TV-Tipp: "ARD Story: Radikal fürs Klima"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
26. Juni, ARD, 22.50 Uhr
TV-Tipp: "ARD Story: Radikal fürs Klima"
Helden oder Kriminelle? Für die meisten stellt sich die Frage nicht. 85 Prozent der Deutschen, so lautet zumindest das Ergebnis einer für diese Ausgabe der "ARD Story" in Auftrag gegebenen Umfrage, sind gegen die Aktionen, mit denen die Mitglieder der "Letzten Generation" das Volk aufrütteln will.

Je konservativer die politische Ausrichtung, umso nachdrücklicher ist wenig überraschend die Ablehnung. Den größten Zuspruch gibt es von Menschen, die die Grünen wählen, aber selbst dort liegt die Zahl knapp unter 50 Prozent. Andererseits sieht die Mehrheit durchaus ein, dass etwas passieren muss, um das Tempo des Klimawandels zu bremsen. Wenn also die Ziele von "Letzte Generation" und "Extinction Rebellion" durchaus auf Konsens stoßen, nicht aber die Wege, die diese Gruppierungen einschlagen, dann lautet die eigentliche Frage: Was können wir angesichts des sich schließenden Zeitfensters tun, um die Katastrophe doch noch abzuwenden? 

Die Antwort bleiben Nick Schader, Marcel Kolvenbach und Kolja Schwartz leider schuldig, was die Qualität ihrer im Auftrag des SWR entstandenen Dokumentation allerdings nicht schmälert. Anders als kürzlich eine "37 Grad"-Reportage im ZDF ("Radikal, gehasst, verzweifelt"), die sich ganz auf einige Mitglieder der "Letzten Generation" konzentrierte und deren Motive in den Vordergrund stellte, wollte das Autorentrio unter anderem wissen, ob wirklich mit einer Eskalation der Aktionen  zu rechnen ist; Politiker wie Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, warnen mittlerweile vor einer "Klima-RAF".

Tatsächlich gibt es auch seriöse Warnungen, die Stigmatisierung der Klimaschutzorganisation als "kriminelle Vereinigung" könne dazu führen, dass sich Teile von ihr radikalisieren; auch die "Rote Armee Fraktion" war ja einst eine gewaltbereite Splittergruppe des außerparlamentarischen Protests. Die Beobachtungen der Autoren über einen längeren Zeitraum hinweg sprechen jedoch ebenso gegen diese Behauptung wie die Kriminologin Katrin Höffler, die mehrfach zu Wort kommt; sie kann keine entsprechenden Tendenzen erkennen. 

Die jungen Leute, mit denen Schader, Kolvenbach und Schwartz für ihren facettenreichen Film "Radikal fürs Klima" gesprochen haben, erwecken ohnehin einen durch und durch friedlichen Eindruck; sie berufen sich auf Ghandi, nicht auf Andreas Baader oder Ulrike Meinhof. Vermutlich ist der Titelzusatz "Helden oder Kriminelle?" ohnehin rhetorisch gemeint, denn eine gewisse Sympathie des Autorentrios etwa für Carla Hinrichs, die auch schon das prägende Gesicht der ZDF-Reportage war, ist durchaus spürbar. Die Kamera begleitet sie zweimal zum Amtsgericht, sie wird schließlich wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt.

An ihrem Enthusiasmus und ihrem Engagement wird das nichts ändern, ebenso wenig wie die umstrittenen Präventivstrafen, die seit einiger Zeit aus Gründen der Abschreckung in Bayern verhängt werden dürfen; eine Maßnahme, die ihr Ziel laut Höffler, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht an der Universität Leipzig, ganz sicher verfehlen werde. Selbst FDP-Justizminister Marco Buschmann hält die Inhaftierung von Menschen, die noch gar keine Straftat begangen haben, für "problematisch". Davon abgesehen ist seine Haltung zu den Aktionen der "Letzten Generation" eindeutig: "Wer das Strafrecht bricht, ist kriminell. Punkt."

Dieser Ansicht ist laut der für diese Sendung von infratest dimap durchgeführten repräsentativen Umfrage offenbar auch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung: 25 Prozent halten die Strafen für angemessen, 56 Prozent sind der Meinung, sie könnten gern noch härter ausfallen. Der Film zeigt auch die Reaktionen von Menschen, die durch eine Straßenblockade aufgehalten werden oder bloß zufällig vorbeikommen. Jüngere äußern sich positiv, Ältere sind sauer und aggressiv. Das passt ins Bild: Jenseits der fünfzig nimmt das Verständnis deutlich ab; allerdings ist es in den letzten Jahren selbst bei jungen Leuten deutlich zurückgegangen. Im Oktober 2019 hielten noch 24 Prozent aller Befragten die zeitweise Blockade von Straßen und Verkehr für gerechtfertigt, aktuell nur noch 13 Prozent. Die Klimarebellen lassen sich davon nicht beirren.

In Wien demonstriert "Extinction Rebellion" während einer Konferenz der Gasindustrie. Eine Aktivistin ist bis in den Saal vorgedrungen. "Ihr macht euch die Taschen voll, aber zu welchem Preis?", ruft sie, während sie abgeführt wird. Der Staat, sagt Höffler sinngemäß, müsse solche Proteste aushalten. Das Signal, das von Bestrafungen für politisches Engagement ausgeht, hält sie für fatal.