TV-Tipp: "Wilsberg: Nackt im Netz"

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5. Oktober, ZDF Neo, 21.45 Uhr
TV-Tipp: "Wilsberg: Nackt im Netz"
2014 hat das ZDF seinem Dauerbrenner einen neuen Vorspann verpasst, aber an den Stärken der Reihe hat sich weder damals noch bis heute etwas geändert. Großartige Figuren, sehenswerte Darsteller, süffisant vorgetragene Dialoge, eine originelle Geschichte, und immer wieder Bielefeld: Bei "Wilsberg" ist das Prädikat "Kult" wirklich angebracht.

Zu den vielen schönen Einfällen, die die Folge "Nackt im Netz" sehr sympathisch machen, gehört unter anderem eine im Stil des Heldenkinos gefilmte Zeitlupeneinstellung, in der Wilsberg (Leonard Lansink), Kumpel Ekki (Oliver Korittke) und Alex (Ina Paule Klink) als Putzkolonne verkleidet in eine Firma eindringen, um das Problem, dem der Film seinen Titel verdankt, ein für alle mal aus der Welt zu schaffen. Dazu erklingt das durch den Tarantino-Film "Kill Bill" bekannt gewordene Stück "Battle without Honour or Humanity" von Tomoyasu Hotei. Eine große Szene, einerseits natürlich voller Selbstironie, zumal das auf diese Weise eroberte Gebäude in Bielefeld liegt (der Running Gag der Reihe), andererseits aber auch eine Hommage an das unerschrockene Trio.

Schade bloß, dass die Lösung nur bedingt zur Nachahmung zu empfehlen ist, denn vermutlich haben viele Menschen ganz ähnlichen Ärger wie Alex, wenn wohl auch nur wenige derart drastisch: Die Anwältin ist von einer Zufallsbekanntschaft heimlich beim Sex gefilmt worden und kann nun als "Aufriss der Woche" auf der Internetseite eines örtlichen Porno-Produzenten von jedermann begafft werden. Das ist nicht nur schlecht für ihre Reputation, denn selbst wenn Alex im juristischen Sinn unschuldig ist: Ihr altmodischer Chef hätte kein Verständnis für den Vorfall; und ein missgünstiger Kollege (Anian Zollner), dem sie einen vielversprechenden Fall weggeschnappt hat, wittert seine große Chance. Aber plötzlich hat Alex ganz andere Probleme: Ihr Sexpartner ist erschlagen worden, und nun steht sie unter Mordverdacht.

Die Geschichte ist nicht nur originell, sondern auch acht Jahre nach der TV-Premiere immer noch aktuell. Geschickt ergänzen die Autoren (Arne Nolting, Jan Martin Scharf) die Handlung um diverse Seitenstränge, ohne dabei allzu sehr mit dem "Achtung, Relevanz!"-Fähnchen herumzuwedeln; dazu gehören auch die an Mobbing grenzenden anzüglichen Bemerkungen, die sich Alex von den männlichen Kollegen anhören muss.

Ähnlich harmonisch integriert ist ein Thema, das zunächst gar keinen direkten Bezug zum Mord zu haben scheint: Kommissarin Springer (Rita Russek) erwägt eine Gesichtsrenovierung und läuft in der Klinik von Norbert Walter (Tim Bregmann) prompt Wilsberg über den Weg. Der hat Hinweise auf einen Streit zwischen dem Schönheits-Chirurgen – Wahlspruch: Walter vor Schönheit – und dem Opfer gefunden.

Ausgesprochen hübsch ist auch Ekkis Beteiligung an den Ermittlungen: Der Steuerprüfer verschafft sich unter dem Vorwand einer Betriebsprüfung Zutritt zum Büro des Porno-Produzenten (Ole Puppe) und wird gemeinsam mit der Buchhalterin (Bernadette Heerwagen als verhuscht erotisches Büromäuschen) kurzerhand als Aushilfe engagiert.

Solche Überraschungen hält das von Martin Enlen inszenierte Drehbuch immer wieder bereit, und natürlich bieten sowohl das Lustspielgewerbe wie auch die Welt der Schönheitsoperationen beste Voraussetzungen für zweideutige Dialoge und satirische Anspielungen; aber auch in dieser Hinsicht überspannen Nolting und Scharf den Bogen nicht. Nebenfiguren wie der "Graf Cock" genannte Sexdarsteller Rainer Graf (Oliver Breite) sorgen für derart viel Abwechslung, dass Kommissar Overbeck (Roland Jankowsky) diesmal gar nicht dazu kommt, den Chuck Norris von Münster zu mimen.

Zuvor zeigt Neo die Episode "Hengstparade" (2013), die allerdings im Vergleich zum gewohnten Qualitätsstandard ein Ausreißer nach unten ist. Natürlich ist auch ein durchschnittlicher "Wilsberg" immer noch sehenswert; das garantieren schon allein die Hauptdarsteller, selbst wenn sie sich diesmal mitunter vergeblich mühen, gegen die Vorhersehbarkeit der einzelnen Handlungsstränge anzuspielen. Wenn beispielsweise der wackere Ekki widerwillig an einem Seminar zum Thema "Sexismus im Büro" teilnimmt, kann man sich denken, dass es über kurz oder lang zum kleinen Eklat kommen wird.

Andererseits wecken solche Konstellationen ja auch die Vorfreude. Viel schlimmer für einen Krimi ist die Durchschaubarkeit des Falls, zumal "Hengstparade" in die typische Falle von Reihen und Serien dieser Art tappt: Prominente Gastdarsteller sind grundsätzlich verdächtig, ganz gleich, welche Rolle sie spielen. Spätestens beim zweiten Mord dürfte auch weniger versierten Hobby-Ermittlern die Antwort auf die Frage "cui bono?" klar sein.