Die Sylt-Krimis werden schon seit einiger Zeit bevorzugt im Winter gedreht. Das hat vermutlich in erster Linie finanzielle Gründe, weil die Unterbringung der Mitwirkenden im Januar natürlich preiswerter ist als im Sommer. Atmosphärisch und somit auch künstlerisch eignet sich die dunkle Jahreszeit jedoch ohnehin viel besser.
Sommerbilder sind keine besondere Herausforderung; bei Aufnahmen im Zwielicht oder bei Nacht und Nebel lassen sich dagegen zum Beispiel mit der Lichtsetzung ganz andere Wirkungen erzielen. Trägt die Handlung dann auch noch düstere Züge, ergänzen sich Optik und Inhalt umso besser.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Sievers und die stillen Austern", Film Nummer 27 der 2011 gestarteten Reihe, beginnt als Thriller und offenkundig mit einem Mord, denn am nächsten Tag macht Hauptkommissar Sievers (Peter Heinrich Brix) beim Strandspaziergang mit Freundin Tabea (Victoria Trauttmansdorff) eine grausige Entdeckung: Aus dem Sand ragt ein einsamer Arm. Er gehört Wolf Voss, einem Star-Koch, sein Restaurant ist eine der ersten kulinarischen Adressen auf Sylt. Der Mann war ein Charmeur, dem keine Frau widerstehen konnte, wie eine langjährige Freundin und Stammkundin erzählt. Marlies Wünschmann (Lisa Kreuzer) hat vor Jahren einen tragischen Schicksalsschlag erlitten, der später noch eine entscheidende Rolle spielen wird.
Zunächst konzentrieren sich die Ermittlungen jedoch auf Thorben Voss, (Tim Kalkhof), den Sohn des Opfers. Der junge Mann, ebenfalls Koch, sollte "das Voss" schon längst übernommen haben, doch der Alte hat ihn immer wieder vertröstet. Als Mordmotiv erscheint das zwar etwas dünn, aber Voss junior hat kein Alibi und ein handfestes Motiv, zumal die beiden regelmäßig Streit hatten.
Als erstes streicht der Sohn die Austern von der Karte, dann nimmt er ein riesiges Foto seines Vaters von der Wand. Als er das großformatige Bild hinter einem Schrank verstaut, kommt auf der anderen Seite unbemerkt eine kleine Schachtel zum Vorschein; ihr Inhalt trägt schließlich ebenfalls entscheidend zur Auflösung des Falls bei.
Bald darauf wird Thorben von einer unbekannten Person vor dem Lokal, das nun ihm gehört, die steile Treppe zum Strand runtergestoßen. Mit dieser Aktion wollen Katja Töner, Sebastian Bleyl sowie der ebenfalls als Autor geführte Regisseur Bruno Grass vermutlich nahelegen, dass der Sohn unschuldig ist - zumal jemand die Räumlichkeiten des Restaurants durchsucht, während der Koch bewusstlos in der nächtlichen Kälte liegt.
Natürlich gerät zwischenzeitlich auch die Witwe auf die Liste der Verdächtigen: Voss senior wollte sich scheiden lassen, weil er sein Herz an eine Jüngere verloren hatte; Gattin Dörte (Brigitte Zeh) hätte in diesem Fall und aufgrund eines neuen Testaments auf viel Geld verzichten müssen.
Mindestens so wichtig wie die Mördersuche sind in "Nord Nord Mord" traditionell die Befindlichkeiten, und in dieser Hinsicht ist "Sievers und die stillen Austern" deutlich interessanter. Die Beziehung zwischen Kommissar Feldmann (Oliver Wnuk) und der Kollegin Ina Behrendsen (Julia Brendler) folgt zwar schon geraume Zeit dem Konzept "Er will, sie nicht", aber es gelingt den Autorinnen und Autoren immer wieder, diesem eigentlich auserzählten Muster originelle Seiten abzugewinnen.
Diesmal mutmaßt Feldmann, dass Inselfotograf Knut Küster (Steven Scharf) Ina nicht bloß für den jährlichen Kalender mit Sylter Schönheiten abgelichtet hat. Tatsächlich enthält eins dieser Bilderwerke einen weiteren Schlüssel zur Lösung.
Diese Indiziensammlung ist kriminalistisch durchaus reizvoll, aber das Alleinstellungsmerkmal der Sylter Krimis sind natürlich die zwischenmenschlichen Reibereien.
Auf dieser Ebene sorgt eine neue Figur für einigen Zündstoff: Eines Tages steht ein uraltes Wohnmobil mit Getriebeschaden vor dem Revier. Es gehört Reinhard Schneider (Reiner Schöne), der einst die Kripo Sylt gegründet hat und deshalb so etwas wie Legendenstatus genießt. Außerdem war er Behrendsens Ausbilder. Dass er seine frühere Schülerin bereits als zukünftige Chefin sieht, beschert dem ehrgeizigen Feldmann einen weiteren Grund für schlechte Laune.
Allerdings stiftet Schneider, der sich immer noch als Hausherr betrachtet, nicht bloß Unruhe: Als sich rausstellt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen Mordfall und einem viele Jahre zurückliegenden Verbrechen gibt, will der Veteran in die Ermittlungen eingebunden werden. Der Rest ist heiter, wobei gerade die lakonischen Gags, wenn der deutlich größere Sievers dem deutlich kleineren Feldmann sein Zweirad überlässt, die schönsten sind.



