TV-Tipp: "Zurück ans Meer"

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4. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Zurück ans Meer"

Die Seele kann ein Gefängnis sein, aus dem es kein Entrinnen gibt: Mara Breuer ist vor langer Zeit entführt worden. Körperlich hat sie das Verbrechen unbeschadet überstanden, aber ihre Psyche hat erhebliche Schäden davongetragen. Ein Teil von ihr ist immer noch in der Kiste gefangen, in die ihr Kidnapper sie damals gesteckt hat; der Entführer hingegen ist nach wie vor auf freiem Fuß. Gut zwanzig Jahre später glaubt Maras Mutter Charlotte, die damals mit dem Entführer telefoniert hat, auf der Straße seine Stimme wiederzuerkennen; aber der Mann, den sie für den Peiniger ihrer Tochter hält, ist Mitglied einer der angesehensten und reichsten Familien Dänemarks.

Dieses Szenario ist die Basis für ein Drama, das nur vordergründig wie ein Krimi wirkt. Die fast schon obsessiven Versuche von Charlotte (Hannelore Hoger), den vermeintlichen Entführer dazu zu bringen, die Tat zu gestehen, bilden bloß die Karosserie des Films; sein Motor ist die Mission, Mara (Nina Hoger) endlich aus ihrem inneren Exil zu befreien. Das Drehbuch von Fabian Thaesler, der für Hannelore Hoger auch einige "Bella Block"-Episoden geschrieben hat, erzählt zwar in erster Linie von Charlottes Ausflügen nach Dänemark, wo sie Kjell Mortensen (Jens Albinus) nachstellt, doch die eigentliche Hauptfigur ist Mara. Nina und Hannelore Hoger haben schon oft zusammengespielt, zuletzt als Mutter und Tochter in der Trilogie über die "Vier Meerjungfrauen" (2001 bis 2007), aber "Zurück ans Meer" ist schauspielerisch eine ihrer besten gemeinsamen Arbeiten, zumal Ninas Rolle gerade wegen ihres geringeren Spielraums die deutlich größere Herausforderung ist: Während Charlotte dem Bauunternehmer das Leben schwer macht, in sein Haus eindringt und schließlich sogar schuld daran ist, dass er ins Krankenhaus muss, ist Mara, bildlich gesprochen, dazu verurteilt, in ihrer Zelle zu verharren. Die Handlung kommt überhaupt nur ins Rollen, weil die Mutter sie zum wiederholten Mal eine Therapie machen lässt. In der Klinik an der Ostsee trifft Mara endlich auf eine Therapeutin, die tatsächlich Zugang zu ihr bekommt.

Christina Große muss zwar einige Lehrbuchsätze aufsagen, um das Krankheitsbild zu erläutern, ist aber dank der Empathie, die die Ärztin ausstrahlt, äußerst glaubwürdig. Nina Hoger wiederum versieht Mara mit einer Körpersprache, die keinen Zweifel am Zustand der Frau lässt. Die verkrümmte Haltung und die große Anspannung senden unmissverständliche Signale aus. Körper und Seele, erläutert die Therapeutin, "halten sich gegenseitig gefangen." Als Mara nach und nach Zutrauen zu ihr fasst – die Ärztin vergleicht diesen Prozess mit Auftauen –, entspannt sich nicht nur ihre Verkrampfung; nun verliert sie auch die anfängliche Verhärmtheit. Ihre Panikattacken bleiben jedoch. Hoger lässt diese schwierigen Szenen sehr authentisch und entsprechend berührend wirken; so etwas kann auch leicht auch ins Gegenteil umschlagen. Maras Metamorphose hat die Schauspielerin gemeinsam mit Markus Imboden ohnehin sehr eindrucksvoll entwickelt. Der Schweizer Regisseur war ebenfalls an diversen "Bella Block"-Episoden beteiligt und hat den Film gewohnt zurückhaltend inszeniert.

Natürlich lebt "Zurück ans Meer" auch von der Frage, ob Mortensen tatsächlich der Täter ist. Charlotte allein hätte keine Chance, die Wahrheit rauszufinden, findet jedoch einen unerwarteten Verbündeten. Pflichtverteidiger Johansen hat eigentlich gar keine Lust, sich auf ihre Hirngespinste einzulassen, zumal er ihr klar macht, dass sie gegen Windmühlen kämpft. Selbst wenn es sich bei Mortensen um den Entführer handeln sollte, worauf es neben Charlottes unerschütterlicher Überzeugtheit keinerlei Hinweise gibt: Das Verbrechen wäre seit zwei Jahren verjährt; ein Schuldspruch würde die Dinge ohnehin nicht ungeschehen machen. Die Sturheit der Frau imponiert dem Anwalt jedoch. Morten Sasse Suurballe sorgt für die wenigen heiteren Momente des Films, weil Johansen, der auch aus einer Erzählung von Ferdinand von Schirach stammen könnte, von den beiden Frauen immer wieder in haarsträubende Situationen gebracht wird. Als auch Mara in Kopenhagen eintrifft, um sich ihrem Trauma zu stellen, wird der Verteidiger endgültig zur Schlüsselfigur der Geschichte; und "Zurück ans Meer" doch noch zum Krimi. Dankenswerterweise haben die Verantwortlichen darauf verzichtet, den Film komplett einzudeutschen: Untereinander dürfen die Dänen dänisch sprechen, nur mit Mutter und Tochter Breuer unterhalten sie sich auf Deutsch.