TV-Tipp: "Tatort: Das Verhör"

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4. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Das Verhör"
Dass es sie gibt, steht außer Frage, und vermutlich nimmt ihre Zahl eher zu als ab: Männer, die mit den Füßen noch in der Steinzeit stecken und im Kopf ein Rollenbild aus den Fünfzigerjahren haben.

In diesem einen Punkt irrt Lena Odenthal, als sie ihrem Kontrahenten sagt, er sei ziemlich allein da draußen; das Gegenteil ist der Fall. Und noch jemand liegt falsch in diesem vorzüglichen Krimidrehbuch von Stefan Dähnert. Die direkte Vorgesetzte des Hauptmanns, den die Ludwigshafener Kommissarin in einer viele Stunden währenden Vernehmung zermürben will, ist überzeugt: "Männer, die bellen, beißen nicht." Manchmal beißen sie eben doch; und das endet dann oft tödlich. Der Fachbegriff für solche Taten lautet Femizid: Frauen werden umgebracht, weil sie Frauen sind; hierzulande im Schnitt an jedem dritten Tag. Zusätzlich zu "Ehrenmorden" und sogenannten Intim-Femiziden, bei denen es sich um Beziehungstaten handelt, gibt es Taten, deren Motiv schlicht die Rache am anderen Geschlecht ist: weil sich Männer allein aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung gedemütigt, übergangen oder zu kurz gekommen fühlen; und darum geht es in "Das Verhör".

Zum Glück haben es der erfahrene Dähnert und Regisseurin Esther Wenger vermieden, das Thema allzu aufdringlich in den Vordergrund zu rücken. Die Ludwigshafener Hauptkommissarin (Ulrike Folkerts) hätte ohnehin kaum Muße für aufrüttelnde Ansprachen oder Kurzreferate: Diverse Indizien lassen keinen Zweifel daran, dass Hauptmann Kessler (Götz Otto) eine ihm völlig unbekannte Investmentbankerin umgebracht hat, und das auf denkbar grausame Weise; die Hinrichtung erinnert an mittelalterliche Hexenverbrennungen. Beweisen lässt sich die Tat allerdings nicht, weshalb der Offizier sichtlich Spaß daran hat, mit Odenthal Katz’ und Maus zu spielen. Ähnlich wie der titelgleiche französische Krimi von Claude Miller (1981) mit Lino Ventura als Kommissar und Michel Serrault als Mädchenmörder oder zuletzt die ausgezeichnete "Barcelona-Krimi"-Episode "Der längste Tag" (2022) ist "Das Verhör" über weite Strecken ein Zwei-Personen-Stück.

Ulrike Folkerts war in ihrer langen "Tatort"-Geschichte immer dann am besten, wenn sich Odenthal mit charismatischen Gegenspielern auseinandersetzen musste; und Götz Otto ist nicht nur wegen seiner Körpergröße eine ausgezeichnete Besetzung für den Antagonisten. Der besondere Reiz des Kräftemessens liegt in der Rollenverteilung. Zu Beginn, als der Hauptmann erst mal nur als Zeuge befragt wird, weil ein Auto wie seins in der Nähe des Tatorts gesichtet worden ist, versieht der einstige James-Bond-Schurke ("Der Morgen stirbt nie", 1997) Kessler mit einer subtilen Süffisanz, die der Kommissarin gar nicht unsympathisch ist: Anscheinend sind beide aus ähnlichem Holz geschnitzt. Ihre Haltung ändert sich, als er zum Verdächtigen wird. Seine hingegen nicht: Er scheint die Sache zu genießen und verfolgt Odenthals Bemühungen mit amüsierter Entspanntheit. Kein Wunder: Als seine Vorgesetzte, Oberstleutnant Limbach (Katrin Röver), entführt wird, hat er das beste Alibi, das man sich wünschen kann. Spätestens jetzt spitzt sich die Spannung dieses vorzüglichen Krimis immer mehr zu: Die perfide Mordmethode mit Benzin, Autobatterie und Zeitzünder gibt dem Opfer eine Gnadenfrist von exakt hundert Minuten. Der Countdown läuft, und Kessler treibt sein Spiel mit Odenthal auf die Spitze; doch dann hat Kollegin Stern (Lisa Bitter) einen moralisch zwar fragwürdigen, aber brillanten Einfall.

Die Mehrzahl der Szenen trägt sich zwar im düsteren Vernehmungsraum zu, weil sich die Befragung vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinzieht, aber "Das Verhör" ist dennoch kein Kammerspiel. Optisch reizvoll sind unter anderem die Ausflüge in eine Kaserne. Der Bundeswehrhintergrund ist ohnehin clever gewählt: In der vermeintlich letzten Testosteron-Domäne könnte der Anteil jener Männer, die sich nur ungern von Frauen Befehle geben lassen, noch etwas größer sein als im Rest der Gesellschaft. Oder, um es mit Odenthal zu sagen: "Männer jenseits ihres Bedeutungszenits sind brandgefährlich." Dähnert, dessen Drehbuch wohl durch einen Roman von Patricia Highsmith inspiriert wurde, verdeutlicht den Wandel in der Truppe durch einen Anschiss Kesslers, als ihn Limbach wegen eines demütigenden Aufnahmerituals für neue Rekruten zur Rede stellt. Die sorgfältige Bildgestaltung (Cornelia Janssen) und die gute Musik (Jens Langbein, Robert Schulte-Hemming) runden "Das Verhör" zu einem überdurchschnittlich guten "Tatort" ab.