TV-Tipp: "Meine Mutter raubt die Braut"

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4. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Meine Mutter raubt die Braut"
Es ist immer wieder beeindruckend, wie scheinbar mühelos die einst als "Süßstoff"-Termin verschrienen ARD-Freitagsfilme Themen aufgreifen, die viel Diskussionsstoff bieten.

Natürlich ist das Fernsehen ein Spiegel der Gesellschaft; gerade der "Tatort" bietet in dieser Hinsicht perfektes Anschauungsmaterial. Für Relevanz stehen im "Ersten" ansonsten jedoch vor allem die Mittwochsfilme; der Freitag war wie das "Herzkino" sonntags um 20.15 Uhr im ZDF lange Zeit ein Refugium für Heile-Welt-Geschichten, in denen die Mitglieder der vermeintlichen gesellschaftlichen Mitte den täglichen Mühen der Ebene entfliehen konnte.

Diese Mitte entspricht jedoch schon lange nicht mehr dem Bild, das die Filme gern vermittelt haben. Es ist der ARD hoch anzurechnen, dass sie die eher ältere und mutmaßlich auch eher konservative Zielgruppe dieses Sendeplatzes mit sanftem Druck dazu bringt, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht zu ihrem Alltag gehören. 

Das funktioniert erfahrungsgemäß am besten über die Identifikation mit den Hauptfiguren: Wenn Müllmann Träsch in einem Beitrag für die Reihe "Die Drei von der Müllabfuhr" ein engagiertes Plädoyer für Toleranz gegenüber Transsexuellen hält, hat das garantiert einen anderen Effekt als eine gutgemeinte Reportage; erst recht, wenn der Mann von Publikumsliebling Uwe Ochsenknecht verkörpert wird.

Eine ganz ähnliche Rolle spielt Margarita Broich in der Eifelreihe "Meine Mutter…": eine bodenständige, zupackende Frau um die 60, die ihr Herz auf der Zunge trägt und sich gern einmischt, wenn sie das Gefühl hat, ein Mitmensch müsse zu seinem Glück gezwungen werden. Außerdem ist die Pensionswirtin das beste Beispiel dafür, dass man durchaus aus seiner Haut kann, wie sie in der achten Episode beweist. 

Reihenschöpfer Christian Pfannenschmidt, der bislang alle Drehbücher geschrieben hat, beginnt die Geschichte ganz harmlos: Mathias Lange (Hannes Hellmann) bittet Heidi, ein Fest auszurichten. Der Oberstudienrat und seine Gattin Kerstin (Marion Kracht) feiern Silberne Hochzeit und wollen aus diesem Anlass ihr Ehegelübde erneuern. Genau genommen will das vor allem Mathias.

Heidi erkennt zunächst gar nicht, wen sie da vor sich hat: Die beiden Frauen waren einst als Teenager beste Freundinnen, aber dann kam es zu einem Vorfall, der die Beziehung zerbrechen ließ. Natürlich spürt Heidi, dass Kerstin von der Idee mit dem Fest längst nicht so begeistert ist wie der Gatte, und weil sie nicht locker lässt, rückt die frühere Freundin schließlich mit der Sprache raus: Das Paar hat sich auseinandergelebt. Aber das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit; die zweite heißt Astrid. 

Unter anderen Umständen wäre das keine große Sache; lesbische Paare sind in Filmen und Serien nichts Außergewöhnliches mehr. Das Besondere an "Meine Mutter raubt die Braut" sind die erzählerischen Begleitumstände, denn immerhin geht es um eine Frau, die seit 25 Jahren mit einem Mann verheiratet ist. Eine in den knalligen Farben der frühen 80er gehaltene Rückblende verrät zwar, dass sie sich schon in jungen zu ihresgleichen hingezogen fühlte, die Homosexualität aber nach einem heftigen negativen Erlebnis offenbar verdrängt hat. Dieses einstige Ereignis dient auch als Erklärung dafür, warum Kerstins Lebensgeschichte ihre frühere Freundin so betroffen macht. Trotzdem muss Heidi mit Hilfe von Astrid (Heike Trinker) und deren Devise "Wir leben, wir lieben, wir kämpfen" erst mal lernen, ihre Vorbehalte zu überwinden.

Wie in der vorhergegangenen Episode, als Broich nicht nur Heidi, sondern auch die Zwillingsschwester Claudia verkörperte ("Meine Mutter gibt es doppelt"), ist der zweite Handlungsstrang mit Diana Amft als Tochter weit weniger interessant. Diese Ebene wird von dem durch Postbote Hase (Stephan Bieker) in die Welt gesetzten Gerücht befeuert, Toni sei schwanger. Das entpuppt sich zwar als "Fake News", aber Jugendfreund Hans-Jürgen (Nikolaus Benda) wähnt sich nach einem Rückfall Tonis dennoch als Vater und wäre auch bereit, ihr zuliebe sein Erscheinungsbild zu ändern; das ist ganz witzig und ein echtes Opfer, denn "HaJü" ist eine wandelnde Reminiszenz an die Achtziger. Zumindest hintergründig hat jedoch auch dieser Teil des Films ernste Anteile, denn tatsächlich steht Tonis vorübergehender Kinderwunsch für die Sehnsucht, ihr Leben mit einem anderen Menschen zu teilen.

Regie führte Bettina Schoeller Bouju. Ihr Fernsehfilmdebüt war ein Beitrag für "Die drei von der Müllabfuhr"; zuletzt hat sie ein sehenswertes 90-minütiges "Special" für die ARD-Reihe "Die Kanzlei" ("Reif für die Insel", 2022) gedreht.