Menschen mit Behinderung aus dem Krieg geholt

Die Hoffnungspreisträger Serhii und Natalia Bolchuk.
© epd/Uta Rohrmann
Seit einem schweren Autounfall sitzt Natalia Bolchuk im Rollstuhl. Sie und ihr Mann Serhii helfen Menschen mit Behinderung bei der Flucht aus dem ukrainischen Kriegsgebiet. Dafür hat das Ehepaar nun den Hoffnungspreis des württembergischen Verbands "Die Apis" erhalten.
Hoffnungsträger-Preis für Ehepaar
Menschen mit Behinderung aus dem Krieg geholt
Menschen mit Behinderungen geraten in einem Krieg besonders schnell unter die Räder. Ein ukrainisches Ehepaar hat Hunderten geholfen, sie teilweise auch nach Deutschland gebracht. Dafür sind Pastor Bolchuk und seine Frau nun ausgezeichnet worden.

Manchmal wachsen Hoffnungsgeschichten, die Kreise ziehen, aus persönlichen Katastrophen. Ein tragischer Autounfall, anderthalb Jahre Krankenhausaufenthalte, schließlich ein Leben im Rollstuhl: Natalija Bolchuk hat viel durchgemacht. Und ihr Mann Serhii, Pastor einer Baptistengemeinde in der Ukraine, litt mit. Sensibilisiert für die Nöte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in ihrem Land, eröffnete das Ehepaar 2016 mit einem Team von etwa 60 einheimischen Mitarbeitenden und großer internationaler Unterstützung schließlich das Rehazentrum "Agape" in Lutsk im Nordwesten des Landes. Am Sonntagabend (15.10.) haben sie für ihr Engagement den Hoffnungsträger-Preis des württembergischen Gemeinschaftsverbands "Die Apis" erhalten.

Die Zeit für den Aufbau des Reha-Zentrums war angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht gut. Menschen fachlich qualifiziert zu helfen, etwa mit Physiotherapie und medizinischen Geräten, sie persönlich zu beraten und zu begleiten, Kreativangebote und Erholungsmöglichkeiten zu schaffen - all dies wurde in dem freundlichen Gebäude mit großzügigen Außenanlagen aber möglich.

Sofort nach Kriegsbeginn meldete sich Martina Köninger aus Deutschland bei den Bolchuks. Die Leiterin des "Arbeitskreises Perspektivforum Behinderung" der Evangelischen Allianz Deutschland - wie Natalija unfallbedingt Rollstuhlfahrerin - verbindet mit dem ukrainischen Ehepaar neben einer ähnlichen Berufung auch eine jahrelange persönliche Freundschaft. Dann ging alles sehr schnell: Köninger initiierte die Evakuierung einer Gruppe von Menschen mit teils schwersten Behinderungen, deren Angehörigen und Pflegern um das Ehepaar Serhii und Natalija Bolchuk. Bereits am 2. März, sechs Tage nach Kriegsbeginn, fanden sie im christlichen Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd Zuflucht.

Inzwischen seien es etwa 600 Personen, die mithilfe der Netzwerke - sowohl der deutschen als auch der europäischen Evangelischen Allianz - in Sicherheit gebracht werden konnten, so Serhii Bolchuk. Acht Gruppen hätten in Deutschland, drei in Holland und eine in der Schweiz Aufnahme gefunden. Zudem hätten etwa 100 Personen Unterstützung bei der Organisation ihrer privaten Ausreise erhalten.

"Überwältigt von so viel Liebe"

Nur 150 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt und behindertengerecht ausgestattet, dient das Agape-Zentrum als wichtige Zwischenstation für gehandicapte Ukrainer auf der Flucht. Hier kommen zwei- bis dreimal monatlich internationale Hilfstransporte an, die Bolchuks Mitarbeitende in die vom Krieg verwüsteten südlichen Gebiete um Saporischschja und Cherson bringen.

Ein Jahr lang war der Schönblick für die ukrainische Gruppe um Ehepaar Bolchuk Heimat in der Fremde. "Wir waren überwältigt von so viel Liebe und Gastfreundschaft", sagen beide. "Nach all dem Hass, der uns entgegengeschlagen hatte, war das unglaublich wohltuend." Natalija freute sich besonders an der Blumenpracht, Serhii hebt die Arbeitsbesprechungen in lauschigen Gartenecken hervor. Seit März wohnen die 38 Geflüchteten nun im früheren Lebenshilfe-Wohnheim in Schwäbisch Gmünd. Die freundschaftliche Verbundenheit und Zusammenarbeit bleibt. So finden auf dem Schönblick Freizeiten für Geflüchtete mit Handicap und für traumatisierte Soldaten aus der Ukraine statt.

Neben Serhii und Natalija Bolchuk erhält auch Martina Köninger an diesem Sonntag den Hoffnungsträger-Preis der "Apis". "Sie stehen in besonderer Weise und stellvertretend für einen beispiellosen Einsatz im Krisen- und Kriegsgebiet Ukraine", heißt es in der offiziellen Begründung. Dass Hoffnung nur stabil sein könne, wenn sie ihren Grund in Gott habe, zeige nicht zuletzt der weitere Angriffskrieg in Israel, sagt der ukrainische Pastor, der auch jüdische Wurzeln hat: "Ich will lieber blind auf Gott vertrauen, als sehend auf Menschen."

Neben einem großen Dankeschön hat Bolchuk auch eine große Bitte: "Werdet nicht müde, Gutes zu tun." Gerade angesichts des nahenden Winters und dem nicht absehbaren Ende der Kämpfe würden neben Lebensmitteln und Hygieneartikeln auch dringend Generatoren und Powerbanks zur Energieversorgung benötigt.