TV-Tipp: "Walpurgisnacht - Die Mädchen und der Tod"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
24. November, 3sat, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Walpurgisnacht - Die Mädchen und der Tod"
Auch dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung haben deutsch-deutsche Geschichten nach wie vor eine Faszination. Für "Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod" hat das Autorenduo Christoph Silber und Thorsten Wettcke einen interessanten Ansatz gefunden.

Dank Glasnost und Perestroika reist die hessische LKA-Kommissarin Nadja Paulitz (Silke Bodenbender) 1988 nach dem Tod einer Westdeutschen in den Harz. Im Unterschied zu sonstigen Gepflogenheiten hat der für den Fall zuständige Volkspolizist Karl Albers (Ronald Zehrfeld) auf dem entsprechenden Formular eingeräumt, dass die Todesursache ungeklärt ist. Hans Steinbichlers Inszenierung verrät allerdings gleich zu Beginn, dass es sich wohl eher um einen Unfall gehandelt hat; ein Detail, das im Verlauf der nun folgenden knapp 180 Minuten beinahe in Vergessenheit gerät. Bei der Obduktion der Leiche stellt sich raus, dass der jungen Frau ein kleiner Zeh abgetrennt worden ist. Paulitz, die eine gewisse Erfahrung mit bizarren Morden mitbringt, vermutet umgehend, hier sei ein Psychopath am Werk gewesen. Albers’ Vorgesetzter, Hauptmann Wieditz (Jörg Schüttauf), widerspricht prompt: "So ’was gibt’s bei uns nicht"; und damit ist das unter anderem für den Medizin-Thriller "Das Wunder von Kärnten" mehrfach ausgezeichnete Drehbuchduo mittendrin in der Geschichte.

Der Kriminalfall erinnert an den Grimme-preisgekrönten DDR-Krimi "Mord in Eberswalde" (2013, ebenfalls mit Zehrfeld als Ermittler). Damals ging es um einen Kindsmörder; auch solche Delikte waren im Sozialismus nicht vorgesehen, weshalb sie offiziell nicht existierten. Die Verstärkung der Volkspolizei durch eine Kollegin aus dem Westen macht die Handlung natürlich doppelt interessant. Wenn der Film gemeinsam mit Paulitz bei Nacht und Nebel die Grenze überschreitet und in dem kleinen Harzdorf eintrifft, wirkt das wie eine Reise in eine andere Welt. Bei aller Fremdartigkeit können sich die Polizisten aus Ost und West jedoch auf kriminalistische Grundtugenden einigen, selbst wenn die Kollegin aus Hessen einen klaren Vorsprung hat, was den Umgang mit Mördern angeht. Steinbichler und sein Kameramann Christian Marohl verwenden dafür einen ganz simplen Kniff: Beim Gespräch zeigt die Kamera Albers auf Augenhöhe, Paulitz jedoch von unten, obwohl der Kollege einen Kopf größer ist; prägnanter lässt sich die fachliche Differenz kaum verdeutlichen. 
Zum Krimi wird die Geschichte, als die Oberkommissarin ein Detail entdeckt: Im Schuh der toten Frau steckt ein winziger Besen. Er gehört zu den Hexenfiguren, die der etwas zurückgebliebene Jörg (Adam Venhaus) bastelt. Trotzdem gerät erst mal ein junger Mann ins Visier der Ermittler: Ronny (Theo Trebs) war der Freund des Mädchens, die beiden hatten sich am ungarischen Plattensee kennengelernt, und sie hat offenbar Pläne für seine Flucht geschmiedet. Ronnys Vater (Godehard Giese) ist allerdings Kreisvorsitzender der SED, damit sind Ermittlungen gegen seinen Sohn kaum möglich. Wenig später wird Dorfschönheit Steffi (Zsá Zsá Inci Bürkle), gerade erst bei der Wahl zur "Miss Harz" auf Platz zwei gekommen, erschlagen; auch bei ihr wird ein kleiner Besen gefunden. Als Albers und Paulitz Jörg befragen wollen, rennt er in Richtung Grenzanlage und wird prompt erschossen. Für Hauptmann Wieditz ist der Fall damit erledigt, er ignoriert die Zweifel der Kollegin und schickt sie wieder heim in den Westen. Teil eins endet mit einer Art Verfolgungsjagd, denn Wieditz will den Zug stoppen: Zwischenzeitlich ist die Erstplatzierte (Lisa Tomaschewsky) der Miss-Wahl ermordet worden; auch ihr fehlt ein Zeh. Im zweiten Teil (am Mittwoch) konzentrieren sich die Ermittlungen auf den SED-Funktionär, denn der hatte mit der einen Dorfschönheit ein Verhältnis und ist von der anderen erpresst worden, aber ein Mörder ist er genauso wenig wie der junge Alexander (David Schütter), der die jungen Frauen in teilweise bizarren Posen fotografiert hat. 

Die Hauptrollen sind akkurat mit ostdeutschen Schauspielern plus Bodenbender besetzt worden. Das Ensemble ist ähnlich vorzüglich wie die oft an Tangerine Dream erinnernde Filmmusik von Mathias Rehfeldt sowie die Bildgestaltung. Die fahlen Farben wirken, als seien die Bilder zu heiß gewaschen worden. In der kunstvollsten Einstellung des Films sorgt Marohl dafür, dass die Gesichter von Alexander und Albers zu einem Antlitz verschmelzen. Das Elbsandsteingebirge, in letzter Zeit auffallend oft als Drehort genutzt, erweist sich auch diesmal als imposanter Schauplatz; die unwirtliche Witterung (keine Sonne, viel Nebel) lässt eine ganz spezielle archaische Atmosphäre entstehen. Trotz der Spannung im zweiten Teil, als auch Paulitz ins Visier des Mörders gerät, hat "Walpurgisnacht" jedoch einen Haken: Die Geschichte trägt nicht über 180 Minuten; gerade im ersten Teil gibt es einige Szenen, die sich zu lang anfühlen, darunter auch die Miss-Wahl. Für einen gewissen Reiz jenseits des Falls sorgen immerhin die Dämonen des Ermittlerduos. Das gilt vor allem für Paulitz, die in Alpträumen noch mal ihren letzten Fall durchlebt. Bei Albers ist diese Ebene subtiler umgesetzt. Wenn er nach Hause kommt, unterhält er sich mit seiner Frau Doris (Jördis Triebel). Anfangs wirken diese Gespräche ganz normal, aber die Inszenierung verdeutlicht, dass die beiden mehr trennt als verbindet: Im ersten Teil ist das Paar nie zusammen in einer Einstellung zu sehen, und wenn sie das Licht anmacht, bleibt er im Dunkeln; erfahrene Couchkriminalisten werden diese Zeichen zu deuten wissen. 3sat zeigt beide Teile hintereinander.