Polizei räumt Lützerath

Klimaaktivistin wird von der Polizei weg getragen
© epd-bild/Guido Schiefer
Die Polizei hat mit der Räumung des Protestcamps im rheinischen Braunkohlerevier Lützerath begonnen. Dabei ist es zu Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der Polizei gekommen.
Auseinandersetzung auch gewalttätig
Polizei räumt Lützerath
Bei der Räumung von Lützerath ist es zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Polizei berichtet von Steinen und Molotowcocktails, die auf Einsatzkräfte geworfen werden.

Die Polizei hat am Mittwochmorgen begonnen, Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler II zu räumen. Ein Polizeisprecher sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), es seien Steine, Raketen und Molotowcocktails auf Einsatzkräfte geworfen worden. Die Polizei appellierte an die Demonstranten, sich friedlich zu verhalten und das Gebiet zu verlassen.

Seit den frühen Morgenstunden ist der von Klimaaktivisten besetzte Ort von der Polizei umstellt. Demonstranten vor Ort versuchten, das Vorrücken der Einsatzkräfte unter anderem mit Barrikaden und Menschenketten zu verhindern. Sie berichteten von Schlägen durch Polizeibeamte und von Verletzten. Der Polizeisprecher bestätigte das zunächst nicht. Aktuell würden keine weiteren Pressevertreter mehr in den Gefahrenbereich gelassen, sagte er.

Der Energiekonzern RWE kündigte an, als eine der ersten Maßnahmen solle ein gut anderthalb Kilometer langer Bauzaun aufgestellt werden, um das betriebseigene Baustellengelände zu markieren. Dort sollten in den nächsten Wochen die restlichen Gebäude, Nebenanlagen, Straßen und Kanäle der ehemaligen Siedlung abgerissen werden. Auch Bäume und Sträucher würden entfernt. RWE rief die Protestierenden dazu auf, die widerrechtliche Besetzung friedlich zu beenden.

Der Energiekonzern will Lützerath, das zu Erkelenz gehört, abreißen, um die darunter gelegene Braunkohle abzubaggern. Boden und Häuser des Ortes, dessen Bewohner inzwischen nicht mehr dort leben, gehören mittlerweile RWE.
Die Abbaggerung des Ortes ist Teil eines politischen Kompromisses: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) hatten sich im Oktober 2022 mit RWE auf einen vorgezogenen Braunkohleausstieg 2030 verständigt. Die Vereinbarung sieht außerdem vor, die noch zur Verstromung verfügbare Braunkohlemenge im Tagebau Garzweiler II auf rund 280 Millionen Tonnen zu halbieren.

Der nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) verteidigte am Mittwochmorgen den Kompromiss. Der Tagebau werde halbiert, und fünf Dörfer blieben erhalten, sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk. Das sei ein "wesentlicher Schritt in Richtung Klimaschutz". Der Protest vor Ort sei "völlig in Ordnung". "Völlig unverantwortlich" sei es aber, dabei andere Menschen in Gefahr zu bringen.

Kurschus und Latzel rufen zur Gewaltfreiheit auf

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, rief derweil zu Gewaltfreiheit auf. Lützerath sei der Ort, an dem in diesen Tagen gesellschaftliche Interessen- und Zielkonflikte hart aufeinanderprallten, erklärte die westfälisch Präses in Bielefeld. Sie appelliere an alle Beteiligten, "dass es nicht zu Gefahr für Leib und Leben kommt".

Kurschus bekundete "Respekt vor allen, die friedlich von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen und sich für einen ambitionierten Klimaschutz in NRW engagieren". Richtig sei aber auch, dass der Staat die Aufgabe habe, bestehende Rechte durchzusetzen. Deshalb habe sie den gleichen Respekt vor Polizei und Behördenmitarbeitenden, die für diesen Grundsatz einstünden. Sie forderte dazu auf, "diesen Respekt auch im Protest gegen die Räumung zu wahren und zu zeigen".

Der leitende Theologe der rheinischen Kirche, Thorsten Latzel, appelliert angesichts der Auseinandersetzungen um die begonnene Räumung von Lützerath an alle Beteiligten vor Ort, auf Gewalt zu verzichten. Kirche stehe für Frieden und einen gewaltfreien Umgang miteinander, erklärte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland am Mittwoch in Düsseldorf. "Ich sorge ich mich um Leib und Leben der Menschen, die in Lützerath demonstrieren, ebenso wie um Leib und Leben der Polizistinnen und Polizisten, die mit der Räumung des Geländes beauftragt sind." Der jeweils andere müsse wertschätzend wahrgenommen werden. Es dürfe keine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt werden, die zu Verletzten oder Toten führe.

Der Präses der zweitgrößten Landeskirche sagte, zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat und einem respektvollen gesellschaftlichen Miteinander gehöre, dass Vereinbarungen in demokratischen Prozessen und rechtsstaatlich errungenen Entscheidungen respektiert würden. Der Kompromiss zu Lützerath und der Braunkohleverstromung sei "schmerzlich errungen" worden. "Es ist ein wichtiger Erfolg, dass der Ausstieg aus der Braunkohlewirtschaft vorgezogen und der weitere Abbau begrenzt werden konnte. Lützerath ist der letzte Ort, der abgebaggert wird", betonte er.

Kirche stehe für Bewahrung der Schöpfung ein

Zugleich würdigte Latzel das Engagement der Klimaschützer und Demonstrierenden. "Als Evangelische Kirche im Rheinland stehen wir für die Bewahrung der Schöpfung ein." Jede weitere Tonne Braunkohle sei "eine zu viel für das Klima". Die Einhaltung der Klimaziele von Paris sei nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch ein verbindliches Ziel der Bundesregierung.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigte sich vor der Räumung besorgt um die Sicherheit der Polizei. "Wir haben in Lützerath einen gewissen Anteil an gewaltbereiten Aktivisten", sagte Reul der "Rheinischen Post" (Mittwoch). Vorsicht sei das Gebot dieser Tage. Man wisse nicht, ob es in den Häusern Fallen oder andere Barrikaden gebe, die von außen nicht zu sehen seien.

Die Gewerkschaft der Polizei in NRW sprach von einem der größten Polizeieinsätze der vergangenen Jahre. "In Zeiten des Klimawandels steht der Einsatz im Fokus gesellschaftlicher Kontroversen", hieß es. Der Landesvorsitzende Michael Mertens verwies auf Gerichtsurteile zugunsten des Energiekonzerns RWE, etwa durch das Oberverwaltungsgericht NRW. "Wenn wir Entscheidungen unserer Gerichte nicht mehr akzeptieren, ist unser Rechtsstaat am Ende", sagte er. Das schließe friedlichen Klimaprotest nicht aus. Die Gewerkschaft befürchte allerdings, "dass eine gewaltbereite Minderheit versucht, diesen Protest für sich zu kapern".