TV-Tipp: "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution"

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TV-Tipp: "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution"
Mittwoch, 28. April, ARD, 20.15 Uhr
"Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution" ist mal eine andere Sicht auf das Ende der DDR: Die Geschichte wird fast ausschließlich aus der Sicht von Jugendlichen erzählt. Handlungsmotor dieses mit 90 Minuten viel zu kurzen Films ist der von Janina Fautz jederzeit nachvollziehbar verkörperte Wandel der Hauptfigur.

Die Geschichte des Anfangs vom Ende der DDR ist im Fernsehen schon oft erzählt worden. Prototyp dieses historischen Subgenres ist der auf Erich Loests Roman basierende ARD-Zweiteiler "Nikolaikirche" (1995). "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution" unterscheidet sich von den vielen oft herausragend guten TV-Produktionen vor allem durch den Blickwinkel: Die Geschichte wird fast ausschließlich aus der Sicht von Jugendlichen erzählt. Der Film ist eine Fiktionalisierung der Fakten, die Peter Wensierski für sein 2017 erschienenes gleichnamiges Sachbuch zusammengetragen hat.

Der Titel bezieht sich auf die Energie und das Engagement einer Gruppe junger Leipziger Öko-Aktivisten, die erkennen: Wenn sie die Umwelt retten wollen, müssen sie das System ändern. Wie die Vorlage, so ist auch das Drehbuch von Thomas Kirchner vor allem eine Hommage an das jugendliche Recht auf Widerstand. Darin liegt zudem der unübersehbare Bezug zur Gegenwart. Umweltschützer in der DDR, in der es nach offizieller Lesart selbstredend überhaupt keine Umweltprobleme gab, riskierten zwar deutlich mehr als ihre Epigonen gut vierzig Jahre später, aber die Parallelen zu "Fridays for Future" sind unverkennbar.

Handlungsmotor dieses mit 90 Minuten viel zu kurzen Films ist der von Janina Fautz jederzeit nachvollziehbar verkörperte Wandel der Hauptfigur. Berufsschülerin Franka Blankenstein ist 19 und eine junge Frau, die das Leben vor allem genießen will und sich keine Gedanken über Politik macht. Das ändert sich, als sie im Mai 1988 Stefan (Ferdinand Lehmann) kennen lernt.

Bereits die erste Begegnung schweißt die beiden zusammen: Stefan ist auf der Flucht vor einer Streife der Volkspolizei, schlägt den Männern aber ein Schnippchen; und Franka schickt sie anschließend in die falsche Richtung. In der Eile hat Stefan seine Tasche verloren. Franka findet darin ein Flugblatt, das zur Andacht des Arbeitskreises Natur und Umwelt am selben Abend einlädt. Eigentlich wollte sie mit Freundin Trixi (Katja Hupko) in die Disco, aber nun landen die beiden in der Kirche, wo sie mit ihrem grellen Make-up und den bunten Klamotten prompt wie Paradiesvögel wirken. Was Franka dort hört, setzt einen Prozess in Gang, der sie am Ende ins Gefängnis bringen wird; wegen Konspiration und staatsfeindlicher Hetze droht ihr eine zehnjährige Zuchthausstrafe.

In den 80 Filmminuten dazwischen erzählen Kirchner, Schöpfer und Autor der "Spreewaldkrimis" im ZDF, sowie Regisseur Andy Fetscher, der zuletzt einen klassischen Horrorfilm  im Krimigewand gedreht hat ("Tatort: Fürchte dich", 2017), die typische Geschichte eines politischen Erwachens. Dass die Botschaften der Umweltgruppe bei Franka auf derart fruchtbaren Boden fallen, hat einen sehr plausiblen Grund: Familie Blankenstein hat früher in der Nähe von Bitterfeld gewohnt. Frankas kleiner Bruder ist im Alter von fünf Jahren an Pseudokrupp gestorben.

Für Franka wird nun offenkundig, was sie womöglich immer schon geahnt hat: Lars ist wie viele andere Kinder der Gegend ein Opfer der Umweltgifte geworden. Das erklärt, warum sie sich bald auf eine Weise engagiert, die ihre Mutter Renate (Inka Friedrich) mit Sorge beobachtet. Als Franka im Politikunterricht ihrem komplett humorlosen und hundertprozentig linientreuen Lehrer (Torsten Michaelis) trotzt, wird Renate zur SED-Kreisleitung zitiert. In einer ebenso verblüffenden wie darstellerisch mutigen Szene riskiert Franka in einer vorweggenommenen "Femen"-Aktion eine Menge, um auf den Zustand der Pleiße hinzuweisen; das Gewässer galt zu DDR-Zeiten wegen der Verseuchung mit dem Abwasser aus der chemischen Industrie quasi als Synonym für einen toten Fluss.

Zweiter Schwerpunkt der Geschichte ist die erste große Liebe. Janina Fautz ist der Star des Films, aber Ferdinand Lehmann ist seine Entdeckung. Der junge Schauspieler trägt womöglich eine größere Last als seine Spielpartnerin, denn er muss nachvollziehbar verkörpern, dass Franka bereits bei der ersten Begegnung hin und weg ist, und das gelingt ihm scheinbar mühelos. Stefan lebt in einer Kommune, die sich in einem leerstehenden Haus eingerichtet hat; die Musik von Ton Steine Scherben ist ein unüberhörbarer Verweis auf die Vorbilder der westdeutschen Hausbesetzerszene.

Anfangs geht es tatsächlich nur um Umweltfragen, aber auf Bestreben Frankas setzt sich die Gruppe schließlich für freie Wahlen und eine freie Presse ein. Höhepunkt der Aktivitäten ist eine Demonstration am 15. Januar, dem 70. Todestag von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Mit einer gewagten Aktion, die sicher nicht zufällig an Hans und Sophie Scholl erinnert, will Franka erreichen, dass möglichst viele Leipziger motiviert werden, an der Demo teilzunehmen; Fetscher hat die entsprechenden Szenen mit Unterstützung der ohnehin guten Musik (Philipp E. Kümpel, Andreas Moisa) packend wie einen Thriller inszeniert. 

Abgerundet wird die Qualität dieses mitreißend guten Films durch das sehenswerte Spiel gerade der jungen Mitwirkenden und die prägnante Besetzung der Erwachsenen; Alexander Hörbe zum Beispiel hat als Frankas Vater nicht viel Text, strahlt aber eine große positive Präsenz aus. Unbedingt preiswürdig ist jedoch Janina Fautz, deren natürliche Sympathie die perfekte Voraussetzung für die Rolle der Hauptfigur ist. Wenn Franka beim Umweltgebet vom Schicksal ihres kleinen Bruders erzählt und den Staat beschuldigt, er opfere kleine Kinder auf dem Altar von Sozialismus und Fortschritt, macht die junge Schauspielerin aus diesem Auftritt einen echten Gänsehautmoment.