TV-Tipp: "37 Grad: Nesthocker – Wenn Kinder nicht ausziehen"

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12. Juli, ZDF, 22.15 Uhr
TV-Tipp: "37 Grad: Nesthocker – Wenn Kinder nicht ausziehen"
Der Kühlschrank ist immer voll, die Wäsche wird gewaschen: Hotel Mama hat eine Menge Vorteile; und deshalb bleiben heutzutage viele Kinder lieber daheim, anstatt sich eine eigene Bleibe zu suchen.

Für die meisten ihrer Eltern wäre die Vorstellung ein Albtraum gewesen: Die Mütter und Väter der heutigen "Millennials" konnten ihr Elternhaus einst gar nicht schnell genug verlassen. Aber die Zeiten und damit auch die Verhältnisse zwischen den Generationen haben sich geändert. An die Stelle des früheren Gegeneinanders ist heute ein Miteinander getreten; Beziehung statt Erziehung lautet die Devise. Trotzdem betrachten die Eltern, die Anne Kauth in ihrem Beitrag für die ZDF-Reportagereihe "37 Grad" vorstellt, das Zusammenleben mit gemischten Gefühlen: In einem klassischen Bonmot heißt es, wenn die Kinder ausziehen, beginnt das Leben. Was heißt das also für Väter und Mütter, deren Nachwuchs das Nest nicht verlassen will?

Natürlich ist das kein neues Thema; das ZDF selbst hat bereits vor über zwanzig Jahren eine Serie darüber drehen lassen ("Nesthocker – Familie zu verschenken", 1999). Damals galt "Nesting" allerdings noch als Eigenart, der junge Menschen vor allem in Südeuropa frönten; mittlerweile ziehen es laut Kauth auch hierzulande ein Drittel der 25-Jährigen vor, sich weiterhin verwöhnen zu lassen. Die Autorin stellt drei solcher Fälle vor, aber wie so oft bei "37 Grad" handelt es sich um Einzelfälle mit nur bedingt repräsentativem Charakter.

Völlig untypisch ist vor allem das Schicksal des 35-jährigen Stefan aus dem schwäbischen Höchstadt an der Donau: Er war zehn Jahre lang heroinabhängig und ist ins Elternhaus zurückgekehrt, weil er nicht allein leben könnte. Der Vater einer kleinen Tochter ist schon wegen seiner Vorgeschichte der mit Abstand interessanteste Protagonist der Reportage, zumal er komplett aus dem Raster fällt: Stefan bezieht Hartz IV, er hat keinen Schulabschluss, wäre aber aus gesundheitlichen Gründen wohl ohnehin nicht arbeitsfähig. Außerdem ist er latent suizidgefährdet; damit entspricht er nicht mal ansatzweise dem Klischee des typischen Nesthockers, der wie die Made im heimischen Speck sitzt.

Auf die beiden anderen trifft das deutlich eher zu: Felix, 23, lebt mit Eltern und Geschwistern auf einem fränkischen Hof. Er sagt ernsthaft Schürzensätze wie "Mama ist die Beste" oder "Zuhause ist es am schönsten". Selbst die Aussicht, mit seiner Freundin zusammenzuziehen, ist nicht verlockend genug, um den heimischen Hof zu verlassen.

Auch die großflächig tätowierte 29jährige Ve aus der Nähe von Erfurt lässt sich lieber bekochen, als selbst für sich zu sorgen; immerhin zahlt sie mittlerweile einen allerdings eher symbolischen Beitrag für Kost und Logis. Beide Elternpaare machen gute Miene zu diesem Spiel, selbst wenn die Nesthocker ihre Pläne durchkreuzen: Felix und seine beiden Geschwister wohnen in einer ausgebauten Scheune mit Küche und Bad; die Räumlichkeiten waren eigentlich für Feriengäste bestimmt. Andererseits sind die Kinder als helfende Hände durchaus willkommen, auf einem Bauernhof gibt’s schließlich immer was zu tun. Die Mutter sähe es zwar gern, wenn der Sohn auf eigenen Füßen stünde, will ihn aber auch nicht vor die Tür setzen. Ve ist vor zehn Jahren nach Berlin gezogen, jedoch bald wieder heimgekehrt: Der Großstadttrubel war nichts für sie. 

Das ist zwar alles durchaus kurzweilig, weist aber wie so oft bei "37 Grad" viel zu wenig über sich hinaus, da sich Kauth auf dieses Trio konzentriert. Der Kommentar verliert kein Wort darüber, warum die heutige junge Generation keinerlei Nestfluchtbedürfnisse hat; das kann schließlich auch ganz pragmatische wirtschaftliche Gründe haben. Da eine soziologische Ebene im Konzept der Reihe nicht vorgesehen ist, bleibt auch die soziale Frage ausgespart. Stattdessen lässt es die Autorin menscheln: Selbstredend läuft das Zusammenleben von Eltern und Kindern nicht immer reibungslos ab, weil zum Beispiel Ve und ihre Mutter unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung haben.

Einige Szenen erfüllen allerdings auch den Tatbestand der Zeitverschwendung: Dass Kauth zeigt, wie Stefan gemeinsam mit dem älteren Bruder sein "Kinderzimmer" anstreicht, sorgt für keinerlei Erkenntnisgewinn. Das Nesthocker-Thema ist ohnehin recht bald erschöpft. Typisch für die Reihe ist auch die zusammenhanglose Struktur: Ohne jede Überleitung wechselt der Film die Ebenen. Eine Dramaturgie gibt es ebenso wenig wie einen richtigen Schluss. Stefans Hoffnung, innerhalb der nächsten ein oder zwei Jahre auszuziehen, klingt eher wie ein frommer Wunsch.