Mordanschlag auf der Kanzel: Die vielen Feinde des Lucas Osiander

Theologe auf Kanzel erschlagen
©Conrad Melperger /Professorengalerie der Universität Tübingen/commons.wikimedia/16201802
Den evangelischen Theologen Lucas Osiander hätte es 1636 in der Tübinger Stiftskirche fast erwischt. Erfolg hatte der Attentäter nicht.
Mordanschlag auf der Kanzel: Die vielen Feinde des Lucas Osiander
Der vor 450 Jahren geborene evangelische Theologe Lucas Osiander hatte viele Feinde. Einer davon kam sogar mit dem Schwert auf die Kanzel, um den Lutheraner zum Schweigen zu bringen. Erfolg hatte der Attentäter nicht.

Mordanschläge während eines Gottesdienstes sind in Europa glücklicherweise selten. Den evangelischen Theologen Lucas Osiander hätte es 1636 in der Tübinger Stiftskirche fast erwischt. Ein Mann, der sich für einen Propheten hielt, machte sich mit einem Schwert auf den Weg zur Kanzel. Doch konnte Osiander den Angreifer aus eigener Kraft zurückschlagen. Vor 450 Jahren, am 6. Mai 1571, wurde der Theologe, der sich viele Feinde gemacht hat, in Stuttgart geboren.

Osiander stammt aus einer protestantischen Familie der ersten Stunde. Sein Großvater Andreas Osiander war ein berühmter Reformator, der lange Jahre in Nürnberg wirkte. Sein Vater, Lucas Osiander der Ältere, kam als junger Pfarrer in den Südwesten, wurde Hofprediger in Stuttgart und schuf das erste evangelische Gesangbuch für Württemberg. Der Junior studiert in Tübingen evangelische Theologie, macht an verschiedenen Stationen Kirchenkarriere und beginnt mit Ende 40, an der Universität Theologie zu lehren.

Probst und Uni-Kanzler bis zum Tod

Im Jahr 1620 wird Osiander Propst und Kanzler der Universität - zwei Ämter, die er bis zu seinem Tod 1638 innehat. In diesen Jahren entwickelt er sich zu einem streitbaren Autor, der in seinen Werken die Theologie von Calvinisten, Täufern und Jesuiten zu zerpflücken versucht. Gut 100 Jahre nach Beginn der Reformation übt sich Osiander kraftvoll darin, die Überlegenheit lutherischer Theologie im Vergleich zu Katholiken, Reformierten und der Täuferbewegung zu begründen.

In jenen Jahren geht man sprachlich mit seinen Gegnern nicht gerade zimperlich um - und die Auseinandersetzungen arten im Herzen Europas dann auch in brutale Gewalt aus. Der Dreißigjährige Krieg als großer Konfessionskrieg beginnt 1618 - in dem Jahr, in dem Osiander seine akademische Arbeit an der Tübinger Fakultät aufnimmt. Als er Johann Arndts Buch "Vom wahren Christenthum" aus dem Jahr 1610 überkritisch aufs Korn nimmt, das in Württemberg durchaus positiv aufgenommen worden ist, verliert er auch unter Wohlgesonnenen einige Freunde. Es ist das Bonmot überliefert, bei dem streitfreudigen Theologen sei der Heilige Geist keine Taube, sondern ein Rabe.

Attentäter zückte im Gottesdienst das Schwert

So kommt an einem Sonntag 1636 ein sogenannter Spiritualist namens Ludwig Friedrich Giftheil nach Tübingen, um Osiander mit einer scharfen Klinge ins Jenseits zu befördern. Schon Giftheils Bruder Abraham war mit der Kirchenleitung in schweren Konflikt geraten, wurde auf Burg Hohenwittlingen bei Reutlingen eingekerkert und nahm sich in der Haft offenbar das Leben.

Ludwig Friedrich Giftheil hatte ebenfalls zuvor so heftig mit der Kirchenleitung gestritten, dass man ihn des Landes verwies. 1636 reist er aber als kaiserlicher Soldat nach Tübingen. Im Gottesdienst zückt er das Schwert, geht auf den Prediger Osiander los und fragt ihn laut: "Warum predigst du nicht Gottes Wort?". Weitere Details sind nicht überliefert, doch hat offensichtlich der Prediger Kraft genug, sich gegen den Mordversuch erfolgreich zur Wehr zu setzen.

Erst zwei Jahre später segnet Osiander das Zeitliche - er stirbt eines natürlichen Todes. Die Württemberger haben ihm seine Polemiken verziehen und ihn in ehrendem Andenken gehalten. Denn in einer Zeit heftigster und blutigster konfessioneller Auseinandersetzungen hat er die lutherischen Ideen tapfer verteidigt, und bis heute versteht sich die Evangelische Kirche in Württemberg als lutherische Landeskirche.