Gemeinde bleibt nach Brandanschlag standhaft

Marktplatz Solidaritätsaktion
© Sebastian Krüger
Zum traditionellen Marktplatztag "Spremberg für Toleranz und Vielfalt" werden auch Vertreter:innen der Evangelischen Jugend und Landesbischof Christian Stäblein erwartet. Dort soll Solidarität mit der Kirchengemeinde demonstriert werden.
Interview mit Pfarrerinnen
Gemeinde bleibt nach Brandanschlag standhaft
Auf die Kirche in Spremberg in der Lausitz wurde am Wochenende ein Brandsatz geworfen, weil dort eine Regenbogenflagge hing. Für die Pfarrerinnen Jette Förster und Elisabeth Schulze geht es nun vor allem darum, mit ihrer Arbeit fortzufahren und weiter Brücken zu bauen.

Was ist am vergangenen Wochenende in Spremberg passiert?

Jette Förster: Wir haben in der Gemeinde den sogenannten Freitagstreff. Das ist ein offener Treff für alle Generationen und Menschen jeglicher Herkunft. Da kommen Obdachlose, da kommen Geflüchtete aus der Ukraine oder Afghanistan, da kommt die 80-jährige Oma und auch Kleinkinder. Zuletzt haben wir beim Freitagstreff mit dem CSD kooperiert und uns entschieden, einen Filmabend zu machen über den Dokumentarfilm "Nelli und Nadine". Da geht es um zwei Frauen, die sich im KZ Ravensbrück kennen lernen und sich dort ineinander verlieben und wie deren Liebe sie über diese unfassbare Zeit hinweg trägt und sie das dadurch auch schaffen zu überleben. Passend zu der Veranstaltung und im Rahmen vom CSD–Wochenende haben wir eine Regenbogenfahne aufgehängt. Nach dem Film sind wir ungefähr um 23 Uhr nach Hause gegangen.

Am nächsten Tag waren Ehrenamtliche zum Aufräumen in der Kirche und haben den Brandsatz entdeckt. Der war auf dem Boden zerschellt. Es war eine zerbrochene Flasche, aus der ein Tuch noch rausguckte. An der Fassade und auf dem Boden ist ein Quadratmeter großer Brandfleck, aber eben auch mit einem großen Abstand zur Regenbogenfahne. Doch auf eine Weise ist es naheliegend, dass jemand versucht hat, die Fahne zu treffen.

Der regelmäßige Freitagstreff bringt viele Menschen in Spremberg zusammen

Für uns ist entscheidend, dass unsere Kirchengemeinde angegriffen wurde. Eine Kirche, die ein sicherer Ort für ganz viele Menschen ist. Es wurde in Kauf genommen, dass Menschen hätten verletzt werden können, denn wir hatten Gäste im Pfarrhaus. Das Pfarrhaus ist direkt mit der Kirche verbunden. Wenn sich ein Feuer ausgebreitet hätte, wären die Übernachtungsgäste auf jeden Fall in Gefahr gewesen. Selbst wenn das Gebäude verlassen gewirkt hat, haben Täter:innen das in Kauf genommen.

Wie habt ihr reagiert?

Elisabeth Schulze: Wir haben die Polizei in Spremberg angerufen. Die kamen auch direkt und schnell. Es wurden auch sofort der Staatsschutz und die Kriminaltechnik miteinbezogen. Es war ein gutes Gefühl, dass die Polizei das sofort ernst genommen hat und jetzt auch vermehrt Streife fährt.

Gab es denn bereits vorher Vorfälle dieser Art?

Schulze: Ja gab es, aber so eine Aktion mit Feuer, die Menschenleben gefährdet, gab es noch nicht. Vor zwei Jahren hing die Regenbogenfahne auch am Gemeindehaus der Kreuzkirche und wurde abgerissen und geklaut. Auch ein anderes Banner mit der Aufschrift "Hass schadet der Seele".

Was hat dieser Angriff bei euch persönlich verändert?

Förster: Uns beschäftigt eigentlich am meisten, dass andere Menschen, verunsichert, unter Druck gesetzt und geängstigt sind. Aber wir haben auch das Gefühl bekommen, dass wir hier am richtigen Ort sind mit dem, was wir tun: Einen Schutzraum für Menschen zu bieten, und der ist angegriffen worden.

"Wir müssen es den Kindern im Zweifelsfall erklären"

Es ist unserer Ansicht nach nicht so, dass wir in unserer Arbeit hier herausgepickt wurden, sondern wir haben hier eine große Gruppe an Menschen, die sich für Solidarität in Spremberg einsetzt. Und diese Gruppe wurde angegriffen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, für diese Gruppe zu sorgen, dass sie sich weiter sicher in ihrer Gemeinde und ihrer Stadt fühlen kann.

Eine Regenbogenfahne wurde
 schon 2021 an der Fassade von St. Michael aufgehängt.

