TV-Tipp: "Tatort: Schattenkinder"

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13. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Schattenkinder"
Der Film wirkt, als habe man beim Schweizer Fernsehen nach einem Hintergrund gesucht, der im TV-Krimi Seltenheitswert hat. Gefunden hat man die Welt der Kunst. Das ist als Ansatz ja erst mal nicht verkehrt, doch das Ergebnis legt die Vermutung nahe, dass es vor allem möglichst bizarr zugehen sollte.

Anders als der "Tatort" aus Wien haben sich die Filme aus der Schweiz einfach nicht in die Herzen der deutschen Sonntagskrimi-Fans spielen können. An der Hauptfigur und ihrem Darsteller lag es nicht: Reto Flückiger aus Luzern, durch seine Gastauftritte im "Tatort" aus Konstanz bestens eingeführt, war ein interessanter Typ, und Stefan Gubser ist mit seiner kantigen Attraktivität ohnehin sehenswert. Einige Filme waren durchaus interessant; die meisten aber nicht. Mit den Nachfolgerinnen schien alles anders zu werden: Die Premiere der Kommissarinnen Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher), "Züri brännt", erzählte eine reizvoll verschachtelte Geschichte, in der die beiden Frauen tief in die Zürcher Vergangenheit eintauchten mussten, um einen aktuellen Mordfall zu lösen. Umso enttäuschender war der zweite Fall, "Schoggiläbe" (2021), und diese ungute Tendenz setzt sich  nun mit "Schattenkinder" fort.

Die eigentliche Handlung beginnt mit einem schockierenden Fund: Ein Vater wird zu einer Lagerhalle bestellt, wo er die in Plastikfolie eingewickelte Leiche seines Sohnes Max entdeckt. Der junge Mann ist auf eine ganz spezielle Weise tätowiert, was die beiden Ermittlerinnen alsbald zu einer Frau (Sarah Hostettler) führt, die sich Kyomi nennt. Sie lebt mit ihrem Gefolge in einer Art Künstlerkolonie und hat auf der Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal einen eigenen Stil kreiert: Sie hilft seelisch verletzten jungen Menschen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, verpasst ihnen mit Hilfe subkutaner Antlitzgestaltung eine schmerzhafte Metamorphose und verwandelt sie auf diese Weise in Kunstobjekte, die mit ihren schwarzen Augäpfeln ziemlich gruselig aussehen. Max gehörte auch zu Kyomis "Schattenkindern". Herzstück des Films ist ein Monolog, in dem der junge Mann über seine Kindheit, das gestörte Verhältnis zum Vater und den Missbrauch durch einen Schwimmtrainer spricht. Das macht die beiden Männer für Grandjean und Ott automatisch zu Verdächtigen, was zwar nicht besonders logisch ist, aber ohnehin ins Leere führt. 

Sarah Hostettler, gelegentliche Gastdarstellerin in deutschen Krimis (zuletzt in der "Nord bei Nordwest"-Episode "Der Andy von nebenan"), ist eine interessante Besetzung für die Episodenhauptfigur, selbst wenn ihre Rolle eher befremdlich als faszinierend ist. Wie wichtig dem Film die künstlerische Ebene war, belegt nicht nur die Ausarbeitung der gemeinsam von Regisseurin Christine Repond und Kameramann Simon Guy Fässler entworfenen Video-Installationen, sondern auch deren ausführliche Vorführung, weshalb "Schattenkinder" streckenweise wie ein Vernissage-Bericht anmutet. Klassische Krimispannung kommt ohnehin erst zum Schluss auf, als die beiden verbliebenen Auserwählten für den letzten Akt ihrer Transformation das denkbar größte Opfer bringen sollen. 

Damit es in dem "Tatort" nicht ausschließlich um Kyomis Kunst geht, hat das Drehbuch (Stefanie Veith, Nina Vukovic) den beiden Kommissarinnen noch einen Konflikt in den Ermittlungsalltag gedichtet: Nach ihrem Schusswaffengebrauch im letzten Fall muss sich Ott einer internen Untersuchung unterziehen, zu der auch eine Beurteilung durch die Kollegin gehört. Grandjean hat allerdings gewisse Zweifel an Otts Diensttauglichkeit, die in der Tat einen psychisch labilen Eindruck macht, was Kyomi prompt spürt; vorübergehend scheint die Kommissarin dem Charisma der Künstlerin zu erliegen. Grandjean findet deren Arbeit allerdings keineswegs so eindrucksvoll, weshalb der Film nebenbei auch die Frage behandelt, was Kunst ist und wie man sie zu Geld macht.

Zu den düsteren Videoinstallationen passt nicht nur die elektronische Musik, die im Hintergrund unheilvoll vor sich in dräut, sondern auch die restliche Bildgestaltung: Die bevorzugt in Blauschwarz gehaltenen Aufnahmen sind betont kühl und freudlos; erst nach dem durch einen kleinen Knüller eingeleiteten Finale, als sich auch die Spannungen zwischen den Kommissaren verflüchtigt haben, darf die Sonne etwas Wohlbehagen verbreiten. Repond hat zuletzt den Kinofilm "Vakuum" (2019) gedreht, ein ähnlich freudloses Drama mit Barbara Auer als Ehefrau, die von ihrem Mann nach dessen Bordellbesuch mit HIV infiziert wird.