in Moons Patientinnenakte stehen; das Selbstgespräch ist nichts anderes als der ungelenke Ersatz für die Informationsdialoge, die in sonstigen Krimis im Revier ausgetauscht werden.

Davon abgesehen ist das Borderline-Syndrom, das Cathrin der mittlerweile gut zwanzig Jahre alten Moon attestiert, natürlich ein Freibrief für das Drehbuch, denn zum Krankheitsbild gehören Impulsivität und abrupte Stimmungswechsel. Vor dem Hintergrund dieser Diagnose lassen sich einer Figur alle möglichen Irrationalitäten andichten, was Dagmar Gabler, Sebastian Andrae, Katja Kittendorf prompt Kräften tun. Moon neigt unter anderem zu Gewalttätigkeiten; gegen sich selbst, aber auch gegen Menschen, die ihr nahe stehen. Streamingdienste würden den Film daher mit einer Triggerwarnung versehen: Mal ritzt sie sich den Oberschenkel auf, mal schlägt sie ihren Kopf mit voller Wucht mehrfach gegen eine Ziegelwand. 

Immerhin verkörpert Serena Kennedy die Stimmungsschwankungen und Provokationen der jungen Frau sehr überzeugend, was sich nicht über alle Mitwirkenden sagen lässt. Moons narzisstische Mutter, laut Tochter eine "abgehalfterte Sängerin", hatte in jungen Jahren einen großen Hit. Die Rolle ist mit sämtlichen entsprechenden Stereotypen versehen worden, was wiederum erklären soll, warum Moon so eine verkorkste Jugend hatte. Kerri Quinn versucht sich tapfer an den diversen Popstar-Allüren, aber selbst ein Bühnenauftritt sieht gespielt aus. Ein Duett, das Mutter und Tochter vortragen und das die beiden Schauspielerinnen selbst gesungen haben, klingt hingegen richtig gut. Die Frau hört auf den schönen irischen Namen Saoirse, dessen Aussprache Nosbusch vermutlich geraume Zeit üben musste. 

Regelrecht ärgerlich ist eine zweite Elternfigur: Der Vater des abgestürzten Colin, ein hartleibiger Patriarch alter Schule, ist noch klischeehafter als die Sängerin, zumal der skrupellose Bauunternehmer Carroll durch die übertriebenen Grimassen des Darstellers (Owen Roe) stellenweise wie eine Witzfigur wirkt. Der Baulöwe will ein Gebäude abreißen lassen, in dem sich auch ein Club befindet, weshalb die Jugend Galways seit Wochen gegen den Abriss protestiert; Colin und Moon waren immer mittendrin. Carrolls älterer Sohn wollte vermitteln, darüber sind die Brüder offenbar in Streit geraten; Cathrin hat ihn unmittelbar nach dem Unglück vom Dach kommen sehen. 

Abgesehen von der stellenweise wenig überzeugenden Arbeit mit dem Ensemble ist "Moon über Galway" handwerklich größtenteils in Ordnung, selbst wenn die Kamera (Hanno Lentz) das Publikum hier und da mit der Nase auf ein Detail stößt. Matthias Tiefenbacher, dessen Beiträge für den "Tel-Aviv-Krimi" (2016/17) und die ZDF-Krimireihe "Schwarzach 23" (2015 bis 2020) weitaus gelungener waren, hat mit dem gleichen Team gearbeitet wie beim letzten "Irland-Krimi" ("Blackout"), dessen Wirkung jedoch durch die Synchronisierung geschmälert wurde. Optisch interessant ist vor allem der Auftakt mit Moon und Colin auf dem Dach. Das Paar wird durch blinkende rote Flugzeugwarnlichter illuminiert, während im Hintergrund der Vollmond leuchtet. Schade, dass das Drehbuch nicht ähnlich subtil ist wie der doppeldeutige Titel.