TV-Tipp: "Ramstein – Das durchstoßene Herz"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
26. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Ramstein – Das durchstoßene Herz"
An einem schönen Sommertag im August 1988 wandelte sich eine Flugschau auf der pfälzischen Ramstein Air Base zu einer der größten Tragödien, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ereignet haben.

Es liegt in der Natur des Unglücks, dass es sich meist aus heiterem Himmel ereignet. In diesem Fall stimmt das sogar buchstäblich: Höhepunkt einer Vorführung der italienischen Kunstflugstaffel sollte ein mit Rauchstreifen an den Himmel gemaltes Herz sein, das von einem Kampfflugzeug durchstoßen wird. Dabei kollidierten drei Maschinen miteinander. Binnen Sekunden entwickelte sich ein flammendes Inferno. Es grenzt an ein Wunder, dass nicht noch viel mehr der schätzungsweise 300.000 Menschen betroffen waren. Nach offiziellen Angaben gab es siebzig Tote und über tausend Verletzte. 

Das filmische Potenzial war stets offenkundig, aber die Umsetzung wäre eine Gratwanderung, zumindest dann, wenn nicht auf spektakuläre Bilder verzichtet werden soll: Wie lässt sich von dem Unglück erzählen, ohne die Inszenierung spekulativ wirken zu lassen? Holger Karsten Schmidt (Buch) und Kai Wessel (Regie) haben einen Weg gefunden, der geradezu vorbildlich ist, selbst wenn "Ramstein – Das durchstoßene Herz" durchaus Szenen zu bieten hat, die auch aus einem Katastrophenfilm stammen könnten: Gerade noch erfreuten sich die wie bei einem Film über die Siebzigerjahre gestalteten Bilder an einer buntem Volksfeststimmung, dann bricht das Grauen über die ahnungslose Menschenmenge herein. Für die Faktenvermittlung hat sich Schmidt eines einfachen Kniffs bedient: Hagen Dudek (Trystan Pütter), Mitarbeiter des Luftfahrtbundesamts, untersucht gemeinsam mit einer Kollegin (Elisa Schlott) die Begleitumstände und Hintergründe der Katastrophe. Zu den Beteiligten, die die beiden befragen, gehört auch der Notfallmediziner Kruse; Jan Krauters Leistung ist nach "Lost in Fuseta" (ARD, ebenfalls nach einem Schmidt-Drehbuch) zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen preiswürdig. Den Schilderungen Kruses verdankt der Film einige seine bewegendsten Momente, weil der Arzt angesichts der unüberschaubaren Anzahl an Schwerverletzten binnen Sekunden entscheiden musste, wer noch eine Chance hat und bei wem sich eine medizinische Versorgung nicht mehr lohnt. 

Eine weitere Ebene bildet das Treffen einer Selbsthilfegruppe, die sich aus Überlebenden und anderen Betroffenen zusammensetzt, darunter auch Angehörige und Pflegekräfte. Wie bei fast allen Verhängnissen dieser Art entpuppte sich der vermeintliche Schicksalsschlag als Ergebnis menschlichen Versagens, das anschließend vertuscht werden sollte. Notarzt Kruse fordert eine kritische Analyse, damit man aus dem Verhängnis lernen könne: "So was darf sich nicht wiederholen!" In Bezug auf Flugshows hat sich der Wunsch zwar erfüllt, aber grundsätzlich hat sich nichts geändert. Viel zu oft gilt, was Dudek über Ramstein sagt, nachdem sich rausgestellt hat, dass der Sicherheitsabstand des Publikums zu den Darbietungen in der Luft war nur halb so groß war wie vorgeschrieben: Alle hätten gehofft, das nichts passiert. Außerdem habe es kein Rettungskonzept gegeben, kritisiert Kruse, sodass das Chaos in die Kliniken verlagert wurde; "die Katastrophe in der Katastrophe", resümiert Dudek. 22 Jahre später, nach dem Unglück bei der Duisburger "Loveparade", sind ganz ähnliche Sätze gefallen. 

Der dreifache Grimme-Preisträger Schmidt wollte die Geschichte bereits 1998 erzählen, aber eine Anstalt nach der anderen hat abgewunken, auch der gewissermaßen zuständige SWR, schließlich liegt Ramstein im Sendegebiet; dabei hat der Sender mit "Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen" (2009) schon einmal gezeigt, wie sich eine derartige Tragödie mit der nötigen Zurückhaltung umsetzen lässt. Umso respektabler, dass der SWR das Projekt nun doch finanziert hat, obwohl die Kosten schon allein wegen der aufwändigen Computerbilder vermutlich weit überm Durchschnitt gelegen haben dürften. Neben dem Budget wird auch die Furcht vor dem optischen Grauen die Skrupel der Sender genährt haben. Natürlich sind die Bilder in der Tat grausig, aber die Kamera (Holly Fink) weidet sich nie am Unglück der Menschen. 

Das war allen Beteiligten ohnehin ein besonderes Anliegen: Die Sichtweise der Opfer steht im Zentrum der verschiedenen geschickt miteinander verwobenen Handlungsstränge. Erfunden ist nur das Ermittlerduo, alle anderen sind authentischen Vorbildern nachempfunden, keins der Schicksale ist ohne Einwilligung erzählt worden; der echte Notarzt war sogar als Berater am Film beteiligt. Das Treffen der Selbsthilfegruppe Jahre später dokumentiert, wie tief die seelischen Wunden sind, zumal sie im Unterschied zu den körperlichen Verletzungen nie heilen werden. Die Schilderungen eines Krankenpflegers offenbaren, dass ein Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) auch Menschen treffen kann, die gar nicht am Unglücksort waren, und es tritt ähnlich wie das Ereignis selbst ohne Vorwarnung auf. PTBS ist lange Zeit in erster Linie mit Kriegserlebnissen assoziiert worden. Die Bilder von der Absturzstelle könnten in der Tat auch aus einem Kriegsfilm stammen, aber für Empathie sorgen vor allem Einstellungen wie jene eines Vaters, der auf dem leeren Parkplatz vergeblich auf seinen Sohn wartet. Eine Rahmenhandlung, deren Hintergrund lange offen bleibt, hätte für ein halbwegs versöhnliches Ende sorgen können, aber das wäre nicht angemessen gewesen, also setzt Schmidt noch eine bittere Schlusspointe. Im Anschluss geht eine Dokumentation vielen bis heute offen gebliebenen Fragen nach.