TV-Tipp: "Lotte am Bauhaus"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Lotte am Bauhaus"
31. März, ARD, 20.15 Uhr
Eine junge Frau will sich selbst verwirklichen und Kunst studieren: abgesehen von der mutmaßlichen Brotlosigkeit dieses Wunsches nach Selbstverwirklichung heutzutage kein Problem. Vor hundert Jahren sah das selbstredend ganz anders aus; und davon erzählt "Lotte am Bauhaus".

Der Film beginnt im Jahr 1920 und mit einer fröhlichen Szene: Ein Dutzend junger Leute läuft nackt zu einem See und wirft dabei buntes Pulver in die Luft, sodass rote, gelbe und blaue Wölkchen entstehen. Lotte Brendel, die zufällig mit dem Fahrrad vorbeikommt, wird von dieser unschuldigen Ausgelassenheit unmittelbar angesteckt; am liebsten würde sie sich ebenfalls ausziehen und ins Wasser springen, was ihre Schwester gerade noch verhindern kann. Die Badenden sind vom Bauhaus; und da will Lotte (Alicia von Rittberg) auch hin.

Durch den fröhlichen Auftakt ist der Rahmen der Geschichte vorgegeben: hier die wilde Lust, aus den vorgegebenen Konventionen auszubrechen, und zwar in jeder Hinsicht; dort eine Gesellschaft, die sich schwer tut, diese Aufbruchstimmung zu akzeptieren. 1919 hat Walter Gropius in Weimar das Bauhaus gegründet. Die Kunstschule suchte als erste Einrichtung ihrer Art nach einer Allianz aus Kunst und Handwerk; für die junge Lotte, Tochter eines Tischlers und voller Fantasie, der perfekte Ort, um ihre Kreativität auszuleben. Der durch die wilhelminische Weltsicht geprägte Vater ist aufrichtig empört und sagt jenen Satz, der am Beginn so mancher großer Künstlerkarriere stand, aber vermutlich noch viele weitere verhindert hat: Wenn du jetzt gehst, dann für immer. Fortan ist Lotte finanziell völlig auf sich allein gestellt.

Als der Film gedreht wurde, hieß er noch schlicht "Bauhaus". "Lotte am Bauhaus" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2019) ist die bessere Wahl, denn Jan Braren hat sein Drehbuch voll und ganz auf die Hauptfigur zugeschnitten. Natürlich erzählt der Grimme-Preisträger ("Homevideo") auch die Geschichte vom Bauhaus, aber in erster Linie geht es um die von Alicia von Rittberg hin- und mitreißend als moderne junge Frau verkörperte Heldin: Lotte ist ein liebenswerter Dickkopf, der sich durch nichts und niemanden von seinem Ziel abbringen lässt. Deshalb schafft sie es auch als einzige Frau in die Tischlerei, obwohl Gropius, charismatisch und sympathisch von Jörg Hartmann verkörpert, sie lieber in der Weberei gesehen hätte; sein vollmundiges Versprechen von der "absoluten Gleichberechtigung" war dann doch leichter gesagt als getan. Außerdem sind die Zeiten bereits dabei, sich wieder zu ändern; in die Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit mischen sich erste völkische Töne. Braren stellt die Zeitläufte zwar nicht in den Vordergrund, sorgt aber immer wieder mit kleinen Szenen dafür, dass sie nicht in Vergessenheit geraten.

In erster Linie erzählt der Film zunächst jedoch von einer Künstlerromanze: Lotte verliebt sich in den Kommilitonen Paul (Noah Saavedra). Die beiden scheinen wie füreinander geschaffen: Paul sieht seine Zukunft in der Architektur, Lotte führt seine Entwürfe zur Perfektion und verblüfft Gropius immer wieder mit ihrer praktischen Fantasie. Das Glück scheint grenzenlos; bis Lotte schwanger wird. Das Paar heiratet zwar, aber den beruflichen Erfolgsweg geht Paul nun allein. Später trennen sich auch die privaten Wege des Paares, und Lotte muss erkennen, wie schwer es für sie ist, sich in einem Männerberuf zu etablieren; neben der Konfrontation zwischen Weltoffenheit und reaktionärem Denken ein weiteres Detail, mit dem sich heutige Zuschauerinnen gut identifizieren können. Der Österreicher Noah Saavedra, hierzulande am ehesten durch seine Titelrolle in dem Künstlerdrama "Egon Schiele: Tod und Mädchen" bekannt, ist im Übrigen ein ausgezeichneter Partner für Alicia von Rittberg. Die für ihre Rolle in dem Kinderheimdrama "Und alle haben geschwiegen" (2013) mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin hatte bereits maßgeblichen Anteil am Auftakterfolg der ARD-Serie "Charité".

Natürlich ist "Lotte am Bauhaus" trotz der Konzentration auf seine Heldin auch eine Hommage an die weltberühmte Kunstschule, zumal sich diese beiden Stränge kaum voneinander trennen lassen. Braren hat seine Heldin der Kunsthandwerkerin Alma Siedhoff-Buscher nachempfunden, die auch im Mittelpunkt der anschließenden Dokumentation "Die Bauhausfrauen" steht. Sie wurde vor allem durch ihr multifunktionales Kinderzimmer im Weimarer "Haus am Horn" bekannt; ein von ihr erfundenes variables Holzspielzeug, das "Kleine Schiffbauspiel", wird bis heute produziert. Regisseur Gregor Schnitzler hat es hervorragend verstanden, die künstlerischen Details in seine  Inszenierung zu integrieren, ohne den Film zum Dokudrama werden zu lassen. Diese Ebene wird zwar nicht so beiläufig erzählt wie die politische Entwicklung, aber auch hier ist es stets die Hauptfigur, die die Handlung prägt, zumal der Unterricht am Bauhaus aus ihrer Perspektive vermittelt wird. Die entsprechenden Passagen sind faszinierend, weil alles passt: Dank vorzüglicher Dialoge, einer sehr authentisch wirkenden Ausstattung und nicht zuletzt der überzeugenden Leistung von Christoph Letkowski als charismatischer Kunsttheoretiker Johannes Itten wirken diese Szenen nie abgehoben. Schnitzler, der nach Kinofilmen wie "Soloalbum" (2002) und "Die Wolke" (2006) unter anderem für die ARD-Tochter Degeto einige sehenswerte Fernsehfilme inszeniert hat ("Mein Sohn Helen", 2015, "Kilimandscharo - Reise ins Leben", 2017) verknüpft die verschiedenen Ebenen zu einem faszinierenden romantischen Drama, das mit gut hundert Minuten auch dank der Bildgestaltung (Christian Stangassinger) und einer großen Musik (Annette Focks) eher noch zu kurz als zu lang ist. Deshalb muss der Film gegen Ende ein paar Zeitsprünge machen, um ins Jahr 1933 und zur Schließung des Bauhauses zu gelangen. Bis dahin hatte der Nachname Pauls überhaupt keine Rolle gespielt. Das ändert sich nun: Er heißt Seligmann.