TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Daniel A."

Fernseher vor gelbem Grund
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19. Februar, ARD, 20.15 Uhr:
19. Februar, ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Daniel A."
Der aus zwei lateinischen Wörtern zusammengesetzte Strafrechtsbegriff "Alibi" bedeutet schlicht "anderswo". Es ist allerdings ein beliebtes Krimimotiv, dass Verdächtige dieses "Anderswo" nicht preisgeben wollen, weil sie zum Beispiel eine Affäre haben, von der niemand wissen darf. Auch Daniel Adamek, die Titelfigur dieses "Polizeiruf"-Beitrags aus Rostock, hütet ein Geheimnis.

Der junge Mann ist im Körper einer Frau zur Welt gekommen. Das wissen außer ihm jedoch nur zwei Menschen: eine junge Frau (Alina Stiegler), in die er sich verliebt hat, und sein Freund Armin (Bernd Hölscher), ein Autoschrauber, der ebenfalls früher eine Frau war. Alle anderen kennen Daniel nur als Daniela, und so soll es vorerst auch bleiben: Die Zeit ist noch nicht reif, um seinem Vater die Wahrheit zu sagen; der Witwer (Jörg Witte) ist ohnehin schon vom Leben überfordert, weil Daniels kleine Schwester mit 15 Jahren Mutter geworden ist. 

Dieser Stoff hätte sich ohne weiteres als Drama erzählen lassen, zumal das Drehbuch Daniel und seiner Familie viel Zeit widmet. Zum Krimi wird die Geschichte, weil er einen Totschlag beobachtet hat. Dabei ist ausgerechnet jene Frau ums Leben gekommen, mit der er sich unmittelbar zuvor über eine Dating App in einem Club verabredet hatte, und weil mit Hilfe des Wirts (Sahin Eryilmaz) ein sehr brauchbares Phantombild erstellt werden konnte, sucht die Polizei nun nach einem jungen Mann.

Natürlich könnte sich Daniel melden und das Missverständnis aufklären, doch dann müsste er auch sein Geheimnis preisgeben. Vater Frank ist Polizist; Daniel fürchtet, dass er über den Flurfunk erfahren würde, dass seine geliebte Tochter nicht die ist, für die er sie hält. 

Diese Kombination ist im Grunde Handlung genug, aber "Daniel A." ist zudem der zweite gemeinsame Fall für Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und die neue Kollegin: Melly Böwe ist nun Mitglied der Kripo Rostock und vor ihrem ersten Arbeitstag ein bisschen aufgeregt. Dazu hat sie auch allen Grund, denn ihre Partnerin empfängt sie nicht gerade mit offenen Armen: König war immer schon eher Einzelgängerin, mit Böwes Vorgänger hat sie vor allem die gegenseitige Zuneigung zusammengeschweißt, weshalb sie die Nachfolgerin ziemlich kühl abblitzen lässt.

Dank der besonderen Konstellation ist es völlig angebracht, dass Sascha Bukow nach wie vor sehr präsent ist, zumal Melly seine Halbschwester ist, und es wirkt immer noch wie ein Besetzungskuriosum, dass Charly Hübners Frau Lina Beckmann seinen Job übernommen hat. Natürlich betont der Film die Gegensätze zwischen den beiden unfreiwilligen Kolleginnen: hier die ruppige LKA-Kommissarin, dort die herzliche, empathische und bodenständige Kripo-Beamtin, die zum Einstand Selbstgebackenes mitgebracht hat und sich auch durch Königs Provokationen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Privat passen die beiden gar nicht zusammen, doch es zeigt sich recht bald, dass sie sich auf der Ermittlungsebene perfekt ergänzen. 

All’ das zusammen hätte den Film leicht überfrachtet wirken lassen können, aber Drehbuchautor Benjamin Hessler hat die verschiedenen Ebenen geschickt austariert, zumal Regisseur Dustin Loose seinem Hauptdarsteller viel Raum für Zwischentöne gewährt. Jonathan Perleth ist in seiner ersten Rolle ohnehin die Entdeckung dieses Films, der natürlich ganz erheblich davon profitiert, dass der junge Schauspieler der Figur die größtmögliche Authentizität verleihen kann: Während der Dreharbeiten steckte er selbst mitten im Transformationsprozess. Es ist den Verantwortlichen hoch anzurechnen, dass sie das Wagnis eingegangen sind, einen Neuling mit dieser Aufgabe zu betrauen, anstatt wie sonst einen Mann in Frauenkleider zu stecken (oder umgekehrt); das hat meist ohnehin nur zur Folge, dass verbreitete Stereotype bestätigt werden.

"Film kommt komplett ohne Klischees aus"

Perleth, der zufällig selbst aus Rostock stammt, zum Zeitpunkt des Castings aber die Hochschule der Künste in Bern besuchte, verkörpert Daniels schon im cleveren Titel angedeutete Zerrissenheit ungemein überzeugend; sein wahres Ich kann er nur im geschützten Raum seines Campers ausleben. 

Weil Hessler und Loose sehr sensibel mit dem Thema umgehen, kommt der Film zudem komplett ohne Klischees aus. Das gilt auch für den familiären Hintergrund: Der Vater hätte gern "eine ganz normale Familie"; das macht es für Daniel umso schwieriger, sich zu "outen". Jörg Witte gelingt die schwierige Gratwanderung, für Frank Adamek wenn schon nicht Sympathie, so zumindest doch Mitgefühl zu wecken; der Epilog nach einer cleveren Finte zum Finale ist schließlich sehr berührend.