Schulze: Gleichzeitig gibt es auch diese Ohnmacht oder Unbegreiflichkeit, wieso die Kirche attackiert wird. Wir setzen uns für grundlegende Menschenrechte und einen liebevollen Umgang untereinander ein - vor allem aus unserer christlichen Sicht. Dabei wollen wir wirklich alle Menschen immer wieder einladen.

Förster: Heute werden wieder 30 Kinder und ihre Eltern in die Gemeinde kommen und den Abschluss des Schuljahrs miteinander feiern. Sie werden nicht fragen, warum hier eine Regenbogenflagge hängt, sondern: "Warum ist denn hier ein Brandfleck an der Fassade?" Und das müssen wir den Kindern dann im Zweifelsfall erklären. Das finde ich unfassbar gemein den Kindern gegenüber und der Sicherheit, die sie in der Gemeinde spüren sollen.

Ihr bekommt gerade richtig viel Solidarität in den sozialen Medien. Viele Menschen mit großer Reichweite haben den Vorfall gepostet, auch die Evangelische Jugend in der EKBO (EJBO). Was macht das mit euch?

Förster: Ja, das ist total schön. Aber ich muss sagen, das, was hier vor Ort passiert, das ist für mich noch näher dran. Und das ist für mich auch noch wichtiger. Aber wir sind sehr dankbar dafür, denn es tut auch gut.

Schulze: Wir bekommen auch persönliche Nachrichten aus ganz Deutschland. Viele solidarisieren sich und denken an uns. Denn es gibt auch andere Kommentare, zum Beispiel auf Facebook, und das kann viel Kraft kosten, sich immer wieder dagegen zu stemmen. Aber wir wissen, dass es sich lohnt.

"Uns ist wichtig, dass wir hier nicht eine Insel sind"

Förster: Es ist auch total großartig von der EJBO, dass die jetzt am Samstag zu unserem Marktplatztag kommen wollen. Den haben wir schon seit Monaten für den 1. Juli geplant: "Spremberg für Toleranz und Vielfalt." Die Evangelische Jugend zeigt eben nicht nur mit einem Social Media Post Solidarität, sondern kommt live zu unserer Aktion, und das ist Einsatz. Auch der Bischof hat sich angekündigt.

Ihr habt heute eine weitere Flagge aufgehängt. Ihr wollt also weitermachen. Was sind eure Pläne für die Zukunft?

Förster: Wir wollen es schaffen, das Negative für das Gute zu nutzen. Damit wir Menschen, die jetzt vielleicht noch schweigen, auch noch mit ins Boot holen können.

Und uns bewegt da gerade auch ein Bibelvers, der genau das ausdrückt. Er steht in der Apostelgeschichte 18, 9-10: "Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht, denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt, spricht Gott." Wir glauben, das ist in Spremberg genau so. Wir leben gerne in Spremberg und uns ist wichtig, dass wir hier nicht eine Insel in der Stadt sind.

"Die große Gefahr ist, dass die Lager immer krasser werden"

Den Unterschied macht für uns auch nicht eine einzelne Aktion. Es sind vielmehr die täglichen Gespräche. Wir wollen eine Einladung aussprechen: "Kommt in diese starke Gemeinschaft, die wir hier in Spremberg haben, um zu spüren, dass man nicht alleine ist, sondern dass es sich lohnt, sich für das Gute einzusetzen, dass das auch Spaß macht und dem Leben einen Sinn gibt."

Schulze: Wir wollen, dass die Kirche ein sicheres Zuhause ist, sowohl der Ort, als auch die Gemeinschaft. Gleichzeitig wollen wir nicht, dass diese Gruppe eine Exklave ist, sondern dass auch die Menschen, die nicht unserer Meinung sind oder die nicht die Regenbogenflagge aufhängen würden trotzdem kommen und wir es schaffen, irgendwie miteinander im Gespräch zu bleiben.

Denn da sehe ich die große Gefahr: Dass diese zwei Lager immer krasser werden und es nur noch Hass ist und wir gar keine Gemeinsamkeiten mehr haben. Doch da ist eigentlich eine große Stärke in der Kirche und in unserem Glauben, dass wir noch eine Ebene finden, die über das hinausgeht.

Förster: Gleichzeitig sehe ich einen ganz großen Bildungsauftrag in der Kirchengemeinde. Da sind wir froh, dass wir mit so vielen Kindern und Jugendlichen zu tun haben, mit denen wir die Welt entdecken können.

Was gibt euch Kraft und Hoffnung, um weiterzumachen?

Förster: Also mir, dass hier so viele wunderbare Menschen sind, mit denen das Spaß macht, zusammen zu leben und zu arbeiten und zu wirken.

Schulze: Mir das Bibelzitat zum Beispiel, aber auch andere biblische Worte. Da staune ich dann immer, wie viel Kraft da drinsteckt. Das ist was ganz besonderes, dass so alte Worte mir heute Kraft geben.
Und dass wir merken: Es gibt so viele Menschen, die uns unterstützen und die in Spremberg und in der Lausitz in einer Zeit leben wollen, wo wir einander guttun.

Interview: Leonie Mihm