TV-Tipp: "Was uns nicht umbringt"

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TV-Tipp: "Was uns nicht umbringt"
2. April, ZDF, 21.15 Uhr
In der Praxis des Psychotherapeuten Max kreuzen sich die Lebenswege ganz unterschiedlicher Menschen und die verschiedensten Schicksale werden verhandelt. Die vielen Handlungsstränge verweben sich in den humorvollen Dialogen eines prominent besetzten Films.

Man muss nicht wissen, dass das Titelzitat "Was uns nicht umbringt" von Friedrich Nietzsche stammt, um es unwillkürlich zu ergänzen; ganze Generationen von militärischen Ausbildern und sportlichen Übungsleitern haben versucht, ihre Schutzbefohlenen nach dieser Devise zu besonderer Härte gegen sich selbst zu erziehen. Der Philosoph bezog das Motto in seinem Spätwerk "Götzen-Dämmerung" (1889) allerdings nur auf sich selbst: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." In der Psychologie steht die Maxime für psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz), die es Menschen ermöglicht, gestärkt aus einer Krise hervorzugehen; und davon handelt im weitesten Sinne Sandra Nettelbecks Film.

Die Regisseurin ist vor zwanzig Jahren durch "Bella Martha" bekannt geworden. In der melancholischen Komödie spielte Martina Gedeck eine Köchin, die in der Küche mit großer Souveränität agiert, vom restlichen Leben jedoch überfordert ist. In ihrem jüngsten Werk wimmelt es nur so von Menschen, auf die das ebenfalls zutrifft. Zentrale Figur der selbst in winzigen Rollen verblüffend prominent besetzten Handlung ist Psychotherapeut Max (August Zirner hat diese damals allerdings wesentlich kleinere Rolle bereits in "Bella Martha" gespielt). Seine Praxis ist der Punkt, an dem sich die Lebenswege der anderen kreuzen. Da ist zum Beispiel das Bestatterduo Mark und Henriette (Christian Berkel, Victoria Meyer). Der anfängliche Eindruck, die beiden machten eine Paartherapie, ist zwar nicht gänzlich verkehrt, aber sie sind keineswegs miteinander verheiratet, sondern Bruder und Schwester. Eigentlich führen sie ein beschauliches Dasein, doch Henriette ist überzeugt, sie litten unter tödlichen Krankheiten. Auch bei Pilot Fritz (Oliver Broumis) ist das Problem offenkundig: Seit sein Lebensgefährte unheilbar an Krebs erkrankt ist, hat er Angst vorm Fliegen. Ben hingegen bleibt ein Rätsel, denn er sagt nicht viel; Mark Waschke verleiht dem Begriff "wortkarg" eine ganz neue Bedeutung. Eine weitere Besucherin ist Loretta (Barbara Auer). Auch sie schüttet Max regelmäßig ihr Herz aus, ist jedoch keine Patientin, sondern seine Ex-Frau.

Nettelbeck hat seit "Bella Martha" nur eine Handvoll Filme gedreht, darunter "Mr. Morgans letzte Liebe" (2013) mit Michael Caine. Die Parallelen zwischen dem einsamen Pariser Philosophieprofessor und dem etwas verloren wirkenden Psychotherapeuten sind nicht zu übersehen, zumal in beider Dasein eine Frau tritt, die ihnen neuen Lebensmut verleiht. Bei Max handelt es sich um eine spielsüchtige Patientin (Johanna ter Stege), die jedoch neben einem ausgefallenen Sinn für Humor außerdem einen Freund (Peter Lohmeyer) hat. Mit großer Sorgfalt entwirft Nettelbeck einen zweistündigen Reigen, den sie behutsam um Figuren erweitet, die nur noch mittelbar mit Max zu tun haben. Einige Nebenstränge entwickeln ohnehin eine unerwartete Eigendynamik: Der Bestatter empfindet große Zuneigung zu einer Frau (Deborah Kaufmann), die ihr eigenes Begräbnis organisieren will. Ihr Lebensgefährte, ein Kriegsfotograf, ist in Syrien ums Leben gekommen; immer und immer wieder lauscht sie den Schilderungen seines Sterbens. Und dann ist da noch Tierpfleger Hannes (Bjarne Mädel), der sich in die etwas seltsame Kollegin Sunny (Jenny Schily) verliebt hat und seine Arbeit aufgibt, damit sie ihren Job behalten kann. Welchen Berührungspunkt es zwischen diesem Erzählstrang und Max gibt, offenbart der Film erst ganz am Schluss.

Schon allein die Besetzung verdeutlicht, wie gut Nettelbecks Ruf in der Branche sein muss; zu den weiteren Mitwirkenden gehören unter anderem David Rott als Lorettas Dozent, der gern eine größere Rolle in ihrem Leben spielen würde, und Victoria Trauttmansdorff, die als Maklerin quasi nur durchs Bild läuft. Angesichts des guten Dutzends Hauptfiguren mit entsprechend vielen eigenen Handlungssträngen bleibt nicht aus, dass "Was uns nicht umbringt" gerade zu Beginn sehr episodisch ist; die Prominenz der Mitwirkenden hat nicht zuletzt den Nebeneffekt einer größeren Wiedererkennbarkeit. Miniaturen zum Auftakt sorgen zudem für eine gewisse Charakterisierung, die Nettelbeck so geschickt inszeniert hat, dass sie trotz entsprechender Klippen nicht klischeehaft wirken: Loretta kämpft nicht nur mit ihrer pubertären Tochter (Leonie Hämer), sondern auch mit einem widerspenstigen Wasserhahn, der ein hartnäckiges Eigenleben führt. Das klingt nach typischem Rollenbild (hier fehlt der Mann im Haus), ist aber in erster Linie witzig. Als ähnlich eigenwillig entpuppt sich Panama, der schwermütige Tierheimhund des Therapeuten. Max gibt ihm den gutgemeinten, aber erfolglosen Rat, er müsse sein Verhalten ändern, "dann ändern sich auch deine Gefühle."

Die Dialoge sind ohnehin ein großer Quell der Heiterkeit. Das gilt auch für die überraschend eingestreuten und auf effektvolle Weise witzigen Sekundenfantasien der Figuren: Als Sunny Max zum ersten Mal besucht, kann sie nur derart mühsam dem Impuls widerstehen, seinen Schreibtisch aufzuräumen, dass er das selbst übernimmt. Der letzte dieser Tagträume beschert dem Therapeuten immerhin ein unerwartetes Happy End. Auch in dieser Hinsicht beweist die Regisseurin großes Geschick: Sie führt sämtliche Stränge zu einem guten Schluss. Der entspricht nicht in jedem Fall dem typischen Romanzenausgang, aber manchmal ist es genauso wichtig, Abschied nehmen und loslassen zu können.