TV-Tipp: "Tatort: Die Kalten und die Toten"

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14. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Die Kalten und die Toten"
"Teufelskind" hieß dieser Krimi aus Berlin ursprünglich. Der Arbeitstitel bringt die Persönlichkeit der entsprechenden Titelfigur perfekt auf den Punkt: Die ohnehin aus der Mode gekommene Bezeichnung "Taugenichts" wäre angesichts all der Untaten, die der Satansbraten auf dem Kerbholz hat, eine völlig unangemessene Untertreibung.

Seine polizeiliche Aktenlage, darunter Sexualdelikte und Gewalttaten, entspricht der eines notorischen Kriminellen. Zu einer Verurteilung ist es jedoch auf scheinbar wundersame Weise nie gekommen: Die Mutter des jungen Mannes ist Polizistin, die Delikte fielen ausnahmslos in die Zuständigkeit ihres Reviers. Als ginge es um ein verbrecherisches Clan-Mitglied, haben die Betroffenen ihre Anzeigen zurückgezogen; Zeugen konnten sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Aber nun hat Dennis Ziegler es zu weit getrieben: In der Nähe seiner Wohnung wird eine junge Frau nackt und mit zertrümmertem Schädel gefunden. Der Fall scheint klar, doch die Tat kann ihm nicht nachgewiesen werden, zumal sein Vater in der Wohnung mit Hilfe von Chlorbleiche alle Spuren beseitigt hat.

„Tatort“-Ermittler hadern regelmäßig mit ihrer Ohnmacht, wenn sie Menschen laufen lassen müssen, die unzweifelhaft einen Mord begangen haben. Das Berliner Kripoduo Rubin und Karow (Meret Becker, Mark Waschke) lässt sich daher zu höchst fragwürdigen Methoden hinreißen, um Dennis doch noch dranzukriegen: Die beiden tun alles, um die Mitglieder der Ziegler-Familie, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten, auseinanderzubringen. Dieser erzählerische Ansatz ist für einen Sonntagskrimi, in dem die Ermittlerinnen und Ermittler neben Recht und Ordnung auch Anstand und Moral repräsentieren sollen, ziemlich ungewöhnlich; aber der RBB hat ohnehin von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass sein Berliner Team aus dem „Tatort“-Rahmen fallen soll. Weil Karow mit seinen Versuchen, den Vater (Andreas Döhler) aus der Ruhe zu bringen, keinen Erfolg hat, knöpft sich Rubin die Mutter vor.

Jule Böwe wird gern besetzt, wenn eine Figur vor der Zeit gealtert ist, weil das Leben es nicht gut mit ihr gemeint hat. Sie verkörpert diese Mutter, die wie eine Löwin für ihr Kind kämpft, auf denkwürdige Weise. Der Reiz der Rolle liegt in ihrer Abgründigkeit: Auf den ersten Blick wirkt Doris Ziegler wie eine Frau, die sich von ihrem missratenen Sohn ebenso um den Finger wickeln lässt wie von ihrem in sexueller Hinsicht offenbar recht umtriebigen Mann. Die entsprechenden Szenen sind fast eine Qual, zumal der von Vito Sack unangenehm gut gespielte Junge ein manipulativer Parasit ist; seine unterbelichtete Freundin (Milena Kaltenbach) frisst ihm ebenfalls aus der Hand. Stück für Stück lüftet der Film jedoch Doris’ Maske. Dahinter kommt eine Frau zum Vorschein, die zwar kaltblütig und berechnend agiert, aber dank Böwes vielschichtigem Spiel dennoch nicht wie ein Monster wirkt: Doris weiß, dass ihr Sohn kein Engel ist, doch sie geht aller Offenkundigkeit zum Trotz davon aus, dass er nie zu einem Mord fähig sein könnte.

Tatsächlich ist das Verhalten von Rubin und Karow im Grunde sogar ungeheuerlicher, schließlich sind sie die Guten. Die Kommissarin verursacht durch eine Fahrlässigkeit sogar beinahe einen weiteren Todesfall, als sie den Eltern (Andreja Schneider, Rainer Reiners) vom lockeren Lebenswandel der Tochter berichtet. Das Paar will deren Tod lange nicht wahrhaben; erst die Information, dass ihr wohlerzogenes Kind auch Frauen liebte, sorgt für einen Schock. Eine gruselige Figur ist auch die von Florentine Schara verstörend glaubwürdig angelegte Mutter von Dennis’ Freundin.

Inmitten all’ dieses düsteren Personals, der teilweise deftig-vulgären, oft drastischen Dialoge sowie der ungeschönten Bilder setzt ein neues Ensemble-Mitglied heitere Kontrapunkte: Malik Aslan erledigt als Nachfolger der nach Bielefeld ausgewanderten Kollegin Anna die Hintergrundrecherche. Malik sitzt im Rollstuhl, aber das besondere an der Rolle ist nicht die Behinderung, sondern ihr spezieller Humor in eigener Sache. Beide, Malik wie auch sein Darsteller Tan Caglar, sind eine echte Bereicherung für den „Tatort“ aus Berlin. Regie führte Torsten C. Fischer, dessen Krimis immer sehenswert sind; zuletzt hat er mit „Der Tod der Anderen“ (2021) einen „Tatort“ aus Köln gedreht, in dem die Kommissare mit einem alten DDR-Skandal konfrontiert wurden. Das Drehbuch zu „Die Kalten und die Toten“ ist von Markus Busch; sein letzter Sonntagskrimi war „Inferno“ (2019), ein „Tatort“ aus Dortmund über einen Mord in der Notaufnahme.